Die juristische Presseschau vom 13. September 2023: Anhörung zu Jus­tiz­re­form / Cyberbunker-Urteil bestä­tigt / Unbe­liebtes Jura-Stu­dium

13.09.2023

Am Obersten Gericht Israels begann die Anhörung zu einem Teil der Justizreform. Der BGH bestätigte die Verurteilungen im Cyberbunker-Verfahren. Jura-Studierende können ihre Studienwahl laut Umfrage nur bedingt weiterempfehlen.

Thema des Tages

Israel – Justizreform: Am Obersten Gericht Israels hat die Anhörung zur parlamentarisch beschlossenen Aufhebung der sogenannten Angemessenheits-Klausel begonnen. Das Gericht verhandelte über acht dagegen gerichtete Petitionen und kam erstmals in der Geschichte des Landes mit allen 15 Richter:innen zusammen. In der von enormem medialen Interesse verfolgten Verhandlung ließ das Gericht Vorbehalte gegen diesen wichtigen Bestandteil der Justizreform erkennen. So habe Richter Isaac Amit argumentiert, dass Demokratie "in einer Serie kleiner Schritte" sterben könne. Richterin Anat Baron hat den Regierungsvertreter Ilan Bombach gefragt, wer berufen sei, Gesetze, die das Wahlrecht einschränkten, zu überprüfen. Nach Ansicht des Befragten sei dies die Aufgabe des Souveräns bzw. seiner gewählten Verteter. Der Vorsitzende des parlamentarischen Justizausschusses habe in seinen Ausführungen nahegelegt, dass es nicht Aufgabe einer "privilegierten oligarchischen Gruppe" auf Richterbänken sein könne, über ihre eigenen Befugnisse zu befinden. Mit einer Entscheidung ist wohl erst in einigen Wochen oder Monaten zu rechnen. Über die Verhandlung berichten FAZ (Christian Meier), SZ (Peter Münch), LTO, zeit.de (Steffi Hentschke).

Die SZ (Ronen Steinke) erinnert an die "Marbury v. Madison"-Entscheidung des US-amerikanischen Supreme Courts, in der 1803 weltweit erstmals das Letztentscheidungsrecht der Judikative gegenüber Festlegungen von Exekutive und Legislative erarbeitet wurde. In Israel habe erst die "Mizrahi Bank"-Entscheidung von 1995 das Recht des Obersten Gerichts bestimmt, "verfassungsrechtliche Leitplanken zu definieren." In Großbritannien etwa, das ebenso wie Israel keine geschriebene Verfassung besitzt, sei die Frage nach wie vor ungeklärt. Die von der jetzigen israelischen Regierung verfolgte Methode der Entmachtung eines Verfassungsgerichts mit Prüfkompetenz entspreche wohl am ehesten dem in Ungarn gewählten Verfahren: Dort habe die Regierung  Orban bereits 2013 eine entsprechende Verfassungsänderung initiiert.

Nach Meinung von Felix Wellisch (taz) haben die Einlassungen der Regierungsvertreter deren zweifelhaftes Demokratieverständnis belegt. "Fundamentale Elemente wie Gewaltenteilung" oder Menschen- und Minderheitenrechte zählten "für sie wenig."

Rechtspolitik

Unterhalt: Im Leitartikel begrüßt Wolfgang Janisch (SZ) das Ende August veröffentlichte Eckpunktepapier des Justizministeriums zur Reform der Unterhaltsleistungen für Kinder im asymetrischen Wechselmodell. Zwar dürfte die angedachte finanzielle Entlastung mitbetreuender Elternteile dazu führen, dass in der Regel Väter weniger zahlen müssen und dass das für den Unterhalt des Kindes zur Verfügung stehende Budget insgesamt sinken dürfte. Jedoch folge der damit verbundene, in der Regel Mütter betreffende Anreiz, (wieder) mehr zu arbeiten, der "historischen Entwicklung des Unterhaltsrechts" und fördere so Eigenverantwortung.

