BAG zu Überstundenzuschlägen im öffentlichen Dienst: Keine Dis­kri­mi­nie­rung von Teil­zeit­be­schäf­tigten

Gastbeitrag von Yvonne Dietzel, LL.M. (UWA, Perth)

19.10.2021

Teilzeitbeschäftigten im öffentlichen Dienst steht ein Überstundenzuschlag erst ab Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten zu. Der 6. Senat des BAG gibt seine Rechtsprechung auf, erklärt Yvonne Dietzel.

Stehen Teilzeitbeschäftigten nach den Reglungen des TVöD-K – dem besonderen Teil für Krankenhäuser des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes im Bereich der kommunalen Arbeitgeber – schon bei Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeit Überstundenzuschläge zu? Mit dieser Frage hat sich erneut das Bundesarbeitsgericht (BAG) beschäftigt (Urt. v. 15.10.2021, Az. 6 AZR 253/19) und seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall ist die Klägerin auf einer Intensivstation in Wechselschicht mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Regelungen des TVöD-K Anwendung. Die Klägerin leistete in der Vergangenheit sog. ungeplante Überstunden, arbeitete also länger, als es nach dem Dienstplan vorgesehen war. Hierfür sprach ihr das Landesarbeitsgericht (LAG Nürnberg, Urt. v. 3.5.2019, Az. 8 Sa 340/18) in Anwendung der bisherigen Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 23.3.2017, Az. 6 AZR 161/16) einen Überstundenzuschlag gemäß § 8 Abs. 1 S. 2 Buchst. a TVöD-K zu. 

Daneben leistete die Klägerin geplante, schon im Dienstplan vorgesehene Überstunden. Sie blieb dabei in den relevanten Monaten jedoch unter der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten. Für diese Zeiten lehnte das LAG daher einen Anspruch auf die Zahlung von Überstundenzuschlägen ab. Mit ihrer Revision verfolgte die Klägerin diese Ansprüche weiter. Der 6. Senat des BAG hat die Revision nun zurückgewiesen. 

BAG hatte relevante Norm stark strapaziert

Die Differenzierung zwischen geplanten und ungeplanten Überstunden hatte der 6. Senat des BAG im Jahre 2013 (Urt. v. 25.4.2013, Az. 6 AZR 800/11) entwickelt und damit den Wortlaut von § 7 Abs. 8 Buchst. c TVöD durchaus strapaziert, der jedenfalls nicht eindeutig hiernach unterscheidet. Danach gelten bei Wechselschicht- oder Schichtarbeit nur solche Arbeitsstunden als Überstunden, die bezogen auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Schichtplanturnus nicht ausgeglichen werden.

Schon damals verwies der Senat auf das auch für tarifliche Regelungen geltende Gebot der Normenklarheit. Dieses Gebot verlangt, dass Betroffene die Rechtslage anhand der tariflichen Regelung so erkennen können müssen, dass sie ihr Verhalten danach ausrichten können. Die unglücklich formulierte Regelung des § 7 Abs. 8 Buchst. c TVöD legte der Senat dennoch aus. Er verwies darauf, dass die Regelung nur Sinn mache, wenn man eine Differenzierung nach geplanten und ungeplanten Überstunden hineinlese. 

Auslegung führte zu ungeklärten Folgefragen

In der weiteren Entwicklung dieser Rechtsprechung schloss sich die Folgefrage an, die derzeit für verschiedene Tarifwerke kontrovers diskutiert wird: Ist es zulässig, Überstundenzuschläge an Teilzeitbeschäftigte erst ab dem Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten zu zahlen? 

Diese Frage hatte der 6. Senat für die ungeplanten Überstunden noch zugunsten der Teilzeitbeschäftigten beantwortet (BAG, Urt. v. 23.03.2017, Az. 6 AZR 161/16). Im Wege der Auslegung stellte er seinerzeit fest, dass Teilzeitbeschäftigte ohne sachlichen Grund gegenüber Vollzeitbeschäftigten diskriminiert würden, wenn sie nicht bereits bei Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeit Überstundenzuschläge für ungeplante Überstunden erhielten. Zwar könne eine Differenzierung zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten zulässig sein, wenn tarifliche Überstundenzuschläge für den Ausgleich der in den zusätzlichen Tätigkeiten liegenden besonderen Belastungen gezahlt würden. Eine solche Intention der Tarifvertragsparteien konnte der Senat den Regelungen des TVöD seinerzeit indes nicht entnehmen. 

Bedenkliche Entwicklung der Rechtsprechung

Insbesondere mit Blick auf den in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verankerten Grundsatz der Tarifautonomie war diese und die weitere Entwicklung dieser Rechtsprechung - sodann vor allem durch den 10. Senat des BAG - bedenklich. Der 10. Senat hatte beispielsweise für die Beschäftigten in der Systemgastronomie festgestellt, dass es sich bei den Stunden, die die dortige Klägerin über die vereinbarte Jahresarbeitszeit hinaus geleistet hatte, um zuschlagspflichtige Mehrarbeit handelte (BAG, Urt. v. 19.12.2018, 10 AZR 231/18). 

