"Kaltblütig": Der Tod als Dilemma des Autors

Jochen Thielmann

03.03.2012

Es gibt nur wenige Filme, die man gleichzeitig bewundert und fürchtet. "Kaltblütig" nach dem Tatsachenroman von Truman Capote gehört in diese Kategorie. Der nüchterne Bericht der Tötung einer vierköpfigen Farmersfamilie und der anschließenden Ergreifung und Hinrichtung der Täter gönnt dem Zuschauer über die gesamte Laufzeit kaum einen Moment des befreienden Durchatmens.

Am 14. November 1959 kam es in dem kleinen Ort Holcomb (Kansas) zu einem Verbrechen, das in den gesamten Vereinigten Staaten für große mediale Aufmerksamkeit sorgte. Die Ermordung eines Farmerehepaars und seiner beiden Kinder führte auch den Schriftsteller Truman Capote aus New York in den mittleren Westen, um darüber einen Artikel zu verfassen.

Knapp sechs Wochen nach der Tat wurden zwei ehemalige Strafgefangene als Verdächtige festgenommen und legten kurz darauf ein Geständnis ab. Während sich das Interesse der Massenmedien anderen Dingen zuwandte, erkannte Capote in diesem Fall das Potential für ein noch nicht existierendes Genre, den Tatsachenroman. Er interviewte alle Beteiligten am Geschehen und beobachtete den Prozess, in dem die Täter zum Tode verurteilt wurden. Am ausführlichsten sprach er mit den beiden Tätern, denen er nach Verurteilung auch neue Verteidiger vermittelte.

Fünf Jahre lang saßen Perry Smith und Richard Hickock in der Todeszelle, bevor sie nach Ablehnung sämtlicher Gnadenanträge am 14. April 1965 gehängt wurden. Knapp ein halbes Jahr später veröffentlichte die Zeitschrift "The New Yorker" die Arbeit von Capote in vier Teilen, im Januar 1966 erschien das Buch "In Cold Blood", das sich zum Bestseller und zur literarische Sensation des Jahres 1966 entwickeln sollte. Der Schriftsteller wurde zum berühmtesten Autor der USA und unter anderem mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet.

Welterfolg auf Papier, Misserfolg auf der Leinwand

Es verstand sich von selbst, dass frühzeitig eine Verfilmung des Stoffes in Angriff genommen wurde. Die Adaption des Drehbuchautoren und Regisseurs Richard Brooks hält sich genau an die wahren Ereignisse. Und obwohl zu diesem Zeitpunkt ganz Amerika, wenn nicht sogar die ganze Welt wusste, was im November 1959 in Kansas passiert war und dass die Täter schließlich hingerichtet worden waren, gelang es Brooks, einen ungemein spannenden Film zu inszenieren, der seinem Thema vollauf gerecht wurde.

Obwohl der Film auf einem literarischen Welterfolg basierte, war es für Richard Brooks keine Überraschung, dass er kein großer finanzieller Erfolg wurde: "Viele Menschen wollen den Film nicht sehen, weil sie denken, 'Vielleicht ist er zu blutrünstig'. Und selbst wenn sie hören, dass er das nicht ist, sagen sie, 'Nun, dann ist er deprimierend', was auch stimmt. Aber er fordert die Zuschauer auch auf, sich zu identifizieren. Darum wurde er in Schwarz-Weiß gedreht, in diesem Stil, dass die Menschen nicht denken, sie schauen einen Film an, sondern eher ein Geschehen, das tatsächlich stattfindet. Darum wurde er mit fast unbekannten Leuten besetzt, was das Studio nicht wollte. Und ich wusste, sie würden das nicht tun wollen"

Doch Brooks fand ein Argument, mit dem er den Studio-Gewaltigen klarmachen konnte, dass die gewünschten Paul Newman und Steve McQueen in den Hauptrollen fehlbesetzt wären: "Schauen Sie, wenn Sie auf einer Farm leben würden und der nächste Nachbar zweihundert Meter entfernt wäre und um ungefähr ein Uhr nachts die Türklingel ginge, und Sie zur Tür gehen und Paul Newman da steht, dann würden Sie sagen, 'Paul, komm herein und trink ein Glas mit uns.' Aber wenn es ein Typ ist, den Sie nicht kennen, würde Ihr Herzschlag eine Sekunde aussetzen und Sie wünschten, Sie hätten die Tür nie geöffnet. Und genau das passiert in dieser Geschichte."