Klimaschutz: Der emeritierte Rechtsprofessor Wolfgang Hecker verteidigt im Verfassungsblog die von der Bundesregierung geplanten Änderungen des Klimaschutzgesetzes gegen den Vorwurf, sie verstießen gegen den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts. Zwar sei nachvollziehbar, wenn die Abschwächung der Sektorenziele klimapolitisch kritisch beurteilt würde. Das BVerfG habe in seinem Beschluss aber nicht vom sogenannten Evidenzmaßstab Abstand genommen, nach dem Maßnahmen nur dann als Verstoß gegen Schutzpflichten zu verwerfen seien, wenn sie gänzlich ungeeignet sind oder der Gesetzgeber vollständig untätig geblieben ist. Darüber hinaus enthalte er ein Abwägungsgebot, das Klimaschutzbelangen ein großes Gewicht einräume.

Korruption: Rechtsprofessor Michael Kubiciel macht im Recht und Steuern-Teil der FAZ auf notwendige Anpassungen des nationalen Strafrechts infolge der jüngst vorgestellten Antikorruptionsstrategie der EU aufmerksam. Die Strategie und der entsprechende Kommissions-Vorschlag einer EU-Richtlinie bezweckten die Zurückdrängung "klandestiner Einflussnahme autokratischer Staaten". Zu diesem Zweck sei die Schaffung spezieller, institutionell unabhängiger Korruptionsbekämpfungsstellen erforderlich. Auch die Strafnorm zur Bestechlichkeit von Mandatsträgern nach § 108e Strafgesetzbuch müsse inhaltlich erweitert werden.

Gesetze in eigener Sache: Rechtsprofessor Heinrich Lang macht sich im Verfassungsblog in einem ausführlichen Beitrag grundsätzliche rechtstheoretische Gedanken darüber, warum für die Legislative Ausschließungs- und Befangenheitsregeln zu fehlen scheinen. Die Verfassungsrechtsprechung setze zwar in Wahlrechtsfragen gewisse Grenzen, die aber noch wenig ausgelotet scheinen.

Justiz

BGH zu Cyberbunker: Die vormaligen Betreiber – sieben Männer und eine Frau – des sogenannten Cyberbunkers in Rheinland-Pfalz sind nun rechtskräftig verurteilt. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Verurteilung der Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Beteiligung an einer auf besonders schwere Straftaten gerichteten kriminellen Vereinigung, berichten LTO und tagesschau.de (Kolja Schwartz). Einen darüber hinaus gehenden Schuldspruch auch wegen Beihilfe zu den über das von den Angeklagten betriebene Rechenzentrum begangenen Straftaten – wie von der Revision der Staatsanwaltschaft gefordert – lehnte der BGH ab. Den Angeklagten sei kein entsprechender Vorsatz nachzuweisen. Das Landgericht Trier müsse jedoch erneut über die – erstinstanzlich verworfene – Einziehung einer Vielzahl von Ausstattungsgegenständen verhandeln. 

Der SWR-RadioReportRecht (Klaus Hempel/Gigi Deppe) widmet dem Fall seine dieswöchige Ausgabe und erinnert hierbei auch an den enormen Ermittlungsaufwand und die spektakuläre Festnahme im Rahmen der größten jemals durchgeführten Aktion gegen Cyberkriminalität in Deutschland. Vermutlich sei man am Landgericht Trier erleichtert, ein Mammutverfahren von 79 Verhandlungstagen nicht erneut aufrollen zu müssen.

