Wissenschaftliche Leistung des Bundesverteidigungsministers: Der gute Doktor (iur.)

von Martin Rath

19.03.2011

Einige Quellen lässt die Doktorarbeit des Ministers etwas im Dunklen, was ihren akademischen Wert aber kaum schmälert. Vor 25 Jahren veröffentlichte Thomas de Maiziere eine diskrete Untersuchung über "informelle Verfahren beim Bundeskartellamt". Nicht allein wegen der Promotionsaffäre seines Amtsvorgängers lohnt sich ein später Blick in dieses Werk. Ein Lektürerapport von Martin Rath.

Seit der Affäre um die Doktorarbeit des gewesenen Bundesverteidigungsministers kursiert im Internet der Wunsch nach einem betlehemitischen Kindermord. Die Forderung: Vor allem die universitären Endstücke von Politikern gehörten auf unredliche Seiten hin überprüft. Den Doktorvätern (m/w) würde so mit Gewissheit der akademische Nachwuchs gemeuchelt, heißt es oft mit einiger Lust an der eigenen Aggression.

Entsprechende Bemühungen dürfte nicht zuletzt die Inaugural-Dissertation von Karl Ernst Thomas de Maizière auf sich ziehen, die er im Frühjahr 1986 in Münster (Westfalen) vorlegte: "Die Praxis der informellen Verfahren beim Bundeskartellamt. Darstellung und rechtliche Würdigung eines verborgenen Vorgehens". Dem akademischen Akt wohnten die Professoren Hellmut Kollhosser (1934-2004) und Otto Sandrock (geb. 1930) als Berichterstatter bei.

Dass der Titel die Aufklärung eines "verborgenen Vorgehens" verspricht, sollte zusätzliche Aufmerksamkeit wecken. Denn es heißt ja, dass Thomas de Maizière durch ein "informelles Verfahren" politische Zeitgeschichte geschrieben habe: Angela Merkel  soll 1990 auf seine Empfehlung hin zur Pressemitarbeiterin im Team des letzten DDR-Ministerpräsidenten, Lothar de Maizière, berufen worden sein. Ein Tipp unter Cousins. Da mag man ein Muster erkennen, wenn man will.

Überraschende Methoden, verdunkelte Quellen

Im Nachklang zu den studentischen Protesten des Jahres 1967/68 war in den Rechtswissenschaften verstärkt der Ruf nach sozialwissenschaftlichen Methoden laut geworden, verhallte aber weitgehend – galt die Forderung doch eher linkem Teufelswerk. Daher überrascht es, dass de Maizière sich bei seinem Promotionsprojekt einer empirischen Methode bediente: einer juristischen Feldforschung im Bundeskartellamt.

Auf der Grundlage des mehrfach novellierten "Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen" (GWB) greift das Bundeskartellamt seit 1958 ein, wenn Unternehmen durch die Bildung von Kartellen, durch ihre Marktmacht oder durch die Fusion mit anderen Unternehmen den halbwegs freien Wettbewerb auf dem Markt bedrohen. Bei der bedeutendsten Materie, der Fusionskontrolle, spricht inzwischen die Europäische Kommission ein gewichtiges Wort mit.

Viele Fragen, für die das Kartellamt zuständig ist, sind wirtschaftlich höchst sensibel. Will beispielsweise ein Unternehmen Anteile eines fremden übernehmen, mit Einfluss auf die Marktstellung des neu entstehenden Konzerns oder Unternehmens, kann das Bundeskartellamt unter Umständen hart durchgreifen. Ein Übernahmeverbot kann die Folge sein. Die geplante Übernahme will aber auch finanziert werden. Wird eine Planung zu früh in Konkurrenz-, Börsen- und Bankkreisen bekannt, steigen regelmäßig die Kosten für Gegenfinanzierung und die zur Übernahme anstehenden Unternehmensanteile.

Um die wirtschaftlichen Härten eines wettbewerbsrechtlichen Verbots durch das Bundeskartellamt zu vermeiden, hatte sich in den 1960er- und 1970er-Jahren eine informelle Beratungspraxis der Behörde eingebürgert: Man fragte erst einmal unverbindlich an, wie das Bundeskartellamt wohl auf diese oder jene Übernahmeabsicht reagieren würde. Mit seiner Dissertation legte de Maizière eine erste Untersuchung der verschiedenen informellen Abläufe in der Behörde vor, die er mit Hilfe von Fragebögen und persönlichen Gesprächen erhob, für die ihm die Abteilungen des Kartellamts und verschiedene beteiligte Unternehmen zur Verfügung standen.

Wer dem forschenden Doktoranden dabei welche Auskünfte gab, bleibt im Einzelnen regelmäßig im Dunklen. Eine solche Anonymisierung gehört aber auch in routiniert empirisch forschenden Fächern wie der Ethnologie oder Soziologie zum Standard. Skandalsucher dürften hier nicht fündig werden.

Bleibende Erkenntnisse und alte Standards

Seine empirischen Befunde arbeitet de Maizière schließlich mit Hilfe klassischer dogmatischer Schemata ab, in diesem Teil der Doktorarbeit wird sich auch heute jeder juristische Erstsemester zu Hause fühlen: Sind die informellen Verfahren zulässig? Nach welchen Normen könnten sie im späteren formellen Verfahren verbindliche Wirkungen entfalten? Ein guter Teil der Dissertation folgt also dem Dreisprung der Juristen: Norm, Tatbestand, Rechtsfolge. Ob und wie weit das nach 25 Jahren noch von Erkenntnisinteresse ist, muss hier offen bleiben – die Weiterentwicklung von positivem Recht und Dogmatik erfordert entsprechende Fachkenntnis.