Anatomie eines Verbrechens

"Kaltblütig" ist kein klassisches Gerichtsdrama, denn nur wenige Minuten aus dem Plädoyer des Staatsanwalts werden gezeigt, weitere Szenen aus der Hauptverhandlung fehlen. Es ist die Anatomie eines Verbrechens, beginnend beim Treffen der beiden Männer im Vorfeld der Tat bis zu ihrer Hinrichtung – und damit auch ein Film über die Todesstrafe. Vor allem die Person des Perry Smith, der die tödlichen Schüsse abgegeben hatte, wird dem Zuschauer so wenig dämonisierend näher gebracht, dass dadurch bis heute eine Diskussion über die Todesstrafe auch bei zweifellos schuldigen Tätern angeregt werden kann.

Truman Capote wählte mit Bedacht einen ebenso reißerischen wie bewusst missverständlichen Titel aus, der bei oberflächlicher Betrachtung auf die sinnlose Tötung der Familie Bezug zu nehmen scheint, weil in der allgemeinen Vorstellung eine solch schreckliche Tat nur von kaltblütigen Killern durchgeführt werden kann. Je länger jedoch der Film nachwirkt, desto klarer wird, dass es sich dabei um einen intendierten Trugschluss handelt. Selbst die Überlegung, dass sowohl die Tat der späteren Todeskandidaten als auch ihre spätere Hinrichtung kaltblütig erfolgt sind, kann kaum überzeugen, denn letztendlich ist es allein die emotionslose Hinrichtung, die diesen Begriff im Wortsinne rechtfertigen kann. Was genau im Farmhaus geschehen ist, beruht auf dem Bericht von Perry Smith und illustriert dessen gestörte Psyche im Augenblick der Tat. Die Möglichkeit einer verminderten Schuldfähigkeit bleibt dabei aber genauso im Raum stehen wie ein von Beginn an geplanter Verdeckungsmord.

Für Truman Capote war die Arbeit am Buch von besonderer persönlicher Brisanz. Er wusste frühzeitig, dass er dabei war, etwas Grosses zu schaffen, das Buch aber die Hinrichtung der beiden Täter unweigerlich als Schlusspunkt brauchte, um den erhofften Eindruck zu hinterlassen. An diesem Widerspruch, einerseits auf professioneller Ebene die Exekution der Täter für das Buch quasi zu benötigen, andererseits auf persönlicher Ebene durch die vielen Gespräche ein enges Verhältnis zu einem der Männer aufgebaut zu haben, zerbrach Capote, der nie mehr ein weiteren Roman verfasste und 1984 an den Folgen seines Alkoholismus starb. Der Film "Capote" aus dem Jahre 2005 mit Philip Seymour Hoffman in der Titelrolle zeigte dieses Dilemma des Autors in herausragender Weise und ist praktisch eine Art "Making of" des Tatsachenromans, das jedermann nur zu empfehlen ist, der sich zuvor mit "Kaltblütig" (1967) beschäftigt hat.

Der Autor Jochen Thielmann ist Fachanwalt für Strafrecht im "Strafverteidigerbüro Wuppertal". Daneben hat er neben regelmäßigen Fachartikeln für Publikationen wie Strafverteidiger, Strafverteidiger Forum oder Zeitschrift für Rechtspolitik auch bereits Beiträge über Kinofilme verfasst.

Zitiervorschlag

Jochen Thielmann, "Kaltblütig": Der Tod als Dilemma des Autors . In: Legal Tribune Online, 03.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5688/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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