Der Umbau des polnischen Justizsystems wird seit Jahren massiv kritisiert. Federführend an den Reformen beteiligt ist der Justizminister, der zugleich Generalstaatsanwalt in Polen ist. Das gefährdet laut Generalanwalt die Gewaltenteilung.
Die Befugnisse des polnischen Justizministers verstoßen nach Ansicht eines Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Teilen gegen EU-Recht. Mit Blick auf die Rolle des Ministers bei der Abordnung von Richtern sprach Generalanwalt Michal Bobek in seinem Schlussantrag vom Donnerstag von "Anlass zu großer Sorge". Die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative sei nicht garantiert, weshalb die Gefahr politischer Einflussnahme bestehe (Schlussantrag vo 20.5.2021, Rechtssachen C-748/19, C-749/19, C-750/19, C-751/19, C-752/19, C-753/19, C-754/19).
Die Justizreformen von Polens nationalkonservativer PiS-Regierung stehen schon länger in der Kritik. Die EU-Kommission, die in der Staatengemeinschaft die Einhaltung von EU-Recht überwacht, hat mehrere Verfahren gegen Warschau eingeleitet. Sie sieht die Unabhängigkeit polnischer Richter gefährdet. Der EuGH urteilte mehrfach gegen Polen. Warschau weist die Kritik stets zurück. Erst kürzlich hat ein EuGH-Generalanwalt die Disziplinarregelungen für polnische Richterinnen und Richter ebenfalls kritisiert.
Auch am Donnerstag fiel die Reaktion eindeutig aus. Das Prinzip der Richter-Abordnung existiere seit 2002, schrieb Vize-Justizminister Sebastian Kaleta auf Twitter. "Es wird eine ungesetzliche Operation gegen Polen ausgeführt. Sie hat als Ziel, Polen mit der Aberkennung von EU-Geldern zu erpressen für einen Verstoß gegen EU-Recht, den es nicht gibt."
Justizminister kann Richter frei nach Ermessen abordnen
Der aktuelle Schlussantrag beschäftigt sich vor allem mit der Machtfülle von Justizminister Zbigniew Ziobro, der zugleich Generalstaatsanwalt und Architekt der Justizreformen ist. Innerhalb der PiS-Partei hat sich Ziobro als antieuropäischer, rechter Hardliner profiliert. Der 50-Jährige argumentiert, seine Reformen seien nötig, um das polnische Justizsystem schneller und leistungsfähiger zu machen und es zudem von Richtern zu befreien, die noch im Kommunismus geprägt wurden.
Das Warschauer Bezirksgericht wollte nun vom EuGH wissen, ob bestimmte Kompetenzen des Justizministers mit EU-Recht vereinbar seien. Dabei geht es vor allem darum, dass der Minister Richterinnen und Richter nach freiem Ermessen an höhere Gerichte abordnen und diese Abordnung jederzeit wieder beenden kann. Kriterien, auf deren Grundlage derlei Entscheidungen getroffen werden, sind nicht bekannt.
Generalanwalt Bobek weist in seinem Schlussantrag zunächst darauf hin, dass nichts dagegen spreche, dass Richter an andere Gerichte abgeordnet werden. Doch unterlägen die polnischen Richter nicht den üblichen, sondern besorgniserregenden Regeln. Zum einen kritisiert er die mangelnde Transparenz der Entscheidungen, da diese nicht auf Grundlage bekannter Kriterien getroffen würden. Auch die Tatsache, dass die Abordnungen unbefristet seien und jederzeit beendet werden könnten, sei Anlass zu großer Sorge.
Doppelfunktion als Justizminister und Generalstaatsanwalt
Dadurch habe der Justizminister eine Doppelfunktion: Als Generalstaatsanwalt habe er Weisungsbefugnis über alle Staatsanwaltschaften und könne unter anderem über einen ihm unterstellten Staatsanwalt Anordnungen "zum Inhalt einer gerichtlichen Maßnahme" erlassen. Zugleich könne er durch die Abordnung von Richtern die Kammern zusammenstellen, die über jene Fälle verhandeln, die ihm unterstellte Staatsanwälte einleiten. Dadurch könnten Richter versucht sein, im Sinne des Staatsanwalts beziehungsweise des Justizministers zu entscheiden. Dann würden sie womöglich durch eine Abordnung an einhöheres Gericht belohnt. Die Angst, ihre Abordnung zu verlieren, könne sie zugleich davon abhalten, unabhängig zu entscheiden.
Zudem bemängelt Bobek, dass abgeordnete Richterinnen und Richter auch den Posten des Disziplinarbeauftragten für die ordentlichen Gerichte bekleiden können. Somit könnten Richterinnen und Richter sich scheuen, Kollegen zu widersprechen, die irgendwann ein Disziplinarverfahren gegen sie anstrengen könnten. Der Schlussantrag ist für die EuGH-Richterinnen und Richter nicht bindend, häufig folgen sie ihm aber.
dpa/pdi/LTO-Redaktion
EuGH-Schlussanträge: . In: Legal Tribune Online, 20.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45019 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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