Lehren aus der Finanzkrise für die Coronapandemie?: "Die Struk­turen sind in Ord­nung, das Leben nicht"

Interview von Tanja Podolski

21.04.2020

Michael Lappe war Seniorpartner bei Linklaters, als 2007 die Finanzkrise die Kanzleiwelt beutelte. Was Kanzleien aus der Zeit damals für die Situation heute mit Corona lernen können – und was nicht, erzählt er im Interview.

LTO: Herr Lappe, Sie waren Seniorpartner bei Linklaters, als 2007 die Finanzkrise ausbrach. Auch heute leidet die Wirtschaft wieder erheblich unter der Coronapandemie. Inwieweit ist die aktuelle Lage mit der Situation im Jahr 2007 vergleichbar?

Dr. Michael Lappe: Die Krise 2007 war eine der Finanzmärkte, wie der Name schon sagt. Damals erwiesen sich bestimmte, tatsächlich fehlerhafte Strukturen als nicht tragfähig. Von dieser Krise der Finanzbranche wurden andere miterfasst, aber sekundär, etwa weil die Finanzierung der Unternehmen durcheinandergeraten war.

Ich möchte das nicht herunterspielen, es war damals schlimm genug. Dennoch sind die Ursachen für die Situation heute grundverschieden. Der Kern des Problems heute hat nichts mit fehlerhaften Strukturen im Kapitalmarkt zu tun, sondern es ist eine Pandemie. Damals war das Leben in Ordnung, aber die Strukturen nicht. Heute sind die Strukturen in Ordnung, aber das Leben nicht.

Kanzleien sollten "eine besondere gesellschaftliche Verantwortung erkennen"

Welche Folgen der Pandemie sehen Sie auf die Kanzleien zukommen?

Experten gehen von sehr vielen Unternehmenspleiten aus, viele Firmen müssen sehen, wie sie sich neu erfinden. Das ist für Kanzleien eine Herausforderung und eine große Chance. Anwälte werden sehr gebraucht werden, was erneut zeigt, dass die anwaltliche Leistung ein robustes Geschäftsmodell ist. Nehmen wir mal die Branchen Automobil- oder Luftfahrtindustrie: Da werden Unternehmensteile zusammengeschlossen und andere abgewickelt werden müssen. All dies geschieht nun aber unter echten Krisenbedingungen - und das nicht nur eines Sektors, sondern in einer Krise der gesamten Wirtschaft.

Die Mandanten aber, gerade auch Großunternehmen, die in der tiefsten Krise ihres Daseins stecken, sind auf eine vertrauensvolle und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit ihren Anwälten angewiesen. Das sind sicher nicht die Anwälte von gestern, die bisweilen sagten, die besten Mandanten seien reich und sehr ängstlich, weil man dann die besten Konditionen durchsetzen könne. Jetzt sind Kanzleien aufgerufen, ihre Verantwortung in der Gesellschaft wahrzunehmen. Sie sollten jetzt bei ihren eigenen wirtschaftlichen Zielsetzungen mit Augenmaß vorgehen und die Pandemie nicht als Situation wahrnehmen, in der es gilt, das eigene Ergebnis finanziell zu optimieren. Das ist auch eine Chance, das in der jüngeren Vergangenheit nicht immer vorteilhafte Bild in den Medien - man denke an die cum/ex-Affäre – zu relativieren.

"Bei Transaktionen läuft erstmal nicht viel"

Was sind die Rechtsgebiete, die in einer Krise gebraucht werden?

Im Auge des Sturms standen in der Finanzkrise das Bank- und Finanzrecht sowie Restrukturierung und Insolvenz. Es folgte das Gesellschaftsrecht, wenn in der Folge von Schieflagen Unternehmensbereiche umstrukturiert werden mussten, und natürlich das Arbeitsrecht für personelle Maßnahmen. All das ist auch heute gefragt, und zwar vielfach in einem internationalen Kontext, denn Haftungsfragen und Zugriff auf Unternehmensvermögen sind ja in jedem Land anders.

Bei Transaktionen läuft in der Regel erst einmal nicht mehr viel. Das war damals massiv zurückgegangen, und auch heute ist zu lesen, dass Unternehmen Transaktionen verschoben oder abgesagt haben.

Wird das M&A Geschäft also in Folge der Pandemie zum Erliegen kommen?

