Der DAV regt eine umfassende Reform der Tötungsdelikte an: Mord und Totschlag sollen zwar bleiben, aber nach dem "Grad der Verantwortung" differenziert werden – und nicht wie bisher nach "täterorientierten Gesinnungsmerkmalen".
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) spricht sich für eine umfassende Reform der Tötungsdelikte (§§ 211 bis 213 Strafgesetzbuch (StGB)) aus, insbesondere zur Differenzierung von Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB).
Ein sogenanntes Eckpunktepapier des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) von November 2023 sieht zwar bereits eine sprachliche Anpassung der Strafvorschriften über die Tötungsdelikte vor, da sie "im Wesentlichen aus dem Jahr 1941 stammen und auf der Lehre vom Tätertyp beruhen". Diese Tätertypenlehre wird beispielsweise durch die Worte in §§ 211 ff. StGB "Mörder ist, wer […]" und "[…] wird als Totschläger bestraft […]" deutlich. Die Rechtslage selbst möchte das BMJ laut Eckpunktepapier aber nicht ändern.
Genau das greift dem DAV zu kurz: "Eine rein sprachliche Bereinigung löst nicht das grundlegende Problem, dass moralisierende Mordmerkmale zwingend mit einer absoluten (Freiheits-)Strafe verknüpft sind", erläutert Rechtsanwalt Prof. Dr. Bernd Müssig, Mitglied des Ausschusses Strafrecht des DAV. "Aktuell ist diese Regelung immer noch Ausdruck einer – historisch dunkel überlagerten – innerstaatlichen Feinderklärung."
2014 hieß es noch: Weg mit dem Mörder
Schon im Jahr 2014 hatte das damalige Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) eine "Expertengruppe zur Reform der Tötungsdelikte" eingesetzt. Zuvor hatte der DAV einen Reformvorschlag für die Tötungsdelikte unterbreitet: Der Mordtatbestand sollte ersatzlos gestrichen und stattdessen ein einheitlicher Tötungsparagraf eingeführt werden. Damit sollte Gesinnungsmerkmalen kein Raum mehr gegeben werden.
Diesen Regelungsvorschlag des DAV lehnte die Expertenkommission jedoch rigoros ab. Die Kommission sprach sich in ihrem Abschlussbericht im Jahr 2015 stattdessen für ein Stufenmodell mit Totschlag als Grundtatbestand und Mord als Qualifikation aus. An den Mordmerkmalen sollte sich nicht viel ändern, an der Strafzumessung aber schon: Man wollte vermehrt Möglichkeiten schaffen, von der lebenslangen Freiheitsstrafe abzuweichen, beispielsweise durch Milderungsmöglichkeiten.
Eine Reform fand trotz dieser umfassenden Diskussion nie statt. Ein Referentenentwurf aus dem Jahr 2016 wurde schon nicht mehr veröffentlicht. Das Projekt verfiel der Diskontinuität, also dem Grundsatz, dass Gesetzesvorhaben, die innerhalb einer Legislaturperiode nicht verabschiedet worden sind, nach Ablauf dieser Periode automatisch als erledigt gelten und vom neuen Parlament neu eingebracht werden müssen. Das ist aber nie geschehen.
Zehn Jahre später mahnt der DAV nun dringend eine inhaltliche Befassung mit dem Thema an.
DAV: Mord soll bleiben, aber anders ausgestaltet werden
Mit seiner Initiativstellungnahme schlägt der DAV nun ein Regelungsmodell vor, das zwischen Mord und Totschlag sachlich-rechtlich differenziert, nämlich nach dem Grad der Verantwortung. Anders als noch im Jahr 2014 plädiert der DAV also nicht mehr für die vollständige Abschaffung des Mordtatbestandes.
Ist ein Täter nach rechtlichen Kriterien "allein für die Tat verantwortlich", soll der Vorwurf des Mordes als Qualifikationstatbestand begründet sein. Eine solche alleinige Verantwortung läge beispielsweise bei Hassdelikten oder dem sogenannten Femizid vor. Sind hingegen auch entlastende Aspekte gegeben, so soll Totschlag vorliegen.
