Nach Pro-Palästina-Demos in Berlin: Polizei sieht keinen Anfangs­ver­dacht für die Bil­li­gung von Straf­taten

von Dr. Max Kolter

12.10.2023

Am Samstag kam es auf der Berliner Sonnenallee zu einer pro-palästinensischen Spontandemonstration. Die Polizei löste diese auf und ermittelt nun strafrechtlich. Anhaltspunkte für eine Billigung von Straftaten sieht sie jedoch nicht.

Ist es strafbar, wenn sich am Tag des terroristischen Angriffs der Hamas auf Israel 65 Personen spontan versammeln, Palästina-Flaggen schwenken, jubeln, israelfeindliche Parolen skandieren und Plakate mit Abbildungen von Maschinengewehren hochhalten? Und wenn ja: Wegen welcher Delikte? Nachdem die Berliner Polizei am Montag mitteilte, anhand von Videoaufnahmen zu prüfen, ob Sprechchöre oder Plakate strafbare Aussagen enthielten, antwortet sie auf LTO-Anfrage nun, dass sie "in enger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Berlin" für das in diesem Zusammenhang hauptsächlich diskutierte Delikt keinen Anfangsverdacht sehe.

Sowohl LTO als auch Süddeutsche Zeitung und Tagesschau.de führen die Billigung von Straftaten gemäß § 140 Strafgesetzbuch (StGB) als möglichen Hauptvorwurf an. Hiernach wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer bestimmte schwere Straftaten in einer Weise billigt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Was eine schwere Straftat ist, definiert die Norm per Verweis auf zwei in anderen Strafvorschriften aufgeführten Deliktskataloge. Strafbar ist so zum Beispiel die Billigung von Mord und Totschlag (§§ 211, 212 StGB), Geiselnahme (§ 239a StGB) sowie Völkerstraftaten wie etwa der Aggression (§ 13 Völkerstrafgesetzbuch).

Gemordet und Geiseln genommen hat die Hamas seit Samstag unzweifelhaft Hunderte. Vor diesem Hintergrund überrascht, dass nach Ansicht der Berliner Strafverfolger keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Billigung von Straftaten vorliegen und sie stattdessen nur wegen versammlungstypischer Delikte wie Widerstand gegen bzw. Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§§ 113, 114 StGB) und Landfriedensbruch (§ 125 StGB) ermitteln. Woran die Strafbarkeit gemäß § 140 StGB nach Auffassung von Polizei und Staatsanwaltschaft scheitert, teilte die Polizei auch auf LTO-Nachfrage bislang nicht mit.

Hintergrund: Die Voraussetzung der Billigung von Straftaten

Für § 140 StGB muss eine der genannten schweren Straftaten vorliegen. Da eine solche auch im Ausland begangen sein kann und nicht nach deutschem Recht strafbar sein muss, dürfte es an diesem Merkmal vorliegend nicht scheitern. Strittiger könnte es dagegen beim Tatbestandsmerkmal der Billigung werden. Um sich nach § 140 StGB strafbar zu machen, muss man zum Ausdruck bringen, die vorgenannten Taten gutzuheißen. Das muss nicht verbal geschehen, Fahnenschwenken und Tanzen kann ausreichen. Das Verhalten muss aber einen klaren Bezug zu einer konkreten schweren Straftat haben. Verteilung oder Konsum von Baklava allein wird nicht ausreichen – auch wenn die Polizei gegen den Verteilenden wegen § 140 StGB ermittelt.* Ob es für ein strafbares Billigen genügt, eine Palästina-Flagge zu schwenken, ist fraglich, lässt sich angesichts des Zeitpunkts der Demonstration in Berlin – wenige Stunden nach Beginn des Terrorangriffs – und in Kombination mit Plakaten und Parolen aber auch nicht ausschließen. Mehr verlangt ein Anfangsverdacht aber eigentlich nicht.

Womöglich hat die Berliner Polizei aber auch das Erfordernis verneint, dass das Verhalten geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Hinter dieser Voraussetzung, von der auch die Strafbarkeit wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) abhängt, steckt folgender Gedanke: Die Delikte sanktionieren die Äußerung einer Person, weil sie geeignet ist, Dritte zu Straftaten anzustacheln oder jedenfalls abstrakt das gesellschaftliche Klima zu vergiften. Hierbei kommt es primär auf die Stimmung im Inland an. Dass aber eine Billigung des Hamas-Terrors – sofern man diese annimmt – geeignet ist, die gesellschaftliche Stimmung zum Nachteil insbesondere von Juden und Israelis in Deutschland zu kippen, lässt sich schwer verneinen.

Klar ist: Diese ausgeführten Fragen werden sich Polizei und Staatsanwaltschaften bundesweit in den kommenden Wochen immer wieder stellen müssen. Beispielsweise versammelten sich erst am Mittwoch am Berliner Hermannplatz wieder Dutzende Personen mit Palästina-Flaggen und ähnlichen Plakaten wie am Samstag – trotz eines am Dienstagabend durch die Polizei ausgesprochenen Versammlungsverbots. Laut Angaben der Polizei auf X schritt sie gegen die Teilnehmenden ein, nahm Personalien auf, in Einzelfällen soll es auch zu Festnahmen gekommen sein. Nicht nur in Berlin beschäftigt sich derzeit mit solchen Demonstrationen und Verboten. Am Mittwoch erließ etwa die Stadt Frankfurt ein Verbot mehrerer pro-palästinensischer Kundgebungen.

mk/LTO-Redaktion

* In diesem Satz wurde auf Leserhinweis nachträglich klargestellt, dass der Verdacht, Baklava-Verteilung oder -Konsum könnte eine strafbare Billigung von Straftaten sein, nicht von LTO in den Raum gestellt wurde. (19.10.2023, 11:43 Uhr, Red.)

Zitiervorschlag

Nach Pro-Palästina-Demos in Berlin: Polizei sieht keinen Anfangsverdacht für die Billigung von Straftaten . In: Legal Tribune Online, 12.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52899/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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