Gesetz gegen Abmahnmissbrauch verabschiedet: Teure Sch­reiben aus der Anwalts­kanzlei

Gastbeitrag von Dr. Nikolas Gregor

23.09.2020

Immer wieder hat der Gesetzgeber versucht, das Geschäft mit missbräuchlichen Abmahnungen einzudämmen. Nun hat das BMJV einen weiteren Anlauf unternommen. Doch das Gesetz schafft aus Sicht von Unternehmen neue Probleme, meint Nikolas Gregor.

Viele Unternehmer haben es bereits mehrfach erlebt: Die Abmahnung eines Rechtsanwalts oder eines dubiosen Vereins wegen eines Bagatell-Verstoßes im Internet, etwa weil im Impressum die Handelsregister-Eintragung fehlt. Es wird die Abgabe einer Unterlassungserklärung mit empfindlicher Vertragsstrafe verlangt, mit gerichtlichen Schritten gedroht und zu allem Überfluss auch noch eine Erstattung von Anwaltskosten von über 1.000 Euro gefordert.

Immer wieder hat der Gesetzgeber versucht, das Geschäft mit missbräuchlichen Abmahnungen einzudämmen. Nun hat das Bundesjustizministerium (BMJV) einen weiteren Anlauf unternommen. Mit der Reform werden unter anderem die Vorschriften zur Rechtsverfolgung im Gesetz zur Bekämpfung des Unlauteren Wettbewerbs (UWG) stark geändert. Die Regelungen setzen vor allem an fünf Stellen an: Zunächst wird der Kreis der Personen, die Unterlassungsansprüche nach dem UWG geltend machen können, weiter begrenzt. Zudem werden strenge Vorgaben für den Inhalt von Abmahnungen aufgestellt und die Voraussetzungen für eine Erstattung der Abmahnkosten erhöht. Das schon bestehende Missbrauchsverbot für Abmahnungen wird ausgeweitet und als fünftes die Gerichtswahl stark eingeschränkt.

Fliegender Gerichtsstand weitgehend abgeschafft

Die Neureglung zum sogenannten "fliegenden Gerichtsstand" ist besonders problematisch. Bisher konnte ein Unternehmen, das einen UWG-Verstoß geltend macht, an jedem Gericht klagen, in dessen Bezirk das angegriffene Verhalten stattgefunden hat. Bei einer Werbung im Internet waren damit praktisch alle Landgerichte in Deutschland zuständig. Nunmehr gilt: Bei allen Verstößen im Internet oder im Online-Handel ("im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien") ist nur noch das Gericht am Sitz des Beklagten zuständig. Damit ist der fliegende Gerichtsstand zwar nicht – wie ursprünglich vorgesehen – gänzlich abgeschafft, gilt aber für die weit überwiegende Zahl von UWG-Verstößen nicht mehr. 

Dies ist deshalb misslich, weil sich durch den fliegenden Gerichtsstand eine Konzentration wettbewerbsrechtlicher Verfahren bei einigen spezialisierten Landgerichten entwickelt hat. Vermutlich war genau diese Konzentration auf Standorte, wie Hamburg, Köln, Düsseldorf, Frankfurt, Berlin oder München, politisch nicht mehr gewollt. Die Expertise und Erfahrung dieser Gerichte wird jedoch verloren gehen, etwa in komplexen Spezialgebieten wie dem Heilmittelwerberecht. Es drohen Rechtszersplitterung und Qualitätsverlust – was nicht nur zulasten der Rechtsschutzmöglichkeiten der vielen seriösen Unternehmen sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite geht, sondern auch die Zahl der Berufungsverfahren erhöhen wird. 

Nach den Vorstellungen des BMJV stellt die bisher geltende Gerichtswahl einen Anreiz zum Missbrauch dar, da sich der Kläger ein Gericht aussuche könne, das weit entfernt vom Sitz des Gegners liege oder das in seinem Sinne entscheide. Diese – durch keinerlei valide Daten belegte – Annahme geht indes an der Realität vorbei. Gerade in Missbrauchsfällen wollen Abmahnende Aufwand, Kosten und Unwägbarkeiten eines Gerichtsverfahrens häufig meiden. Für sie lohnt sich das „Abmahngeschäft“ mit Bagatellverstößen nur, wenn sie mit möglichst geringem Aufwand möglichst hohe Abmahnkosten erzielen.

Kleinerer Kreis von Klageberechtigten 

Weniger folgenschwer zur Eindämmung missbräuchlicher Abmahnungen, aber effektiver, dürften die Regelungen sein, mit denen das Gesetz den Kreis der Anspruchsberechtigten einschränkt: Künftig kann ein Mitbewerber nur noch dann Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche geltend machen, wenn er "Waren und Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt". 

