21. Kölner Symposium für Marken- und Wettbewerbsrecht: Wenn die böse KI Salz in die Rich­teraugen streut

von Dr. Felix W. Zimmermann

06.03.2023

Kann eine affektierte Art Salz zu streuen eine Marke sein? Sollte fadenscheinige Nachhaltigkeitswerbung abmahnfähig sein und welche Rolle spielt KI für das Wettbewerbsrecht? Viele Themen für die Leittagung im wohl buntesten Rechtsgebiet.

"Bitte nicht nur auf die Schuhkartons die Anlagennummer schreiben! Unbedingt auch die Schuhe selbst beschriften! Andernfalls besteht die Gefahr, dass Richter die Schuhe nach der Inaugenscheinnahme falsch einsortieren", ermahnte sinngemäß der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof (BGH), Prof. Dr. Wolfgang Büscher, die anwesende Anwaltschaft. 

Besondere Verfahrensregeln für ein besonderes Rechtsgebiet. Büros der Richterinnen und Richter sehen hier oft wie Spielzimmer aus, finden sich dort doch allerlei skurrile Gegenstände, Spielsachen oder eben Schuhe, die die Parteien als "Anlage" zugesandt haben. Doch auch das Marken- und Wettbewerbsrecht verliert durch die Digitalisierung weiter an Haptik. Das wurde auf dem 21. Kölner Symposium für Marken- und Wettbewerbsrecht mehr als deutlich. 

Rege Beteiligung Foto: Henning RohmDie Freude unter den Wettbewerbsrechtsexperten, sich nach dem Ende der Corona-Zeit erstmals wieder persönlich austauschen zu können, war groß. Besonders euphorisch: Markenrechtsurgestein Herr Prof. Dr. Karl-Heinz Fezer, der auf die Sonne hinwies, die die Veranstaltung begleite. Angesichts eines zweitägigen, prall gefüllten Tagungsprogramms mussten die insgesamt circa 200 Teilnehmer für die Erleuchtung indes auf die Vorträge setzen.

Von Klein-Klein zum unendlichen Markenkosmos 

Insoweit erwies sich der erste Vortrag am "Markenrechtstag" über die vergangene Rechtsprechung des BGH als Herausforderung. Jörn Feddersen, Richter am I. Zivilsenat, begann seinen Rückblick mit einem circa einstündigen Detailreferat über die Verwirkung von markenrechtlichen Ansprüchen (Urt. vom 26.01.2023, Az. I ZR 56/19 - HEITEC III), inklusiver detaillierter Schilderung von 14! hierfür bedeutsamen Ereignissen. Vor dem Hintergrund der von Feddersen selbst eingeräumten geringen Praxisrelevanz des Themas ("Die Streitfrage möchte ich dem nächsten Fall überlassen, der wahrscheinlich niemals kommen wird."), erschloss sich seine Schwerpunktsetzung nicht zwangsläufig. 

Am Ende räumte Feddersen ein, dass er die von seinem BGH-Kollegen Thomas Koch angebotene Wette, nicht alle Fälle aus dem Redemanuskript durchsprechen zu können, verloren hätte. Kein Wunder, bei 133 eng beschriebenen Power-Point-Folien. 

Nach munteren Vorträgen über die Kollektivmarke (etwa "Dresdner Christstollen") von BGH-Richterin Dr. Christiane Schmaltz und die "Gewährleistungsmarke" (etwa Bio-Güteabzeichen) von Rechtsanwältin Dr. Anke Nordemann-Schiffel wurden die Teilnehmer auf eine Reise in den Markenkosmos von Dr. Senta Bingener mitgenommen. 

"Ratten auf der Schulter" als Marke

Senta Bingener Foto: Henning RohmDie Teamleiterin im Markenbereich des Deutschen Patent und Markenamtes (DPMA) ist Meisterin in der Disziplin der Abgrenzung von Markenformen. Virtuos unterschied sie in ihrem Vortrag über unkonventionelle Marken zwischen 3D-Marken, Klangmarken, Multimediamarken, Mustermarken, Hologrammarken und Bewegungsmarken. Bingener erweckt dabei den Eindruck, jedes halbwegs originelle menschliche Handeln oder Schaffen in Markenform gießen zu wollen. So könnte etwa ein besonderer Luftstrom in der Hamburger Elbphilharmonie als "Innenraumwindmarke" geschützt werden. 

