LTO exklusiv: Details zu E-Evidence-Abkommen mit USA: An der deut­schen Justiz vorbei

von Dr. Markus Sehl

28.02.2019

Bei den EU-Plänen zur digitalen Beweissicherung ist ohnehin vieles umstritten – nun soll auch noch die USA eingebunden werden. Eine Antwort der Bundesregierung zeigt, welche Konflikte sich die EU damit einhandelt – und Grundrechte gefährdet.

In Deutschland liegt mit der "Vorratsdatenspeicherung" ein Überwachungs-Großprojekt erstmal auf Eis – in Brüssel werden aber zur Zeit Pläne ganz anderer Dimension geschmiedet. Im vergangenen Jahr hat eine Mehrheit der EU-Regierungen für die E-Evidence-Verordnung (VO) gestimmt, sie soll die grenzüberschreitende Herausgabe elektronischer Beweismittel regeln. Ausländische Ermittler könnten damit direkt Kundendaten wie E-Mails oder IP-Adressen bei den Internetanbietern in Deutschland herausverlangen – mit nur eingeschränkter oder gar keiner Kontrolle durch nationale Gerichte.

Das Vorhaben ist heftig umstritten, insbesondere Deutschland drängt auf den Einbau von Sicherungen für Grundrechte der EU-Bürger. Obwohl noch nicht einmal alle Konflikte ausgeräumt sind, soll nun auch noch die USA als Partner mit einem Abkommen eingebunden werden.

Eine Antwort aus dem Justizministerium (BMJV) zeigt, welche Schwierigkeiten sich die EU damit einhandeln könnte. In der Antwort auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke, die LTO exklusiv vorliegt, heißt es "Aus Sicht der Bundesregierung besteht in der Herstellung der Kompatibilität der EPOC-VO einerseits und des CLOUD Acts andererseits, eine der größten Herausforderungen der Verhandlungsführung." Und weiter: "Dies betrifft insbesondere die Frage, wie die Einbeziehung eines weiteren Staates neben dem Anordnungsstaat geregelt werden kann."

Private Unternehmen müssen Entscheidung über Datenherausgabe treffen

Das drückt sehr diplomatisch aus, dass die Bundesregierung ein ernsthaftes Problem sieht: Denn nach dem Cloud Act darf der Anordnungsstaat, der an die Informationen bei den Providern gelangen will, direkt auf die privaten Unternehmen zugreifen – ohne dass ein europäischer Staat und seine Justiz des betroffenen Grundrechtsträgers dabei noch eine Rolle spielen würde. Wenn also etwa US-Ermittler sich an eine Social-Media-Plattform mit Firmensitz und Kontaktstelle in Irland wenden, sind deutsche – und irische – Richter außen vor, auch wenn es sich bei dem Betroffenen um einen deutschen Bürger handelt. Deutschland würde von einem Grundrechtseingriff noch nicht einmal etwas mitbekommen.

Bislang sind solche direkten Herausgabeverlangen von ausländischen Ermittlungsbehörden an private Unternehmen in Deutschland nur über den Umweg der zuständigen Behörden im Inland möglich – inklusive der rechtsstaatlichen Sicherung. So läuft es etwa auch beim Europäischen Haftbefehl. Ob Daten herausgegeben werden, sollen in Zukunft nach dem Willen der Verordnung allein die privaten Unternehmen entscheiden – und zwar in kürzester Zeit.

Abkommen mit USA könnte FBI direkten Abhörzugriff in Deutschland verschaffen

Was nach einem Abkommen mit den USA alles Wirklichkeit werden könnte, lässt sich auch aus der Antwort der Bundesregierung ablesen: Deutsche Ermittler könnten etwa bei Apple direkt Backups von iPhones deutscher Nutzer abfragen – umgekehrt könnten FBI-Ermittler völlig legal in Deutschland abhören.