LAG Düsseldorf zu Alkoholexzess mit Wein des Arbeitgebers: Nach Einschätzung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf stellt es eine schwere Pflichtverletzung dar, nach Abschluss einer Firmenfeier in den betrieblichen Weinkeller einzusteigen, dort für den Verkauf bestimmte Flaschen zu leeren und sich anschließend noch im Firmengelände zu übergeben. Die fristlose Kündigung des nordhein-westfälischen Außendienstmitarbeiters einer baden-württembergischen Winzerei-Genossenschaft – der sich all dies hatte zuschulden kommen lassen – erfolgte damit nach Ansicht des LAGs zurecht. Die Beklagte habe sich gleichwohl auf eine zuvorkommende Kostenregulierung des Verfahrens und eine einvernehmliche Trennung vom Kläger geeinigt, schreibt LTO (Tanja Podolski) in einer ausführlichen Darstellung des ungewöhnlichen Falls.

VG Koblenz zu Ahrtahl-Katastrophe: Der Wiederaufbau eines bei der Ahrtalflut von 2021 zerstörten Campingplatzes ist nach einem Ende August verkündeten und nun veröffentlichten Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz genehmigungspflichtig. Der vom Kläger geltend gemachte Bestandsschutz sei infolge der Zerstörungen erloschen, so LTO über die Entscheidung.

Recht in der Welt

Bosnien-Herzegowina – Milorad Dodik: Der Oberste Gerichtshofs Bosnien-Herzegowinas hat eine Anklage gegen den Präsidenten der Teilrepublik Srpska, Milorad Dodik, wegen Amtsmissbrauchs zugelassen. Die Verfassungskrise im Land hat damit ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht, schreibt die taz (Erich Rathfelder). Anlass der Anklage sei die Anordnung Dodiks, Erlasse des Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft nicht mehr im Amtsblatt der Teilrepublik veröffentlichen zu lassen. Die Anordnung erfolgte, nachdem der Repräsentant Christian Schmidt ein Gesetz aufgehoben hatte, wonach in der serbischen Teilrepublik Urteile des Verfassungsgerichts des Landes keine Gültigkeit besitzen.

USA – Google/Kartellrecht: Über das in Washington eröffnete Kartellverfahren der US-Regierung gegen den Suchmaschinenbetreiber Google berichtet nun auch netzpolitik.org (Hasset Tefera-Alemu). Das letzte vergleichbar große Kartellverfahren habe Microsoft vor mehr als zwei Jahrzehnten zwar zum Teil gewonnen, jedoch seine Systeme teilweise für die Konkurrenz öffnen müssen. Dies drohe auch Google.

USA – Joe Biden/Amtsenthebung: Der republikanische Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, hat angekündigt, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Joe Biden einleiten zu wollen. Grund seien "glaubhafte Anschuldigungen", nach denen Biden an illegalen Geschäften seines Sohnes Hunter beteiligt sei, zitiert spiegel.de McCarthy.

Philippinen – Maria Ressa: Die philippinische Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa ist in Manila vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen worden. Die Entscheidung stelle einen wichtigen "Etappensieg auf einer langen mühsamen Strecke" dar, schreibt die SZ (Arne Perras). Ressa, die sich vor allem mit ihren Reportagen über die gewaltvollen Exzesse des früheren Präsidenten Rodrigo Duerte einen Namen gemacht hatte, kämpfe immer noch gegen eine Anklage wegen Verleumdung und die behördlich angeordnete Schließung des von ihr gegründeten Nachrichtenportals.

Juristische Ausbildung

Jura-Studium: Nur ein Drittel der Jura-Studierenden würde ihre Studienwahl weiterempfehlen. Zu diesem Ergebnis gelangte eine Online-Umfrage unter Absolvent:innen des ersten Staatsexamens, die vom Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften durchgeführt wurde. Die Teilnehmenden sprachen sich dabei mit großer Mehrheit für die Einführung einer Bachelor-Option im Studium aus. Dieses und andere Ergebnisse der Umfrage berichtet LTO-Karriere.