Besonders angetan ist sie von der relativ neuen Möglichkeit, habituelle Marken eintragen zu lassen, also ein spezifisches Erscheinungsbild oder Verhalten. Möglich macht dies der Paradigmenwechsel im Markenrecht von 2019. Seitdem kann auch eine Marke eingetragen werden, die nicht graphisch darstellbar ist (§ 8 Markengesetz). Hierfür hatte Bingener auch Beispiele parat: Die affektierte Handbewegung beim Salzen eines Steaks durch den Koch-Influencer Salt Bae, der das Salz aus dem Handgelenk am Unterarm herunterstreut. Oder: Alle Kellner in einer Bar tragen eine Ratte auf der Schulter. Erst- und Wiederholungsgefahr dürften hier fragwürdig sein, anschaulich war das Beispiel allemal.

Jedoch fällt das Interesse an solchen unkonventionellen Markenanmeldungen mit knapp 50 Anmeldungen bislang gering aus, wie Bingener enttäuschend registrierte. Es folgte der Aufruf ans Publikum: "Erst war die Vision, dann was das Gesetz, nun bedarf es vieler Anmeldungen unkonventioneller Marken, um das Gesetz mit Leben zu füllen." Dass es dieser Anmeldungen aktuell weniger aus Sicht der Praxis "bedarf" als mehr aus behördlicher Perspektive, wurde durch Bingeners Schlusssatz recht deutlich: "Ohne ihre Anmeldungen sind wir nichts". 

"Tiefsitzende Skepsis der Gerichte gegen Farbmarken"

Sebastian Fischoeder Foto: Henning RohmIm wahrsten Sinne des Wortes "bunt" geriet der Vortrag von Rechtsanwalt Sebastian Fischoeder über Farbmarken, der er mit einem anschaulichen Fragespiel begann. Das Publikum bekam Außenansichten etwa von Telefongeschäften gezeigt und sollte nur anhand unterschiedlicher Farben das Unternehmen erraten. Angesichts prominenter Marken wie T-Online oder O2 gelang dies ohne Weiteres, sodass Fischoeder umso leichter sein Plädoyer für eine verbesserte Möglichkeit des Schutzes von Farbmarken führen konnte. Er kritisierte die "tiefsitzende Skepsis" mancher Gerichte. Auch stört er sich an Beweislastregeln und überkomplexen Meinungsumfragen. Der Widerspruch im Publikum, wonach Farbmarken schwieriger zu erhalten seien, weil jedes Unternehmen Farben verwenden müsse (Freihaltebedürfnis), ließ der Taylor Wessing-Anwalt nicht gelten. Es gäbe schließlich genug Farben. 

Nach Vorträgen zu Handelsnamen und vergleichender Werbung (Prof. Dr. Karl-Heinz Fezer) und dem hochaktuellen Thema der markenrechtlichen Haftung von Handelsplattformen (Prof. Dr. Ansgar Ohly), gab sodann Dr. Andreas Sattler interessante Denkanstöße zur Bedeutung von Künstlicher Intelligenz (KI) für das Markenrecht. Etwa: Lässt sich der Einsatz von KI mit Suchmaschinen vergleichen und welche rechtlichen Implikationen folgen daraus? Der Tag schloss mit einem weiteren Referat über die Chancen der Blockchain-Technologie für die Bekämpfung von Produktpiraterie (Dipl.-Inf. Timucin Korkmaz).

Munterer Austausch am Abend von Tag 1, Foto: Henning RohmNach abendlichem Speis und Trank über den Dächern von Köln wiederholte sich am nächsten Tag, dem "Wettbewerbstag", das Konzept von "Gestern, heute, morgen". Der Vorsitzende des I. Zivilsenats des BGH, Prof. Dr. Thomas Koch, referierte über die Rechtsprechung des BGH zum Lauterkeitsrecht, Prof. Dr. Wolfgang Büscher über aktuelle Schwerpunkte des Verfahrensrechts. Dabei wurde die Juristengemüter durch dogmatische Fragen erregt: Lebt ein Unterlassungswiderspruch bei Verstoß gegen eine strafbewehrte Unterlassungserklärung rechtsdogmatisch tatsächlich wieder auf? Und was bringt eigentlich die erneute Abgabe einer weiteren Unterlassungserklärung, wenn in dieser doch exakt das Gleiche steht wie in der vorangegangen? 

Verbot von Greenwashing als Überregulierung? 

