Roland Rechtsreport 2024: Die Deut­schen kri­ti­sieren ihre Justiz

von Charlotte Hoppen

12.03.2024

Zu lange Gerichtsverfahren, zu milde Urteile und Ungleichheiten vor Gericht: Laut dem aktuellen Roland Rechtsreport haben die Deutschen einiges an der Justiz auszusetzen. Immerhin: Sie ist beliebter als die Bundesregierung.

Deutschlands Bürger bringen der hiesigen Justiz im Vergleich zu anderen staatlichen Akteuren zwar ein hohes Vertrauen entgegen. Insgesamt stellen sie ihr jedoch nur ein durchwachsenes Zeugnis aus. Unter anderem dieses Ergebnis geht aus dem am Dienstag veröffentlichten Rechtsreport 2024 der Roland Rechtsschutzversicherung hervor.

Bereits seit 2010 ermittelt der Versicherer die öffentliche Meinung zum deutschen Rechtssystem und zu ausgewählten, rechtspolitischen Schwerpunktthemen. Dazu führte 2024 in seinem Auftrag das Institut für Demoskopie Allensbach 1.013 Interviews mit einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ab 16 durch.

Der rechtspolitische Fokus lag in diesem Jahr auf der Einstellung der Bevölkerung zum Zustand der Gesellschaft: Wovon hängt die weitere Entwicklung Deutschlands ab? Was gefährdet den Zusammenhalt in der Gesellschaft? Wie steht es um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern?

Hohes Vertrauen in das deutsche Rechtssystem

67 Prozent der Bürger geben an, dass sie deutschen Gerichten und Gesetzen im Vergleich zu anderen Institutionen und Akteuren erst einmal hohes Vertrauen entgegenbringen. Höhere Werte erzielen lediglich kleine und mittlere Unternehmen (72 Prozent) sowie die Polizei (82 Prozent). Der deutsche Rechtsstaat landet damit auf dem dritten von zehn Plätzen.

Deutlich weniger Vertrauen bringen die Bürger in diesem Ranking anderen Institutionen entgegen: Die Vertrauenswerte der Kirche liegen bei 25 Prozent und nur 23 Prozent geben an, noch "viel Vertrauen" in die Ampelkoalition zu haben. Die Bundesregierung bildet damit das Schlusslicht unter den in der Befragung zur Auswahl stehenden Institutionen. Ihr Abwärtstrend hat sich damit weiter verfestigt: Im Jahr 2023 lag der Wert laut dem damaligen Rechtsreport noch bei 36 Prozent. In der frühen Phase der Corona-Pandemie lag das Vertrauen in die Bundesregierung sogar bei 57 Prozent.

Wenig Respekt vor Richtern, wenig Wertschätzung für Arbeit der Gerichte

"Das Vertrauen der Bürger in das deutsche Rechtssystem befindet sich seit zehn Jahren auf einem stabil hohen Niveau", heißt es in der diesjährigen Auflage des Reports. Das lässt erst einmal Gutes hoffen. Die Justiz kommt aber nur auf den ersten Blick gut weg. Schaut man genauer hin, tun sich einige Abgründe auf.

So bemängeln 82 Prozent der Deutschen, dass Verfahren in Deutschland zu lange dauern. 77 Prozent sind überzeugt, dass die Gerichte überlastet sind. Außerdem bestehen Zweifel an der Gleichbehandlung in Gerichtsverfahren: So glauben 62 Prozent der Befragten, dass ein günstiges Urteil wahrscheinlicher ist, wenn ein bekannter Anwalt vor Gericht auftritt. 58 Prozent meinen, dass insbesondere das Strafmaß vom jeweiligen Richter abhängt.

Circa 50 Prozent der Befragten monieren, dass deutsche Gerichte zu milde urteilten. Gegenüber jugendlichen Straftätern wünschen sich 60 Prozent ein härteres Durchgreifen der Gerichte. Und schließlich kritisieren über die Hälfte der Befragten, dass die deutschen Gesetze zu kompliziert und für normale Bürger schwer zu verstehen seien.

Zudem stimmen nur wenige der Befragten positiven Aussagen über die deutsche Justiz zu: Nur 32 Prozent geben an, dass sie großen Respekt vor Richtern haben. Nur 30 Prozent glauben, dass die Gerichte gewissenhaft und gründlich arbeiten. Und lediglich 27 Prozent möchten sich darauf verlassen, dass bei Gerichten alles mit rechten Dingen zugeht.

Hohes Vertrauen, aber harsche Kritik: ein Widerspruch?

Wie lässt sich erklären, dass 67 Prozent der Befragten "hohes Vertrauen" in die Justiz haben, sich aber nur 27 Prozent darauf verlassen, dass bei Gerichten alles mit rechten Dingen zugeht? Wie passt das zusammen?