Bleibende Gültigkeit haben aber womöglich einige Aussagen de Maizières, deren Herleitung nicht immer ganz klar wird. Sind es bloße Meinungen des Doktoranden, sind sie aus der juristischen Fachliteratur entnommen oder folgen sie einer (sozial-) wissenschaftlichen Analyse seiner Gespräche mit den Informanten im Kartellamt und den beteiligten Unternehmen?

Beispielsweise behauptet de Maizière, dass der hohe Grad an persönlicher Bekanntschaft unter den Managern, Rechtsberatern und Behördenmitarbeitern im jeweiligen Einzelfall einer Fusionsabsicht keinen Einfluss auf die Entscheidungen des Kartellamts habe. Zum Beleg genügt ihm das Argument, die Beteiligten würden ja später in anderen Fragen wieder zusammenarbeiten müssen, vergangene Befangenheit müsste sich dann rächen. Das mag plausibel sein. Um mehr herauszufinden, hätte es einer quantitativen Untersuchung mit statistischer Auswertung bedurft. Das leistet diese Arbeit nicht.

Auch eine weitere These de Maizières mag zeitlos gültig sein, wird aber ein bisschen apodiktisch eingeführt: Es sei nicht ratsam, zu versuchen, die informellen Verfahren in formalisierte zu überführen, weil ihre Effizienz darunter litte. Millionen deutscher Steuerzahler, die voll Neid auf die verbindlich-unverbindliche Praxis der Steuererhebung in der Schweiz blicken, werden dem beipflichten oder auch nicht.

Nach heutigen Standards akademischer Abschlussarbeiten würde man aber wohl etwas mehr theoretische Herleitung erwarten. Aber heute fänden sich auch mehr theoretische Vorarbeiten, etwa aus der ökonomischen Analyse des Rechts – die seinerzeit noch im Verdacht des Teufelswerks stand.

Quantität und Qualität

Gewachsen ist in den vergangenen 25 Jahren nicht nur das theoretische Gerüst, in das eine vergleichbare Arbeit heute eingebunden werden müsste. Vergleichsweise bescheiden nimmt sich de Maizières Dissertation heute auch von den schlichten Fakten aus: Offenbar mit der Schreibmaschine zu Papier gebracht - gelegentlicher Tipp-ex-Einsatz bürgt für eine gewisse Authentizität - dürften die 225 Seiten ihres Hauptteils rund 330.000 Zeichen umfassen. Vom Umfang und akademischen Anspruch vergleichbare Doktorarbeiten zum Wirtschaftsrecht bringen es heute auf einen bis zu doppelt so großen Umfang. Ob das dem Fortschritt der Textverarbeitung anzulasten oder dem Anspruch an Rechtsvergleichung und sozialwissenschaftliche Theorie zu verdanken ist, sei einmal dahingestellt.

Das völlige Ausblenden jeder persönlichen Eitelkeit, selbst dort, wo sie sprachlich-stilistisch oder erzähltechnisch möglich wäre, ist für akademische Arbeiten heute auch nicht mehr derart durchgängig anzutreffen. Beispielsweise gibt de Maizière eine prototypische Verhandlung zwischen einem fusionswilligen Unternehmer und dem Kartellamtsbeamten wieder. Beide Seiten tun so, als wüssten sie nicht, über welches konkrete Vorhaben sie sprächen. Man kennt diese uneigentliche Sprechweise aus zahllosen Mafiafilmen. Nicht jeder Doktorand würde heute der Versuchung widerstehen, eine solche Szene etwas farbig zu schildern. Bei de Maizière bleibt sie knochentrocken.

Kein Stoff für betlehemitische Textinquisitoren

Für den Versuch, in dieser 25 Jahre alten Dissertation Schwachstellen zu suchen, die ihren Verfasser desavouieren könnten, finden sich keine Ansätze. Das ist auch gut so. Der diskrete Umgang mit seinen anonym bleibenden Quellen mag Thomas de Maizière für höhere Ämter in Staat und Wirtschaft qualifiziert haben, soweit das nicht familiäre Herkunft und politisches Engagement schon leisteten.

Ob die Doktorarbeit von Thomas de Maizière ihn zum Bundesverteidigungsminister qualifiziert? Die Bundeskanzlerin wird man nicht fragen wollen. Dazu hat die Dame Desavourierendes geäußert. Man könnte aber auf den Gedanken kommen, dass die zwei Bundesministerien, in denen seit Jahrzehnten höchst heikle Vergabeprozesse laufen – im Arbeits- und im Gesundheitsministerium mit dem Elend der Bildungsmaßnahmen und Medizinkosten – einen Kartellrechtler vielleicht besser gebrauchen könnten.

Aber so indiskret, zu spekulieren, dass das ja noch kommen kann, will man ja nicht werden.

Martin Rath ist freier Lektor und Journalist in Köln.

Quelle:

"Die Praxis der informellen Verfahren beim Bundeskartellamt. Darstellung und rechtliche Würdigung eines verborgenen Vorgehens". Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Rechte durch den Fachbereich Rechtswissenschaft der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster, vorgelegt von Karl Ernst Thomas de Maiziere aus Bonn, 1986 [Typoskript]

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Zitiervorschlag

Martin Rath, Wissenschaftliche Leistung des Bundesverteidigungsministers: Der gute Doktor (iur.) . In: Legal Tribune Online, 19.03.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2807/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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