Sonstiges

Häusliche Gewalt: Die Familenrechtsanwältin Asha Hedayati als Autorin des jüngst erschienen Buches "Die stille Gewalt" stellt nun auch in einem Gespräch mit spiegel.de (Juliane Löffler/Lisa Duhm) ihre These eines systematisch gegen weibliche Opfer häuslicher Gewalt gerichteten Systems vor. Der durch Behörden, Justiz und Politik repräsentierte Staat schaffe es weiterhin nicht, Frauen vor Gewalterfahrungen zu schützen. Er sei vielmehr mitverantwortlich für ein gesellschaftliches Klima, in dem Frauen in wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse gedrängt werden, aus denen sie auch bei tatsächlichen Übergriffen nur unter größten Schwierigkeiten entkommen könnten.

Juris: Der Parlamentarische Justiz-Staatssekretär Benjamin Strasser (FDP) begründete die Abberufung des Sprechers der Geschäftsführung der Juris GmbH damit, dass das erforderliche Vertrauensverhältnis nachhaltig belastet gewesen sei, insbesondere durch die Vorgänge um das Online-Magazin Libra und eine spätere Stellenanzeige. Der CDU-Abgeordnete Martin Plum schließt hieraus, dass der Bundesjustizminister "keine ausreichende Kontrolle über das Unternehmen hatte“. Es berichtet die FAZ (Jochen Zenthöfer).

Unschuldsvermutung und Presserecht: In einem Kommentar legt Alan Posener (Welt) dar, dass die auch in der Flugblatt-Affäre Hubert Aiwangers (Freie Wähler) oft bemühte Unschulsvermutung trotz ihres verfassungsrechtlichen Ranges nicht im Presserecht gelte. Medien dürften über konkrete Verdachtsmomente berichten, solange sie die Regeln der Verdachtsberichterstattung einhalten, d.h. u.a. dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme geben.

Cum-Ex-U-Ausschuss Hamburg: Der Hamburger Untersuchungsausschuss zu möglichen Einflussnahmen des Senats zugunsten des Cum-Ex-belasteten Bankiers Christian Olearius hat sich erneut brieflich an den nordhein-westfälischen Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) gewandt. Vorherige Aufforderungen, dem Ausschuss Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Köln zu übermitteln, waren über den Sommer zwar scheinbar erfüllt worden, schreibt das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier). Die Daten betrafen jedoch nicht die von Olearius geleitete Warburg-Bank, sondern die HSH Nordbank. Die angeforderten Daten sollten nun bis zum 20. September übersandt werden, fordere der Briefverfasser Richard Seelmaecker (CDU).

Kinogänger Carl Schmitt: In ihrem Geisteswissenschaften-Teil stellt die FAZ (Lorenz Jäger) einen neuen Beitrag der "Plettenberger Miniaturen" vor, in dem die herausgebende Carl-Schmitt-Gesellschaft das Verhältnis des problematischen Staatsrechtlers zum Filmgeschehen der Weimarer Republik beleuchtet. Schmitt sei in dieser Lebensphase fasziniert vom neuen Medium gewesen und habe etwa "Die Passion der Jungfrau von Orleans" zwölf mal gesehen. In Tagebucheinträgen habe er dann seine "Hypnotisierbarkeit" thematisiert.

Das Letzte zum Schluss

Fundsache: Dreieinhalb Jahre nach dem Diebstahl des van Gogh-Gemäldes "Frühlingsgarten, der Pfarrgarten in Nuenen im Frühling" aus einem coronabedingt geschlossenen niederländischen Museum ist das Kunstwerk wieder aufgetaucht. Einem bekannten Kunstdetektiv sei das Gemälde am Montag übergeben worden - laut spiegel.de verpackt in Luftpolsterfolie und in einem blauen Ikea-Beutel.

 

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LTO/mpi/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. September 2023: Anhörung zu Justizreform / Cyberbunker-Urteil bestätigt / Unbeliebtes Jura-Studium . In: Legal Tribune Online, 13.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52693/ (abgerufen am: 08.05.2024 )

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