Sonderbundskrieg: Schweizer gegen Schweizer

von Martin Rath

10.09.2017

Liberale, die mit Gewalt die bestehende Ordnung stürzen, und konservative Katholiken, die sich verschwören. Vor 170 Jahren leistete sich die Schweiz einen kommoden Bürgerkrieg – und erprobte zudem eine moderne Militärjustiz.

Es waren die zur Gewalt bereiten Liberalen, die eine Eidgenossenschaft der zwei Geschwindigkeiten nicht dulden wollten. Im Herbst 1847 kam es in der Schweiz zu einer militärischen Auseinandersetzung, die als Sonderbundskrieg in die Geschichtsbücher einging.
Gemessen am Blutzoll des US-amerikanischen Bürgerkriegs, der 14 Jahre später beginnen sollte, handelte es sich zwar mit einigen Dutzend Todesopfern um einen fast possierlich anmutenden Konflikt zwischen den liberalen und den konservativen Kantonen – im Verfassungsschweizerdeutsch "Stände" genannt.

Als manichäischer Weltanschauungskrieg vom ersten Tag an popkulturell begleitet, findet der US-Bürgerkrieg bis heute sehr viel mehr Aufmerksamkeit als der Sonderbundskrieg der Schweizer Stände. Ganz fair ist das nicht. Denn er markierte den Wandel der Schweiz von einem Staatenverbund souveräner Territorien, die auf dem Wiener Kongress von 1815 aus der französischen Vorherrschaft entlassen worden waren, hin zu einem modernen Bundesstaat.

Man könnte diese Geschichte als Parabel auf den Prozess der europäischen Einheit erzählen. Dies soll hier nicht im Vordergrund stehen. Denn nebenbei erprobten die Schweizer während ihrer Kriegswochen ein modernes Strafrecht – in Zeiten einer unpopulär gewordenen europäischen Einheit mögen die merkwürdigen Anachronismen dieses Stücks Schweizer Geschichte vielleicht etwas Trost spenden.

Die Schweiz der zwei Geschwindigkeiten

Zur Vorgeschichte des Sonderbundskriegs, der kaum etwas anderes war als eine Verhandlung von Verfassungsgrundlagen mit den Mitteln der Waffengewalt, zählen Vorgänge, die so niedlich anmuten, dass man versucht ist, dem nächst greifbaren kleinwüchsigen Schweizer (m/w) durchs Haar zu wuscheln, oder – seriöser – das weltanschauliche Geschrei unserer Tage etwas weniger ernst zu nehmen.

So führte beispielsweise die Berufung des deutschen Gelehrten David Friedrich Strauss (1808–1874) an die erst 1833 gegründete Universität Zürich zu Aufruhr unter den konservativen Protestanten des Kantons, war Strauss doch der erste Theologe, der mit seiner Schrift "Das Leben Jesu" den christlichen Heiland nachhaltig auf den Status einer historischen Persönlichkeit zurückstutzte – im Europa des 19. Jahrhun-derts schlug dies ähnliche Wellen wie heutige Versuche, den im Islam frömmlerisch verehrten Mohammed als Mensch wie jeden anderen zu historisieren.

Die Berufung Strauss' gilt als Auslöser des sogenannten Züriputsches, mit dem sich die konservativen Kreise Zürichs über die erst 1831 beschlossene moderne liberale Verfassung erhoben, bis 1845 wieder die Liberalen Oberhand gewannen.

Auf gesamtschweizerischer Ebene entbrannte der Konflikt zwischen Liberalen und – hier überwiegend katholischen – Konservativen unter anderem um das Verbot des Jesuitenordens (eine liberale Obsession des 19. Jahrhunderts – Norwegen verbot 1814 etwa von Verfassungs wegen Juden, Jesuiten und anderen Orden den Aufenthalt) sowie um die Säkularisation der Klöster – letztere weckten mit ihrem Fundus an Landbesitz und Sachkapital überall im Westeuropa der Jahre zwischen ca. 1790 und 1850 die Begehrlichkeiten der liberalen Turbo-Kapitalisten. Hinzu kam die Stellung der Orden im Schulwesen.

Während sich die Auflösung alter zugunsten neuer Besitzstände beispielsweise im Rheinland unter französischer und dann preußischer Herrschaft geordnet in der Fläche abwickeln ließ, zog sich in der Schweiz die Konfliktlinie entlang der kantonalen Grenzen. Die konservativen Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Zug, Freiburg und das Wallis schlossen sich im Sonderbund zusammen, provoziert nicht zuletzt durch die sogenannten Freischarenzüge, die die liberale Sache zur Not auch mit Gewalt durchsetzen wollten, etwa den Ausschluss der Jesuiten aus dem Schulwesen.

Staatsrechtlich gesehen stand der Sonderbund auf schwachen Füßen, denn § 6 des Bundesvertrags von 1815 verbot solche Bündnisse. In einem rund zweiwöchigen Feldzug besetzten die Truppen der Tagsatzung – so die juristenschweizerdeutsche Bezeichnung der verfassungsmäßig handelnden liberalen Kantone – schließlich im November 1847 die Sonderbundskantone. Ein Jahr darauf konstituierte sich die Schweiz, mit britischer Rückendeckung gegen die reaktionären Preußen und Österreicher, als moderner Bundesstaat. Dies war nebenbei ein offener Bruch mit der konservativen Friedensordnung von 1815. Wer heute 'europakritisch' über Unionsrechtsbrüche lamentiert und für die abseitig-knorrige Schweiz schwärmt, kennt solcherlei Details illegal-dynamischer Verfassungsfortentwicklung vermutlich nicht.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Sonderbundskrieg: Schweizer gegen Schweizer . In: Legal Tribune Online, 10.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24415/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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