Im Wege der Auslegung der an dieser Stelle ebenfalls nicht ganz klaren tariflichen Regelungen stellte der 10. Senat in dem Fall fest, dass es den Tarifvertragsparteien um den Zweck gegangen sei, durch Überstundenzuschläge die damit verbundene „Einbuße an Freizeit“ zu belohnen. Dieser Zweck könne eine unterschiedliche Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten sachlich nicht rechtfertigen. Diskriminierende Regelungen haben die Tarifvertragsparteien nicht treffen wollen. Folge dieser Rechtsprechung war eine „Anpassung nach oben“ mit durchaus erheblichen wirtschaftlichen Folgen für die Arbeitgeberseite.

Nun aber: TVöD-Norm ist unwirksam 

Der 6. Senat hat nun mit der vorliegenden Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zu § 7 Abs. 8 Buchst. c TVöD-K ausdrücklich aufgegeben. Zum einen stellt er unter Verweis auf das Gebot der Normenklarheit fest, dass § 7 Abs. 8 Buchst. c TVöD-K unwirksam ist. Eine Differenzierung nach geplanten und ungeplanten Überstunden lasse sich der Regelung nicht entnehmen. 

Auch für Beschäftigte in Schicht- und Wechselschichtarbeit definiert damit im Ergebnis nur § 7 Abs. 7 TVöD-K das Entstehen von Überstunden. Diese Regelung verweist hierfür ausschließlich auf das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten. Anderenfalls liegt Mehrarbeit im Sinne von § 7 Abs. 6 TVöD-K vor, die nicht zuschlagspflichtig ist. 

Keine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten 

Die bisher nur vorliegende Pressemitteilung verhält sich indes nur sehr knapp zu der sich anschließenden eigentlich spannenden Frage, nämlich einer hierin vermeintlich liegenden Diskriminierung von Teilzeit- gegenüber Vollzeitbeschäftigten. Sie enthält dazu nur einen Satz: Die Differenzierung zwischen den Gruppen der Voll- und der Teilzeitbeschäftigten sei wirksam, "weil für sie völlig unterschiedliche Regelungssysteme […] in Bezug auf das Entstehen und den Ausgleich von Mehrarbeit und Überstunden gelten" würden. 

Mit welchen Argumenten sich der 6. Senat in den Entscheidungsgründen vertieft mit dieser Frage auseinandersetzt, bleibt abzuwarten. Die Vorinstanz hatte hierzu festgestellt, dass mit den Regelungen des TVöD-K zu Überstundenzuschlägen – jedenfalls für die geplanten Überstunden – der Schutz von Beschäftigten vor den besonderen Belastungen der Arbeit über die Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten hinaus bezweckt sei. Daher sei eine daraus resultierende Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt. 

Während der 10. Senat des BAG zuletzt im Zusammenhang mit der Mehrflugdienststundenvergütung für das Cockpitpersonal der Lufthansa in einem noch anhängigen Vorabentscheidungsersuchen den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Klärung gebeten hat, ob eine solche Differenzierung mit der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der RL 97/81/EG in Einklang gebracht werden kann (Beschl. v. 11.11.2020, Az. 10 AZR 185/20), hat der 6. Senat im vorliegenden Fall hierfür offensichtlich keinen Anlass gesehen. 

Urteil stärkt die Tarifautonomie

Nach der Entscheidung des BAG ist Teilzeitbeschäftigten auch im Fall von Schicht- und Wechselschichtarbeit nur noch im Rahmen von § 7 Abs. 7 TVöD-K ein Überstundenzuschlag zu zahlen. Das ist nur dann der Fall, wenn die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten und nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen wird. Anderenfalls handelt es sich (nur) um Mehrarbeit im Sinne von § 7 Abs. 6 TVöD-K, die nicht zuschlagspflichtig ist. 

Diese Rechtsprechung wirkt sich auf den gesamten Bereich des TVöD sowie voraussichtlich auch jenen des TV-L mit gleichlautenden Regelungen aus. Inwieweit sie zudem wegweisend auch für die Beurteilung der Zuschlagsregelungen anderer Tarifwerke ist, wird anhand der Entscheidungsgründe zu beurteilen sein. 

Mit seinem Urteil geht der 6. Senat des BAG jedenfalls einen begrüßenswerten Schritt. Er stärkt dem Grundsatz der Tarifautonomie den Rücken. Verbunden mit dem impliziten Appell an die Tarifvertragsparteien, Regelungen klar und verständlich zu formulieren, verweist er die Frage der Zahlung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte wieder dorthin, wo sie hingehört: in die Hände der Tarifvertragsparteien und damit an den Verhandlungstisch. 

Yvonne Dietzel, LL.M. (UWA, Perth) ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und assoziierte Partnerin im Dresdner Büro der Kanzlei Noerr. Sie berät deutsche und internationale Unternehmen umfassend zu Themen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts.

Zitiervorschlag

BAG zu Überstundenzuschlägen im öffentlichen Dienst: Keine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten . In: Legal Tribune Online, 19.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46399/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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