Auf dem Anwaltstag in Bielefeld befasst sich die Zunft mit Künstlicher Intelligenz. Mehr Freude als die digitale Welt dürfte ihnen ein Gesetz zur Anwaltsvergütung bereiten.
So viel geballte Intelligenz gab es auf einem Deutschen Anwaltstag (DAT) noch nie: Künstliche Intelligenz (KI) im Berufsrecht, in der Haftung, in der Testamentsgestaltung, im Verkehrs- und Versicherungsrecht oder in Polizeiarbeit und Strafverteidigung – nahezu in jedem Rechtsgebiet.
Tatsächlich drehte sich auf dem 75. DAT am Donnerstag und Freitag in Bielefeld alles um die "digitale Welt" und die Herausforderungen durch KI. 1.500 Menschen, im Wesentlichen Anwältinnen und Anwälte, aber auch Aussteller, hatten es in die ostwestfälische Metropole geschafft. Eine Stadt, die – wie kürzlich vom Landgericht Bielefeld offiziell festgestellt – "offenkundig" existiert.
Indes: So klar die Rechtslage hinsichtlich Bielefeld ist, so unübersichtlich ist sie beim Thema KI. Tatsächlich stochern die Anwältinnen und Anwälte bei vielen Rechtsfragen, die sich bei der Anwendung von ChatGPT oder anderen IT-gestützten Anwendungen unter dem Etikett KI stellen, im Nebel.
Wenn die KI "halluziniert"
Wieviel KI lässt sich etwa mit der anwaltlichen Verschwiegenheit vereinbaren, insbesondere wenn der KI-Anbieter z.B. aus den USA kommt und die Gefahr besteht, dass Daten der Mandantschaft plötzlich in einem Staat landen, der über ein wesentlich geringeres Berufsgeheimnis-Schutzniveau verfügt? Und muss man dem Mandanten gegenüber offenlegen, wenn man bei der Erstellung des Schriftsatzes zur Arbeitserleichterung auf eine KI-Anwendung zurückgegriffen hat? Und wie wirkt sich das auf die Gebührenforderung aus? Noch vieles hier ist unklar.
Zunächst müssen die anwaltlichen KI-Anwender aber hoffen, dass die KI keine Fehler einbaut: Erinnert wurde in einer DAT-Fachveranstaltung an einen amerikanischen Anwalt, dem die KI in einem Schriftsatz eine Reihe von Urteilen als vermeintliche Belege für seine Rechtsauffassung "hineinfantasiert" hatte. In der KI-Welt heißt dieses Phänomen "halluzinieren": Wenn ChatGPT nicht über hinreichend Wissen verfügt, um auf die Fragen des Nutzers zu antworten, denkt es sich eben etwas aus. Manchmal auch Gerichtsurteile, die es nie gab. Verlässlich ist anders.
Burim Ferati, Direktor bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, der Unternehmen mittels KI bei internen Ermittlungen unterstützt, fragte ChatGPT, warum es manchmal Unwahrheiten ausspuckt und "halluziniert". Die Antwort des Bots lautete: "Unvollständiges Training, komplexe Anfragen, Datenmangel." Nun ja, ein KI-Tool verfügt eben auch immer nur über so viel Wissen, mit dem es gespeist wurde.
DAV-Präsidentin warnt
Reichlich besorgt mit Blick auf die zunehmend digitalere Berufswelt zeigte sich in ihrer Eröffnungsrede DAV-Präsidentin Edith Kindermann. Die Rechtsanwältin und Notarin erinnerte daran, dass es noch eine erhebliche Anzahl von Menschen gebe (Anwälte wohl eingeschlossen), die nicht über hinreichend digitale Kompetenz verfügten. In diesem Zusammenhang mahnte die DAV-Präsidentin auch sichere digitale Identität an. Also eine Art elektronisches Postfach, wie es bereits in Dänemark für alle Bürger existiere.
Eindringlich warnte die DAV-Präsidentin davor, dass man es mit der Digitalisierung eines Tages übertreibe und Gerichte zu reinen Online-Courts wie in China mutieren könnten. "Der Richter ist ein menschlicher Richter", so Kindermann unter Verweis auf Art. 92 Grundgesetz. Das reale Publikum in der Bielefelder Stadthalle applaudierte.
