Interview mit Milton Cheng, Global Chair von Baker McKenzie: "Mein Smart­phone ist mein Büro"

von Dr. Anja Hall

17.01.2020

Er ist ständig auf Reisen und arbeitet über mehrere Zeitzonen hinweg, weil seine Kollegen in aller Welt verstreut sind. Seine Aufgabe: Er soll Baker McKenzie zukunftsfähig machen. Kanzleichef Milton W.M. Cheng gibt Einblicke in seine Arbeit.

LTO: Herr Cheng, wie wird man eigentlich Global Chair einer solchen Riesenkanzlei wie Baker?

Milton W.M. Cheng: Es ist ein sehr aufwendiger und intensiver Prozess – und auch ein sehr demokratischer. Weil wir eine große Organisation sind, planen wir die Wahlen normalerweise mit einem Jahr Vorlauf. Dieses Mal aber war die Situation anders. Unser früherer Global Chair Paul Rawlinson ist leider im April 2019 verstorben, und ein "Acting Global Chair" wurde bestellt, um die Dinge am Laufen zu halten. Zunächst einmal musste die Kanzlei diesen großen Verlust verkraften und betrauern. Zugleich aber war gewünscht, dass schon im Oktober ein neuer Global Chair ins Amt kommt. Der Prozess, der also normalerweise ein Jahr dauert, wurde beschleunigt.

Wie lief die Wahl ab?

Milton W. M. ChengWir haben ein "Nominating Committee", das aus allen Standorten Vorschläge sammelte. Es gab zunächst über zehn Kandidaten und dieser Kreis wurde nach und nach eingegrenzt. Sechs Namen standen auf der Shortlist. In der letzten Runde waren wir am Anfang zu dritt, dann zu zweit - und letztlich fiel die Wahl auf mich.

Der Wahlkampf lief innerhalb von drei Monaten ab, die noch dazu in den Sommerferien lagen. Alle sechs Kandidaten der Shortlist hielten jeweils drei Webinare ab. Das Nominating Committee nannte uns zehn, elf Themen, zu denen wir etwas sagen mussten, etwa wo wir Marktchancen sehen oder welche Ansichten wir zu Inklusion und Vielfalt haben. Wir redeten etwa zwei Stunden, danach haben wir eineinhalb Stunden lang die Fragen der Zuhörer beantwortet.

Die Webinare wurden live übertragen. Da Baker in aller Welt Standorte hat, bedeutete das für mich, dass ich ein Webinar mitten am Tag abhielt, eines um zwei Uhr in der Nacht und ein drittes ganz früh am Morgen. Das war hart für uns Kandidaten, aber noch viel mehr für das Nominating Committee, denn das musste immer mit dabei sein.

Das klingt anstrengend. Was ging Ihnen durch den Kopf, als klar wurde, dass Sie die Wahl gewonnen haben?

Ich war natürlich die ganze Zeit aufgeregt und nervös. Aber dann ging es Schlag auf Schlag, ich hatte zunächst gar keine Gelegenheit, das zu verdauen: An einem Tag Ende September – ich war gerade in Schanghai - klingelte um 14 Uhr mein Telefon und man sagte mir, dass ich gewonnen habe. Eine halbe Stunde später wurden alle Partner der Kanzlei informiert. Wenig später rief mich die Sekretärin des Global Board an und sagte, dass noch am selben Abend eine Global Board Telefonkonferenz stattfinde. Sie begann um 21 Uhr und ich wurde gebeten, sie zu leiten. Die Konferenz dauerte dann zweieinhalb Stunden, also bis kurz vor Mitternacht.

Anschließend hatte ich zwei Wochen Zeit, um die Leitung der acht asiatischen Standorte, die ich bis dahin betreute, an einen Nachfolger zu übergeben. Ich musste sehr schnell mit dem weltweiten Management zusammenarbeiten, um meine Präsentationen und Meetings für unser bevorstehendes Annual Partners Meeting in London vorzubereiten als neu gewählter Chair.

"In einer langen Reihe von Ersten"

Baker betont in der Außendarstellung sehr, dass Sie der erste asiatische Kanzlei-Chef sind. Warum ist das so bemerkenswert?

Bei Baker bin ich der Neueste in einer langen Reihe von Ersten: Denken Sie nur an Christine Lagarde. Sie war die erste Französin und erste Frau an der Spitze der Kanzlei. Ich selbst habe die Position von einem Kolumbianer übernommen, der wiederum auf den ersten Londoner Anwalt folgte, dieser einem Brasilianer und so weiter. Ich denke, Baker ist eine Kanzlei, die sich etwas traut - und die nicht nur behauptet, international zu sein, sondern es auch wirklich ist: Unserem Policy Committee zum Beispiel gehören 50 Personen aus 32 Nationen an!

Auch für mich persönlich ist die Wahl etwas ganz Besonderes. Ich habe viele Glückwünsche erhalten, nicht nur von Kollegen innerhalb der Kanzlei, sondern auch von Wettbewerbern, mit denen ich im Markt gearbeitet habe. Denn ich bin der erste Asiate überhaupt, der an der Spitze einer internationalen Kanzlei steht.

Ich gehöre in meiner Familie der ersten Generation an, die an der Universität studieren durfte. Ich wollte das gerne im Ausland tun und meine Eltern haben mir das ermöglicht - und so kam ich nach London. Ich war sehr fleißig und hatte gute Noten, deshalb hatte ich Jobangebote von allen großen Kanzleien. Ich bin letztlich bei Baker gelandet, weil ich gerne wieder nach Singapur wollte, wo ich geboren bin. Baker war damals, in den 80er Jahren, die einzige Kanzlei, die überhaupt einen Standort dort hatte und junge Anwälte suchte, die helfen sollten, die Geschäfte in Asien auszubauen.