Auf Nachfrage von LTO erklärt der Studienleiter, dass darin kein Widerspruch zu sehen sein müsse. So hätten die Umfrageteilnehmer bei der Frage nach dem Vertrauen eine Liste von zehn staatlichen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Institutionen vorgelegt bekommen. Zur Auswahl standen neben dem Rechtssystem (Gesetze und Gerichte) etwa mittlere und kleine Unternehmen, die Polizei und große Wirtschaftsunternehmen, aber auch Gewerkschaften, Zeitungen, die Verwaltung, die Medien, die Kirche und die Bundesregierung. Hierbei gaben dann über zwei Drittel der Befragten an, "sehr viel" oder "ziemlich viel" Vertrauen in die Gesetze und Gerichte zu haben.

Dass im weiteren Verlauf der Umfrage dann aber teils sehr harsche Kritik an der Justiz geäußert wird, die doch vorher im Vergleich zu anderen Akteuren noch so gut abgeschnitten hat, hat offenbar mit dem Untersuchungs-Design und den Fragestellungen zu tun. Nach der allgemeinen Eingangsfrage, wie viel Vertrauen die Befragten in das Rechtssystem haben, sind die Antwortmöglichkeiten bei den Folgefragen im Laufe der Untersuchung immer konkreter geworden.

Es lässt sich im Ergebnis festhalten: Im Vergleich zur Bundesregierung, zu großen Wirtschaftskonzernen und der Kirche ist die Justiz ganz schön beliebt. Bei der alltäglichen Arbeit am Gericht hapert es jedoch aus Sicht der Bevölkerung – und das teils gewaltig.

Weniger Bürger vor Gericht

Ob mit dieser Kritik auch zusammenhängt, dass immer weniger Bürger den Weg vor Gericht gehen?

Denn nicht einmal ein Viertel (23 Prozent) der Befragten war in den vergangenen zehn Jahren an einem Gerichtsprozess beteiligt – sei es als Zeuge, Kläger oder Beklagter. In den Jahren 2011 bis 2015 waren es noch 29 Prozent. Dieser Befund deckt sich auch mit den Angaben aus offiziellen Statistiken, aus denen hervorgeht, dass die Fallzahlen vor deutschen Zivilgerichten seit einigen Jahren rückläufig sind. So wurden in Deutschland im Jahr 2008 vor den Amtsgerichten in Zivilsachen 1.260.064 Verfahren erledigt, während es im Jahr 2022 nur noch 716.538 Verfahren waren, wie sich aus den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts ergibt. Die Einkommensklasse hat laut dem Report dabei nur einen geringen Einflussfaktor auf die Beteiligung an einem Rechtsstreit.

Die Kritik der Befragten – insbesondere der Eindruck, dass viele Verfahren zu lange dauerten und die Gerichte oft uneinheitlich entschieden – ist laut der Untersuchung eine der Ursachen für die stetig abnehmende Zahl an Bürgern, die Hilfe vor Gericht suchen. Daneben spielt aber auch die außergerichtliche Streitbeilegung eine große Rolle.

Mit den sinkenden Eingangszahlen bei den Amtsgerichten hängen auch die aktuellen Bestrebungen zusammen, die Zuständigkeiten der Amtsgerichte zu stärken. Der entsprechende Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums sieht insbesondere vor, die Streitwertgrenze in Zivilverfahren von 5.000 Euro auf 8.000 Euro anzuheben. Daneben sollen auch die streitwertunabhängigen Zuständigkeiten ausgeweitet werden, beispielsweise nachbarrechtliche Streitigkeiten den Amtsgerichten zugewiesen sein.

Deutsche für die Zukunft pessimistisch

Insgesamt schaut die Bevölkerung pessimistisch in die Zukunft: Laut dem Roland Rechtsreport sorgt vor allem die derzeitige wirtschaftliche Entwicklung des Landes für schlechte Laune. Hinzu kommen mit der Inflation, den steigenden Asylbewerberzahlen, dem Krieg in der Ukraine und dem Nahost-Konflikt weitere Krisen, bei denen eine Besserung aus Sicht der Bevölkerung auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist.

85 Prozent der Befragten meinen, dass eine positive Zukunft Deutschlands vor allem von der weiteren Entwicklung der wirtschaftlichen Lage abhängt. Aber auch der gesellschaftliche Zusammenhalt besorgt Bürger: 79 Prozent der Befragten halten unsere Gesellschaft für tief gespalten. Als größte Bedrohung sehen sie neben Hass und Hetze (69 Prozent) und Falschinformationen im Internet (64 Prozent) vor allem den Zuzug von Flüchtlingen (69 Prozent) sowie den Abstand zwischen Arm und Reich (67 Prozent). Aber auch extreme Parteien (62 Prozent) und religiöser Extremismus (60 Prozent) seien eine Bedrohung für das Miteinander. In der mangelnden Gleichberechtigung von Männern und Frauen sehen hingegen nur 21 Prozent eine Bedrohung für den Zusammenhalt. Dabei ist jeder dritte Bürger dem Report nach überzeugt, dass Männer und Frauen in der deutschen Gesellschaft nicht gleichberechtigt behandelt werden.

Den vollständigen Roland Rechtsreport 2024 mit allen Zahlen gibt es im Laufe des Tages hier zum Herunterladen.

Zitiervorschlag

Roland Rechtsreport 2024: Die Deutschen kritisieren ihre Justiz . In: Legal Tribune Online, 12.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54077/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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