Die juristische Presseschau vom 27. April 2023: Geld für Justiz-Digi­ta­li­sie­rung / BVerwG zu "Mig­ra­tion tötet" / Süd­a­frika kor­ri­giert Aus­sagen zu IStGH

27.04.2023

Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat erste Gelder für die Digitalisierung der Justiz freigegeben. Das BVerwG erlaubt NPD-Wahlplakate mit dem Slogan "Migration tötet". Südafrika will doch nicht sofort aus dem Römischen Statut austreten.

Thema des Tages

Digitalisierung der Justiz: Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat für vier Projekte der Justiz-Digitalisierung insgesamt 6,1 Millionen Euro freigegeben. Die Projekte hatte das Bundesjustizministerium im Rahmen der "Digitalisierungsinitivative für die Justiz" beantragt. Erstens will das BMJ ein Online-Klageverfahren als alternativen Zugangsweg zur Ziviljustiz entwickeln. Zweitens sollen Bürger:innen mit Hilfe einer digitalen Rechtsantragsstelle künftig ihre Anliegen und Anträge einfacher zu Gericht bringen können. Drittens will das BMJ ein "Videoportal der Justiz" entwickeln, das zum bundesweiten Standard für Videoverhandlungen bei Gericht werden soll. Und viertens soll - als einziges Landesprojekt - beim Justizministerium Nordrhein-Westfalen eine "E-Justiz-Koordinierungsstelle Europa" eingerichtet werden. Für die Digitalisierungsinitiative hattte Justizminister Marco Buschmann (FDP) insgesamt 200 Mio. Euro binnen vier Jahren zugesagt. Es berichtet LTO (Markus Sehl).

Rechtspolitik

Cannabis: Auch die neuen Pläne zur Teil-Legalisierung von Cannabis stehen EU-rechtlich auf wackeligen Füßen. Zu diesem Schluss kommt Assistenzprofessor Robin Hofmann auf dem Verfassungsblog. Immerhin sei der neue Plan aber rechtlich deutlich solider als der erste Ansatz einer Total-Legalisierung. Der Autor warnt vor überhöhten Erwartungen; der Schwarzmarkt werde bestehen bleiben und damit auch die Gesundheitsrisiken. Er prognostiziert, dass es Jahre dauern werde, bis die ergänzenden regionalen Modellprojekte starten können. 

Ersatzfreiheitsstrafe: Ronen Steinke (SZ) fordert im Leitartikel erneut vehement eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe. Dass fünfzigtausend Mal pro Jahr Menschen hinter Gitter müssen, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen können, bezeichnet er als "juristischen und moralischen Totalschaden". Die Ersatzfreiheitsstrafe treffe nur Arme, Alte, Drogenabhängige und psychisch Kranke. Die von der Ampel-Koalition geplante Halbierung reiche nicht. Als Gegenmodell verweist Steinke auf die Praxis in Schweden, wo kaum jemand wegen ausstehender Geldstrafen hinter Gitter muss.

Disziplinarrecht/Extremismus: Reinhard Müller (FAZ) erörtert im Leitartikel die Pläne der Bundesregierung, extremistische Beamt:innen, Richter:innen und vielleicht auch Soldat:innen schneller aus dem Staatsdienst zu entfernen, ohne die Pläne eindeutig zu begrüßen oder abzulehnen. 

Bundespolizei/Racial Profiling: Nun berichtet auch LTO über die Pläne der Ampel-Koalition zur Novellierung des Bundespolizeigesetzes. Unter anderem soll bei verdachtsunabhängigen Kontrollen der Anspruch auf eine Kontrollquittung eingeführt werden, die sicherstellt, dass kein Racial Profiling praktiziert wird. 

Justiz

BVerwG zu "Migration tötet": Die rechtsextreme NPD durfte Plakate mit dem Slogan "Migration tötet" verwenden. Das Bundesverwaltungsgericht hat einer Klage der Partei gegen ein entsprechendes Verbot der Stadt Mönchengladbach im Europawahlkampf 2019 stattgegeben. Die mehrdeutige Parole könne so ausgelegt werden, dass sie nicht als strafbare Volksverhetzung angesehen werden muss. Die NPD hatte betont, sie meine nicht alle Migranten, sondern nur die kriminellen. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet. 