Was sind Ihre Pläne für die Amtszeit?

Baker hat bereits Visionen und Ziele formuliert und ich bin ein pragmatischer Typ, der nicht glaubt, dass man Strategien ändern muss. Letztlich geht es darum, dass wir unseren Mandanten dabei helfen, durch eine immer komplexere Welt zu navigieren und sie zu vereinfachen. Beispielsweise waren die USA und China früher die größten Handelspartner, aber derzeit stecken sie mitten in einem Handelskonflikt. Die Voraussetzungen ändern sich also ständig, und aus unserer Kenntnis der lokalen Märkte heraus wollen wir unseren Mandanten beim Wachstum helfen.

Außerdem geht es uns darum, weltweit Schlüsselmandanten zu identifizieren und zu entwickeln. Dabei werden wir auf ein ausgewogenes Portfolio an Branchen und Sektoren achten und uns nicht zu stark auf einen Bereich konzentrieren.

Gibt es auch kanzleiinterne Ziele?

Wir sind eine sehr internationale Kanzlei. Wir wollen auch inklusiv sein und haben uns deshalb eine "Gender-Anspruchs-Quote" von 40:40:20 gesetzt. Das bedeutet, dass wir auf allen Ebenen eine Geschlechterparität erreichen wollen, wovon bis zu 20 Prozent auf alle Personen entfallen: gleich ob weiblich, männlich oder nicht-binär. In manchen Ländern sind wir damit schon sehr weit, anderswo ist es noch etwas schwieriger. Dort werden wir auch progressive Maßnahmen treffen. Unser Ziel ist es, Schwierigkeiten, die wir in der Gesellschaft nicht beheben können, zumindest innerhalb der Kanzlei zu lösen.

Außerdem stehen wir für eine offene Kommunikation: Wir legen Wert darauf, dass sich bei uns jeder traut, etwas zu sagen. Und zwar nicht nur gute Dinge, sondern auch schwierige Themen. Dafür schulen wir Mitarbeitende, die ihren Kollegen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, wenn es Schwierigkeiten gibt. Wir wollen, dass sich jeder bei uns sicher fühlt, sagen kann, was er will und so sein kann, wie er ist.

"Mein Büro ist mein Smartphone, mein Tablet und mein Laptop"

Wie müssen wir uns den typischen Arbeitstag eines Global Chair bei Baker vorstellen?

Einen typischen Tag gibt es nicht, denn jeder Tag ist anders. Aber es gibt eine typische Arbeitswoche: An fünf bis sechs Tagen führe ich Konferenzen, zu allen möglichen Themen und zu den verschiedensten Uhrzeiten. Denn die Mitglieder des Führungsteams sind in aller Welt verstreut: Sie sitzen in Chicago, London und Asien.

An ein paar Tagen pro Woche reise ich. Dabei achte ich darauf, nicht nur für einen einzigen Anlass zu verreisen. Ich verknüpfe meine Ziele und reise zum Beispiel zuerst nach Paris, dann weiter nach Deutschland und letztlich nach Großbritannien. Das bedeutet für mich zwar, dass ich längere Zeit von Hongkong weg bin, aber es macht das Reisen angenehmer. Ich arbeite deshalb auch sehr viel von unterwegs. Mein Büro ist mein Smartphone, mein Tablet und mein Laptop. Einen Tag pro Woche versuche ich mir freizuhalten. Und wenn ich in Hongkong bin, erhole ich mich ordentlich.

Nach unserem Treffen reisen Sie auch wieder weiter und zwar zum Weltwirtschaftsforum nach Davos. Was werden Sie dort tun?

Ich werde das erste Mal überhaupt auf dem Weltwirtschaftsforum sein und freue mich schon sehr darauf. Ich werde bei vielen interessanten Panels zuhören und auf einem selbst sprechen. Übrigens bin ich nicht alleine dort, die Kanzlei wird mit einem ganzen Team vertreten sein.

Warum halten Sie es für wichtig, am Weltwirtschaftsforum teilzunehmen?

Wir haben dort die Gelegenheit, viele interessante Menschen zu treffen. Hochrangige Vertreter diverser internationaler Organisationen werden vor Ort sein. Es ist eine hervorragende Gelegenheit zum Netzwerken. Damit meine ich nicht Netzwerken, um Geschäfte zu machen. Es geht vielmehr darum, mitreden zu können über die Dinge, die uns alle in Zukunft bewegen werden. Ich verspreche mir davon, neue Eindrücke und Ideen zu gewinnen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Milton W. M. Cheng ist seit Oktober Global Chair von Baker McKenzie und steht damit an der Spitze einer der größten Kanzleien der Welt: 74 Standorte weltweit, 4.700 Anwälte und ein Umsatz von zuletzt rund 2,6 Milliarden Euro. Der M&A-Anwalt ist im Hongkonger Büro der Kanzlei tätig. Auf einer Reise zum Weltwirtschaftsforum in Davos legte er einen Zwischenstopp in Frankfurt ein.

Zitiervorschlag

Interview mit Milton Cheng, Global Chair von Baker McKenzie: "Mein Smartphone ist mein Büro" . In: Legal Tribune Online, 17.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39733/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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