Erstaunliche Einigkeit bestand hingegen im Anschluss an das Referat von Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer von der Universität Köln zum Thema Greenwashing. Davon wird bei Nachhaltigkeits-Werbeversprechen gesprochen, hinter denen bei näherer Betrachtung wenig bis nichts steht. Die geplante Verschärfung des Europarechts wird in Zukunft allgemeine Umweltaussagen in der Werbung erheblich erschweren, faktisch sogar zu Verboten führen. So müssen etwa Umweltaussagen (z.B. "biologisch abbaubar", "klimaneutral") auf nachprüfbaren, für den Verbraucher zugänglichen Angaben basieren. 

Dagegen empörte sich Prof. Karl-Heinz Fezer. Es handele sich hier um eine "politische gefährliche Entwicklung der Verhaltensökonomik", in der das Recht den Konsumenten in eine bestimmte Richtung lenke. Diese Einflussnahme mache ihm mehr Sorgen, als wenn sich Verbraucher über die Umweltfreundlichkeit von Werbeaussagen auch mal irren würden.

Die Gegenargumente liegen auf der Hand: Erstens ist kein Verbraucher gezwungen, Produkte mit Nachhaltigkeitsclaims zu kaufen. Zweitens kann die Bekämpfung des Klimawandels schwerlich gelingen, wenn Verbraucher nicht in die Lage versetzt werden, tatsächlich nachhaltig produzierte Waren von nur scheinbar so produzierten zu unterscheiden. Doch ein Widerspruch im Publikum gegen Fezers Position war nicht zu vernehmen. 

Prof. Fezer erhebt seine Stimme gegen strenge Vorschriften bei Nachhaltigkeitsclaims Foto: Henning Rohm

 

Im Gegenteil stimmte unter anderem BGH-Richter Koch in die Wehklage vermeintlicher politischer Übergriffigkeit ein. Er konstatierte eine Überregulierung. Viel schöner wäre es doch, wenn die Rechtsprechung selbst – wie bisher – die Kriterien für zulässige Umweltwerbung herausbilden könnte. Hier sprach ein Richter, der es gewohnt ist, durch Ausfüllung von schwammigen Rechtsbegriffen wie "Verwechslungsgefahr" oder "Irreführung" als Quasigesetzgeber durch Richterrecht große Gestaltungsmacht zu haben. Politische Detailgestaltung des Wettbewerbsrechts wird da offenbar tendenziell als Zumutung empfunden.

Zukunftsmusik plötzlich schon in den Charts

Tim Dornis Foto: Henning RohmNach einem Vortrag über die neue Gesetzeslage zu "Rankings und Bewertungen" (Prof. Dr. Jörg Fritzsche) widmete man sich dann auch am zweiten Veranstaltungstag Fragen, die noch vor einem Jahr "Zukunftsmusik" gewesen wären, mit dem Triumphzug von ChatGPT aber schlagartig aktuell sind. Prof. Dr. Tim Dornis von der Leibniz Universität Hannover erklärte, wie durch Einsatz einer KI eine "Unlauterkeitsspirale" bei Werbung entstehen kann. Wenn etwa eine "böse KI" auf die Förderung unmoralischer oder unlauterer Praktiken ausgelegt sei, könnte dies zu einer Kaskade immer perfiderer irreführender Werbung oder Personalisierung (etwa Preisdiskriminierung) führen. 

Schließlich widmete sich Prof. Dr. Ruth Janal von der Universität Bayreuth dem Entwurf zur neuen Verbandsklage, den sie als wenig effektiv beschrieb. Hubertus Nolte, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht (OLG) Köln, rundete das Symposium mit einem Vortrag über die OLG-Rechtsprechung zum Lauterkeitsrecht ab.

Ein Symposium, das die neuesten Entwicklungen und Herausforderungen im Wettbewerbs- und Markenrecht praxisnah verdeutlichte und den Teilnehmern nicht zuletzt die stärker werdende gesellschaftspolitische Bedeutung dieses Rechtsgebiets vor dem Hintergrund von Algorithmen und KI und den damit einhergehenden Gefahren für die freie Willensbildung vor Augen führte.

Das Kölner Symposium für Marken- und Wettbewerbsrecht wird von Wolters Kluwer veranstaltet, zu dem auch Legal Tribune Online gehört. 

* Artikelversion v. 8.3.23

Zitiervorschlag

21. Kölner Symposium für Marken- und Wettbewerbsrecht: Wenn die böse KI Salz in die Richteraugen streut . In: Legal Tribune Online, 06.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51229/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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