EuGH – Whistleblowing: Die EU-Kommission hat beim Europäischen Gerichtshof beantragt, dass Deutschland für die verzögerte Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie als Strafe einen Pauschalbetrag von mindestens 17,247 Mio. Euro bezahlen muss, plus 62.500 Euro für jeden Tag ab der Umsetzungsfrist am 17. 12. 2021. Für den Fall, dass Deutschland seiner Verpflichtung bis zum Ende des EuGH-Verfahrens nicht nachkommt, hat die EU-Kommission vorsorglich die Verhängung eines Zwangsgeldes in Höhe von 240.240 Euro pro Tag ab Verkündung des EuGH-Urteils beantragt. Dies teilte das Bundesjustizministerium auf Anfrage des CDU-Abgeordneten Martin Plum mit. Die FAZ (Marcus Jung/Hendrik Kafsack) berichtet. 

OVG S-A zu Waffenbesitz von AfD-Mitglied: Die bloße Mitgliedschaft in der AfD hat noch nicht die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit zur Folge, hat das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt in einem Eilverfahren entschieden. Laut Waffengesetz komme es u.a. darauf an, ob jemand in einer Partei Mitglied ist, deren Verfassungswidrigkeit feststehe. Es genüge daher nicht, dass das sachsen-anhaltinische Landesamt für Verfassungsschutz die AfD in diesem Bundesland als "Verdachtsfall" einstuft. LTO berichtet. 

OLG Frankfurt/M. zu nacktem Vermieter: Dass der Vermieter von Büroräumen sich nackt auf einer Liege im Hinterhof sonnt, rechtfertigt keine Minderung der Miete für eine Büroetage, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. Weder sei dies eine "grob ungehörige Handlung" im Sinne von § 118 OWiG noch werde die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache beeinträchtigt. Der nackte Vermieter sei von der Büroetage aus nur zu sehen, wenn man sich weit aus dem Fenster herausbeugt, so das Gericht. Es berichten spiegel.de und LTO.

OLG Frankfurt/M – PKK-Kader: Seit über einem Jahr wird vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. gegen einen Gebietsverantwortlichen der kurdischen Terrrororganisation PKK verhandelt. Er soll in einem Jahr fast eine Million Euro Spendengelder für die PKK gesammelt haben. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vor und plädierte auf eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Die Verteidigung fordert Freispruch, weil die PKK das Geld überwiegend für Öffentlichkeitsarbeit in Westeuropa ausgebe. Sie beruft sich zudem auf ein Urteil des obersten belgischen Strafgerichts, wonach die PKK keine Terrororganisation, sondern eine völkerrechtliche Konfliktpartei sei. Das Urteil wird am 11. Mai erwartet. Die Zeit (Simon Langemann) berichtet ausführlich.

VG Berlin – Gerhard Schröders Büro: Am 4. Mai wird das Verwaltungsgericht Berlin über eine Klage von Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) verhandeln, der von der Bundesrepublik verlangt, dass sie ihm auch künftig ein Büro zur Verfügung stellt. Der Anspruch ergebe sich aus Staatspraxis, Gewohnheitsrecht und Art. 3 Grundgesetz. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hatte ihm das Büro im Vorjahr entzogen, weil Schröder keine Pflichten mehr wahrnehme, die aus seinem früheren Amt als Bundeskanzler herrührten. Dies bestreitet Schröder. Es berichtet die SZ (Georg Ismar)

LG Köln zu Woelki-Berichterstattung: Die Bild-Zeitung darf nicht mehr berichten, dass der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki bei der Beförderung eines umstrittenen Priesters über dessen belastende Personalakte und eine Warnung der Polizei informiert war. Diese Äußerungen der Zeitung seien so erheblich und ehrenrührig, dass die Zeitung die Behauptungen hätte beweisen müssen, was ihr vor Gericht aber nicht gelang. Es berichten SZ (Christian Wernicke/Annette Zoch), taz (Stefan Hunglinger) und LTO.

LG München I – "Badewannenmord": Zu Beginn des wiederaufgenommenen Mordprozesses gegen den Hausmeister Manfred Genditzki verlas dessen Anwältin Regina Rick eine Erklärung des Angeklagten, wonach dieser völlig unschuldig sei. Fragen des Gerichts beantwortet Genditzki jeweils nach Rücksprache mit seiner Verteidigerin. Für den Prozess sind 20 Verhandlungstage angesetzt. Es berichten SZ (Hans Holzhaider), taz (Dominik Baur) und spiegel.de (Julia Jüttner)

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Im Prozess um den Wirecard-Betrug sagte der US-Manager James Freis aus, der nach dem Rücktritt von Markus Braun im Juni 2020 für drei Monate Vorstandsvorsitzender von Wirecard wurde. Ihm sei damals sofort klar gewesen, dass es die angeblichen 1,9 Mrd. Euro auf philippinischen Treuhand-Konten nicht gegeben haben konnte. Es berichten SZ (Johannes Baur) und LTO