Die ursprünglich vorgesehene Beschränkung, dass der Mitbewerber "ähnliche" Waren und Dienstleistungen vertreiben muss, wurde glücklicherweise gestrichen. Außerdem können Vereine nur noch dann tätig werden, wenn sie eine erhebliche Zahl von Unternehmern desselben Markts vertreten und in einer vom Justizministerium geführten Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände registriert sind. Für die Aufnahme in diese Liste bestehen recht strenge Anforderungen.

Verschärfung des Missbrauchsverbots 

Zudem gilt ein verschärftes Missbrauchsverbot. Danach wird vermutet, dass eine Abmahnung missbräuchlich ist, wenn ein Mitbewerber "eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift geltend machen", wenn in der Abmahnung der Streitwert unangemessen hoch angesetzt oder eine überhöhte Vertragsstrafe gefordert oder vereinbart wird. Es ist allerdings unklar, welche Situationen damit genau gemeint sind. 

Die Frage, wie hoch der Streitwert oder eine Vertragsstrafe anzusetzen ist, ist gerade im Wettbewerbsrecht häufig schwierig und sehr umstritten. Und warum gerade Fälle, in denen ein Unternehmen – möglicherweise völlig berechtigt – eine große Zahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift verfolgt, missbräuchlich sein sollen, erschließt sich nicht. 

Außerdem muss, wer einen Wettbewerbsverstoß verfolgen will, bei der Formulierung einer Abmahnung Acht geben: Das Abmahnschreiben muss alle nun vorgeschriebenen Angaben zur Identität des Abmahnenden, zur Rechtsverletzung, zum geforderten Kostenersatz und zur Anspruchsberechtigung enthalten. Die Umsetzung dieser Vorgaben wird für seriöse Unternehmen und Anwälte aber nur wenige Neuerungen mit sich bringen, die einfach umzusetzen sein dürften.

Keine Abmahnkosten mehr bei falschem Impressum

Genügt eine Abmahnung den gesetzlichen Vorgaben nicht, müssen die Abmahnkosten in Zukunft nicht mehr ersetzt werden. Bei der Abmahnung eines Mitbewerbers scheidet der Anspruch auf Kostenersatz auch dann aus, wenn es um einen Verstoß gegen Datenschutzrecht durch ein Unternehmen oder einen gewerblichen Verein mit weniger als 250 Mitarbeitern geht, oder um einen Verstoß gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten im Internet. 

Der Gesetzgeber hatte hier vor allem die vielen kleinen Verstöße im Online-Handel, zum Beispiel gegen die Impressumspflicht oder die Pflicht zur vollständigen und korrekten Widerrufsbelehrung, vor Augen, die durch Crawler – also Programme, die das Internet automatisiert durchforsten – einfach festgestellt werden können. 

Es ist zwar zu begrüßen, dass der Gesetzgeber, um missbräuchliche Abmahnungen zu verhindern, bei Bagatellverstößen im Internet ansetzt. Der Begriff Informations- und Kennzeichnungspflichten ist allerdings viel zu weit. Er umfasst zum Beispiel auch die zum Schutze von Patienten obligatorischen Pflichtangaben bei der Werbung für Arzneimittel. Nach der Gesetzesbegründung sollen jedenfalls Warnhinweise nicht erfasst sein, was sich aus dem Wortlaut der Vorschrift hingegen nicht erschließt.

Kläger bleibt auf Anwaltskosten sitzen

Verlangt der Abmahnende Kostenersatz, obwohl einer der vorgenannten Ausschlussgründe vorliegt, droht künftig eine scharfe Konsequenz: Auch wenn die Abmahnung in der Sache völlig berechtigt sein mag, hat der Abgemahnte einen Gegenanspruch auf Ersatz seiner Anwaltskosten. Das Gleiche gilt, wenn der Inhalt der Abmahnung nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt. 

Das Phänomen missbräuchlicher, jedenfalls leidiger Abmahnungen wegen unbedeutender Verstöße existiert. Und manche der Neuregelungen sind durchaus vernünftig. Ob das Problem aber so virulent ist, dass es so weitgehende Beschränkungen rechtfertigt, ist fraglich. Nachdem Fachkreise – vor allem Rechtsanwälte und Gerichte – die Entwürfe zum neuen Gesetz zu Recht massiv kritisiert haben, sind manche problematischen Neuerungen verbessert worden. 

Dennoch greift der Gesetzgeber ohne Not und zu stark in ein etabliertes und effektives System der Selbstregulierung ein und benachteiligt dadurch redliche Unternehmen, die sich zu Recht gegen Wettbewerbsverstöße von Mitbewerbern zur Wehr setzen.

Dr. Nikolas Gregor ist Partner im Hamburger Büro von CMS und ist auf den Gewerblichen Rechtsschutz und das Wettbewerbsrecht spezialisiert. 

Kanzlei des Autors

Zitiervorschlag

Gesetz gegen Abmahnmissbrauch verabschiedet: Teure Schreiben aus der Anwaltskanzlei . In: Legal Tribune Online, 23.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42884/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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