Kurz- bis mittelfristig wird die Tätigkeit im Bereich von M&A ziemlich stark einbrechen, aber ich betone: kurz- bis mittelfristig. Kanzleien könnten daher auf die Idee kommen, diese Anwälte in anderen Gebieten einzusetzen. Das kann man machen, sollte man aber nicht unwiederbringlich tun.

Denn klar ist: Wenn sich der Nebel ein bisschen hebt, werden wir feststellen, dass vieles in Trümmern liegt. Dann wird es eine Fülle von M&A Transaktionen geben, die dem Überleben der Unternehmen dienen, etwa ein Teilverkauf nach einer Restrukturierung. Es wird aber auch Firmen geben, die heil aus der Krise herausgekommen sind. Diese werden die Möglichkeit ergreifen, günstig Unternehmen zuzukaufen. Es ist also gerade in Deutschland mit einem Ansturm auf Übernahmeziele zu rechnen, schließlich ist sehr viel Know-how vorhanden, nicht zuletzt bei so vielen Mittelständlern. Es wird also viel M&A-Arbeit geben, aber eben nicht jetzt oder morgen, sondern auf mittlere oder längere Sicht.

"Reaktionen damals waren teilweise als sehr hart empfunden worden"

Für die Kanzleien stellen sich also heute ähnliche Herausforderungen wie in der Finanzkrise. Welche Maßnahmen wurden damals ergriffen?

Die Reaktionen seitens der Kanzleien waren oft konsequent, genauso oft galten sie als hart: Damals sahen sie, dass viele der großen Mandanten in massive Schwierigkeiten geraten würden und Arbeitsbereiche wegfallen. Es gab daraufhin zunächst sehr breit angelegte Aktionen, Anwälte in anderen Bereichen arbeiten zu lassen, das so genannte Re-deployment, damit hatte Freshfields Bruckhaus Deringer seinerzeit angefangen.

Es gab auch Personalabbauprogramme. International hatte Linklaters ein solches, das nach meiner Erinnerung weitgehend über Fluktuation durchgeführt wurde. Davon war Deutschland aber nicht betroffen, da die Kanzlei schon schlank aufgestellt war.

Es gab es in der Zeit aber auch so genannte De-equitisation, also das unfreiwillige Ausscheiden von Partnern aus der Partnerschaft. Dieses Phänomen war meines Erachtens aber nicht hauptsächlich auf die Finanzkrise zurückzuführen. Die großen Büros befanden sich in einer intensiven Phase der Neuausrichtung und Fokussierung. Zudem waren die meisten von ihnen reine Lockstep-Kanzleien. Die Bezahlung der Partner richtete sich also nicht nach den Umsätzen, sondern nach der Dauer der Kanzleizugehörigkeit. Vor diesem Hintergrund war klar, dass von Partnern erwartet wurde, innerhalb einer bestimmten Bandbreite gleichermaßen zur Profitabilität beizutragen. Diese sehr konsequente Anpassung konnten oder wollten einige jedoch nicht mitgehen.

Die Thematik hat sich dann in der Finanzkrise angesichts zurückgehender Auslastung natürlich noch einmal deutlich verschärft. Heute scheinen mir breit angelegte De-equitisation-Überlegungen eher weniger dringend. Viele der Spitzen-Kanzleien sind viel einheitlicher und ohnehin strikt auf wirtschaftliche Effizienz ausgerichtet und teilweise verfügen sie inzwischen auch über flexiblere Vergütungsmodelle.

"Jetzt werden Verbindungen für die Zukunft geschmiedet"

Mit Ihren Erfahrungen von damals: Was könnten Sie den Verantwortlichen in den Kanzleien heute raten?

Verantwortung besteht in mannigfacher Hinsicht. Es wäre schön, wenn man dabei schmerzliche, harte Maßnahmen im Personalbereich von vornherein ausschließen könnte. Aber so etwas wäre verantwortungslos. Natürlich sollte man versuchen, unterbeschäftigte Berufsträger in anderen Bereichen einzusetzen. Natürlich muss man über temporäre Gehaltsanpassungen und Einstellungsstopps nachdenken. Natürlich ist zu überlegen, inwieweit Aufwand für Marketing und andere nicht strikt Mandanten-orientierte Aktivitäten fortgeführt wird. Vielleicht sind Anzeigen in Hochglanzmagazinen derzeit einfach nicht angemessen.