LG München II – Ex-Audi-Chef Stadler: Nach einem erneuten nicht-öffentlichen Rechtsgespräch konkretisierte der Vorsitzende Richter Stefan Weickert das Angebot an den wegen Betrugs angeklagten Ex-Audi-Chef Rupert Stadler. Bei einem Teilgeständnis könne Stadler mit einer Bewährungsstrafe von 18 bis 24 Monaten und einer Geldauflage von 1,1 Millionen Euro rechnen. Sowohl Stadler als auch die Staatsanwaltschaft erbaten sich Bedenkzeit bis zum 3. Mai. Die Staatsanwaltschaft hält eigentlich eine Geldauflage von zwei Millionen Euro für angemessen. Stadlers Anwälte behaupten dagegen, dass Stadler kein Vermögen mehr besitze. Es berichtet die FAZ (Henning Peitsmeier/Marcus Jung)

AG Berlin-Tiergarten zu Klimaprotesten: Zum ersten Mal hat ein Berliner Gericht eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung gegen eine Aktivistin der Letzten Generation verhängt. Die 24jährige Maja Winkelmann wurd zu einer Freiheitstrafe von vier Monaten verurteilt. Eine Straßenblockade mit Festkleben wurde als versuchte Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gewertet. Das Festkleben am Rahmen eines Cranach-Bildes in der Berliner Gemäldegalerie stufte das Gericht als gemeinschädliche Sachbeschädigung ein. Auch der Rahmen gehöre zum Gemälde, unabhängig von seinem konkreten Wert. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet. 

AG Berlin-Tiergarten – rassistischer Angriff auf Dilan Sözeri: spiegel.de (Jonas Fedders/Hannes Schrader) berichtet ausführlich über den Prozess gegen sechs Personen, die die 17-jährige Dilan Sözeri in der Straßenbahn rassistisch beleidigten bzw. nach dem Aussteigen schlugen. "Sie haben mit mir geredet, als hätte ich einen geringeren Wert als sie", sagt die Opferzeugin vor Gericht.

StA Koblenz – Körperverletzung in Kita: Die SZ (Rainer Stadler) schildert in ihrer Seite 3-Reportage ausführlich, dass die Staatsanwaltschaft Koblenz ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Erzieherinnen ablehnte. Sie waren von den Eltern eines vierjährigen Mädchens angezeigt worden, nachdem dieses den Eltern von gewaltsamen Bestrafungsaktionen (u.a. mit Wäscheklammern) berichtete. 

Recht in der Welt

IStGH/Südafrika: Südafrikas Regierungspartei ANC hat klargestellt, dass sie nicht den "unmittelbaren" Austritt des Landes aus dem römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs beschlossen hat. Es habe sich hier um einen "Kommunikationsfehler" gehandelt. Es berichten SZ (Bernd Dörries) und taz (Lutz van Dijk).

USA – Trump/E. Jean Carroll: Im Zivilprozess vor einem Gericht in New Yorker hat die heute 79-jährige Autorin E. Jean Carroll geschildert, wie sie von Donald Trump Mitte der 1990er-Jahre in der Umkleidekabine eines New Yorker Kaufhauses vergewaltigt wurde. spiegel.de berichtet. 

USA – Notwehr: Die FAZ (Christiane Heil) schildert drei Fälle von tödlicher Waffengewalt im Zusammenhang mit vermeintlichen Notwehrlagen und entsprechenden "Stand your Ground"-Gesetzen. Die Opfer waren in eine falsche Einfahrt eingefahren, hatten am falschen Haus geklingt oder versucht in das falsche Auto einzusteigen und waren für Einbrecher und Diebe gehalten worden. 

Sonstiges 

Arbeitsmarkt für Diplomjurist:innen: LTO-Karriere (Franziska Kring) setzt einen überblick über die Berufsschancen für Jurist:innen mit erstem Staatsexamen (Diplom-Jurist:innen) fort und berichtet über Einsatzmöglichkeiten in der Unternehmensberatung, in der Litigation-PR, in Verlagen, im öffentlichen Dienst oder im Auswärtigen Amt. 

Das Letzte zum Schluss

Autodieb im Stau: Ein Mann, der in Aachen einen Transporter gestohlen hatte, konnte von der Polizei leicht gefasst werden, berichtet spiegel.de, weil das Fahrzeug über GPS ortbar war und in einem Stau feststeckte. 

 

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LTO/chr

(Hinweis für Journalist:innen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. April 2023: Geld für Justiz-Digitalisierung / BVerwG zu "Migration tötet" / Südafrika korrigiert Aussagen zu IStGH . In: Legal Tribune Online, 27.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51643/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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