Eine nicht alleinige Verantwortung auf Täterseite – und damit Totschlag – wäre nach dem DAV-Vorschlag beispielsweise bei vorwerfbarem Vorverhalten des späteren Opfers gegeben. Greifbar wird dies etwa in der Konstellation des "Haustyrannen-Mordes", heißt es in dem DAV-Vorschlag: Die jahrelang misshandelte Frau tötet als vermeintlich letzten Ausweg ihren Partner im Schlaf. Nach aktueller Gesetzeslage ist das heimtückisch und damit als Mord zu qualifizieren. Bei Differenzierung nach Verantwortungssphären, wie es der DAV vorschlägt, wäre dies "nur" Totschlag.
Weil in diesem Fall der Strafausspruch einer lebenslangen Freiheitsstrafe in Anbetracht der besonderen Umstände als unverhältnismäßige Härte erscheint, die lebenslange Freiheitsstrafe aber beim Mord absolut ist, behilft sich der BGH nach derzeitiger Rechtslage in Fällen dieser Art mit der sogenannten Rechtsfolgenlösung. Die Täterin wird zwar gem. § 211 StGB verurteilt, analog § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird aber der Strafrahmen herabgesetzt, sodass eine zeitige Freiheitsstrafe verhängt werden kann. Dieses Griffs in die Trickkiste bedürfte es nach dem Vorschlag des DAV nicht mehr.
Totschlag als Grundtatbestand, Mord als Qualifikation
Totschlag soll damit nach dem DAV-Vorschlag der Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung sein. Die Qualifizierung zum Mord erfolgte dann auf objektiver und subjektiver Ebene.
Soweit objektiv die alleinige Verantwortung für die Tat und deren Umstände beim Täter liegt und subjektiv dessen sicheres Wissen (dolus directus) um die Tatumstände festgestellt werden kann, soll es sich um Mord handeln. Kann sicheres Wissen für die verantwortungsbegründenden Umstände nicht nachgewiesen werden oder liegt die Verantwortung für einzelne Umstände der Tat bei anderen Dritten oder beim Opfer, so soll Totschlag vorliegen.
"Die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag bliebe damit erhalten, erfolgt aber auf Grundlage rechtlicher Kriterien und nicht über täterorientierte Gesinnungsmerkmale", so DAV-Strafrechtsexperte Müssig.
Der DAV unterbreitet daher folgenden Formulierungsvorschlag:
§ 211 (Totschlag): "Wer einen Menschen tötet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft."
§ 212 (Mord): "Wer einen Menschen wissentlich unter Umständen tötet, die nur er zu verantworten hat, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft."
Lebenslang ja, aber kein Automatismus
Auch die lebenslange Freiheitsstrafe soll nach Auffassung des DAV bestehen bleiben – allerdings nicht als Automatismus. Um auch beim Mord auf der Schuldebene differenzieren zu können, soll auch hier ein Strafrahmen gelten, der die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ermöglicht, aber nicht darauf beschränkt ist. Der DAV schlägt hier eine Spanne von zehn Jahren bis lebenslange Freiheitsstrafe vor. Dies gebe den Gerichten die Möglichkeit, die Strafe im Einzelfall gerechter zu bestimmen.
Prominentes Beispiel in diesem Zusammenhang war der Fall um Marianne Bachmeier, die den mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter im Gericht von hinten erschoss und – trotz ursprünglicher Mordanklage – am Ende wegen Totschlags verurteilt wurde. Gerichte sollten in solchen Fällen nicht in die Verlegenheit kommen, die Tatbestandsmerkmale zu verbiegen, um nur irgendwie aus dem Mord-Paragraphen herauszukommen, weil die Androhung von "lebenslang" in der Gesamtschau der Tat unerträglich wäre, so der DAV. Deshalb müsse eine entsprechende Spanne im Strafmaß eingeführt werden.
In der praktischen Konsequenz bedeutet der Vorschlag für den DAV: "Die Differenzierung zwischen Mord und Totschlag bleibt erhalten – allerdings aus rechtlich begründeten Prinzipien abgeleitet. Auch die lebenslange Freiheitsstrafe kann bestehen bleiben; allerdings ist sie in einem Strafrahmen auch für den Mordtatbestand einzubetten."
DAV-Vorschlag für eine Reform der Tötungsdelikte: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54214 (abgerufen am: 08.10.2024 )
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