Gegenüber den Mandanten war es selten so wichtig, einen ganz engen und persönlichen Kontakt zu halten und sich bei der Frage einzubringen, wie man Wege aus der Krise entwickeln kann. Auch Flexibilität in Hinblick auf die Preisgestaltung ist sicherlich sehr wichtig. Dies sind Zeiten, in denen Verbindungen für die Zukunft geschmiedet werden

Schwierige Abwägungsprozesse

Taylor Wessing hat als – soweit bekannt - erste Kanzlei den Wissenschaftlichen Mitarbeitenden gekündigt, andere Kanzleien haben die Einstellungstermine verschoben. Wie beurteilen Sie diese Maßnahmen?

Ohne zu wissen, wie es bei Taylor Wessing aussieht: Das erscheint zu einem so frühen Zeitpunkt im Verlauf der Krise schon als ein sehr harter Schritt. Was kommt als Nächstes, fragt man sich? Andererseits: Es kommt auf die Abwägung im Einzelfall an. Sind zum Beispiel Gehaltseinbußen bei Vollzeitbeschäftigten, Einstellungsstopps und ähnliches vergleichsweise besser? Bei behutsameren Maßnahmen wie Re-deployment oder auch ein Verschieben von Einstellungsterminen fragt sich: reichen solche Maßnahmen aus? Wie lange? Augenmaß und Kommunikation nach innen und nach außen sind jetzt sehr wichtig. Dabei können Kanzleien gegenüber den Mandanten und den Beschäftigten jetzt vieles richtig machen, aber auch vieles verspielen, wenn sie allzu drastische oder allzu zögerliche Schritte unternehmen.

Man sieht aber auch: Aktuell haben einige Kanzleien auch schon auf der Partner-Ebene reagiert, sicherlich teilweise vorbeugend. Sie haben Ausschüttungen an die Partner suspendiert, einerseits um ein Zeichen für die Belegschaft zu setzen, andererseits, um auch langfristig die Verpflichtungen erfüllen zu können.

"Ein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein"

Was passiert in so einer Krisensituation im Führungsgremium einer Kanzlei?

Das ist eine schwere Belastung und es beschäftigt die Führung der Kanzlei rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Notwendig ist in einer solchen Phase ein intensiver Austausch, denn oft geht das ja mit Personalüberlegungen einher, die einem schwer unter der Haut gehen können.

Personalmaßnahmen ergreift niemand gerne. Wenn man solche Maßnahmen unter attraktive finanzielle Bedingungen stellen kann, ist das noch etwas anderes, als in einer Krisensituation sagen zu müssen: Wir können gar nicht anders.

Ich kann mich nicht erinnern, in der Finanzkrise von suspendierten Partnerentnahmen gelesen zu haben. Dass die Kanzleien das heute machen, ist ein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein – und ein ganz anderes, als in erster Linie auf Personalabbau zu verweisen - auch wenn das am Ende manchmal unerlässlich sein kann.

Wird die Pandemie langfristig die Arbeit von Kanzleien verändern?

Heute hat sich das Leben geändert, die Arbeit findet im Homeoffice statt und man sieht, dass es funktioniert. Das wird die Arbeitswelt insgesamt und insbesondere bei den Kanzleien deutlich verändern. Man wird sich die Frage stellen, ob wirklich jeder Anwalt dauerhaft ein eigenes, womöglich großes Büro braucht – oder ob rotierende Arbeitsplätze eine Alternative sind. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es viel mehr Flexibilität in Hinblick auf Arbeitsort und Arbeitszeiten geben wird.

Herr Lappe, vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Michael Lappe war seit 1992 Partner bei Oppenhoff, nach der Fusion bei Linklaters. Im Jahr 2004 wurde Lappe, der seinerzeit zu den profiliertesten Corporate-Anwälten Deutschland gehörte, zum Seniorpartner der Kanzlei gewählt und besetzte die Position für die maximal mögliche Zeit von zwei Mal drei Jahren. 2012 verließ Lappe Linklaters, war zunächst weiter als Anwalt und Kanzleiberater tätig, seit 2018 ist er Chefjustiziar der Deutsche Börse AG.

Zitiervorschlag

Lehren aus der Finanzkrise für die Coronapandemie?: "Die Strukturen sind in Ordnung, das Leben nicht" . In: Legal Tribune Online, 21.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41362/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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