Für Ablenkung vom alles überlappenden Digital-Thema sorgte auf dem DAT unterdessen Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). In seinem Grußwort erwähnte er den Polizisten-Mord von Mannheim und warnte in diesem Zusammenhang davor, sich beim Ruf nach dem Gesetzgeber von Zorn und Wut leiten zu lassen. Der "realen Gefahr von Terrorismus" müsse mit Vernunft und Rationalität begegnet werden. Passend – oder eher unpassend – dazu platzte in Buschmanns Rede die Nachricht, dass der Bundeskanzler sich wie die Union für eine härtere Gangart bei Abschiebungen nach Afghanistan ausspricht.
Buschmann mit RVG-Geschenk
Für die Anwaltschaft hatte der Bundesjustizminister indes am Ende seiner Rede noch ein kleines Geschenk parat. So versprach er, "in wenigen Tagen" einen Gesetzentwurf zur Anpassung der Anwaltsgebühren vorzulegen. Inzwischen liegt LTO dieser nun in der Ressortabstimmung befindliche Entwurf vor.
Er sieht eine Kombination aus strukturellen Verbesserungen im anwaltlichen Vergütungsrecht sowie einer linearen Erhöhung der Gebühren des RVG vor. Dabei sollen die Betragsrahmen- sowie die Festgebühren um neun Prozent und die Wertgebühren um sechs Prozent steigen. Die Gerichtsgebühren sollen ebenfalls linear um neun bzw. sechs Prozent angehoben werden, die Gerichtsvollziehergebühren um neun Prozent. Auch die Honorarsätze der Sachverständigen und Sprachmittler sollen um neun Prozent erhöht werden.
Fragen der Anwendung von KI mit Blick auf Gebührenforderungen regelt der Vorschlag nicht. Gleichwohl wird das BMJ sich in Kürze verstärkt mit der Implantierung von KI im deutschen Recht auseinandersetzen müssen. Nötig macht die erst kürzlich KI-Verordnung der Europäischen Union.
Wie ein BMJ-Sprecher gegenüber LTO bestätigte, werde der Einsatz von KI-Systemen in der Strafverfolgung und in der Rechtspflege nach dem Inkrafttreten der KI-Verordnung schrittweise den entsprechenden Regelungen der KI-Verordnung unterliegen. Im deutschen Recht seien daher bestimmte Verfahrensentscheidungen zu treffen, so der Sprecher. "Hierzu zählt etwa die Bestimmung der zuständigen Marktaufsichtsbehörden und weiterer zur Durchsetzung der Verordnung erforderlicher Stellen." Derzeit prüfe die Bundesregierung, welche Behörden für die Durchführung der KI-VO zuständig seien.
"Hochrisiko-KI zur Rechtsanwendung"
KI-Systeme, die in der Justiz zur Rechtsanwendung in Bezug auf einen konkreten Sachverhalt eingesetzt werden, würden grundsätzlich als Hochrisiko-KI eingestuft. "Für sie gelten strenge Qualitäts- und Transparenzanforderungen, deren Einhaltung durch vorgelagerte Konformitätsbewertungsverfahren und nachgelagerte Marktüberwachungsverfahren sichergestellt wird", so der BMJ-Sprecher.
Nach schneller Rechtssicherheit für die Anwaltschaft klingt all das nicht. Es dürfte daher noch einige Zeit ins Land gehen, bis sich für sie der KI-Nebel lichtet. Eventuell ja bis zum 76. Anwaltstag 2025 in Berlin?
In Panik verfallen sollten Anwältinnen und Anwälte beim Thema KI gleichwohl jetzt nicht. In ihrem Eröffnungsvortrag erinnerte Zivilrechtlerin und Digitalisierungs-Expertin Prof. Dr. Marie Herberger an die Worte von KI-Urvater Konrad Zuse, der 1941 den ersten universellen Computer der Welt entwickelt hatte: "Die Gefahr, dass der Computer so wird wie der Mensch, ist nicht so groß wie die Gefahr, dass der Mensch wird wie der Computer."
Das gelte auch noch heute.
Deutscher Anwaltstag im Zeichen von KI: . In: Legal Tribune Online, 07.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54725 (abgerufen am: 03.10.2024 )
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