So sieht der US-Cloud Act vor, dass Ermittler sogar in Echtzeit bei den Providern mithören dürfen – dagegen hat die EU-VO dieses Live-Abfangen von Daten ausgeklammert. Nur einer von zahlreichen Punkten, der deutlich macht, wie schwierig es werden wird, ein einheitliches und angemessenes Überwachungsniveau zu finden – und Widersprüche zwischen der europäischen Regelung und den Erwartungen aus den USA zu vermeiden. 

Zunächst wollte die USA über ein Abkommen gar nicht mit der EU verhandeln. Nun heißt es in der Antwort der Bundesregierung "Die USA hätten sich interessiert daran gezeigt, mit der EU ein (Rahmen-)Abkommen zum Zugang zu elektronischen Beweismitteln auszuhandeln." Und jetzt soll offenbar alles sehr schnell gehen: Der Entwurf für das Mandat der EU-Kommission liegt bereits vor. Anfang März 2019 soll die EU-Kommission ein Mandat für die Verhandlungen mit den USA erhalten, die Kommission beabsichtigt nach Informationen der Bundesregierung "die Verhandlungen im Juni 2019 zu beginnen".

Linken-Politiker: "Echte Widerspruchsmöglichkeit fehlt"

Deutschland teilt im Grunde das Ziel der Verordnung: Wenn heute viele Straftäter digitale Spuren in Messenger-Dienste, E-Mails oder auf Social-Media-Plattformen hinterlassen, dann braucht es eine grenzüberschreitende und schnelle Zusammenarbeit bei der Beweissicherung. Dennoch bleibt die Ausgestaltung stets auch eine Frage des Maßes – immerhin stehen intensive Grundrechtseingriffe bei den EU-Bürgern den Maßnahmen auf der anderen Seite gegenüber.

Die Bundesregierung  hatte Ende 2018 bei den Details der Europäischen Regelung auf die Bremse getreten. Sie verweist auch in der Antwort darauf, dass für die Herausgabe von Inhaltsdaten nun zwingend in Art. 7a des Entwurfs ein sogenanntes Notifizierungsverfahren vorgesehen ist, offenbar ein Verhandlungserfolg aus Berlin. Das bedeutet: Der Staat der Informationen für seine Ermittler will, muss danach den Staat benachrichtigen, in dem der Provider seinen gesetzlichen Vertreter benannt hat. Jener Staat kann dann einwenden, dass es z.B. um die Informationen eines Berufsgeheimnisträgers z.B. eines Rechtsanwalts oder Journalisten geht oder um einen unter Immunität stehenden Abgeordneten.

"Allerdings ist das vom Bundesministerium der Justiz hineinverhandelte Notifikationsverfahren zahnlos, denn eine echte Widerspruchsmöglichkeit fehlt", kritisiert der europapolitische Sprecher der Linken-Fraktion, Andrej Hunko, gegenüber LTO. "Der Staat, auf dessen Hoheitsgebiet der betroffene Provider sein Büro hat, darf lediglich Einwände vortragen."

Bundesregierung befürchtet Gefahr für Kernbereichsschutz

Bislang fehlt in der Tat noch ein echtes Zurückweisungsrecht des benachrichtigten EU-Staates, wenn die Herausgabeanordnung etwa gegen die Europäischen Grundrechte verstoßen würde. Hier hat die Verordnung also noch eine offene Flanke, die auch die Bundesregierung schmerzt. Aus der Antwort geht hervor, dass die Bundesregierung angesichts der aktuellen Entwurfsversion befürchtet, dass so Gefahren für den Kernbereichsschutz privater Lebensgestaltung eintreten könnten.

Deutschland bemängelt zudem auch fehlende Rechtsbehelfe bei der Sicherungsanordnung, mit der ein Staat einen Provider anweisen können soll, bestimmte Daten nicht zu löschen, damit diese später herausverlangt werden können. Das sind alles Aspekte, die der Regelung in ihrer aktuellen Form vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) und den nationalen Verfassungsgerichten einen sehr instabilen Stand verschaffen dürften.

Europapolitiker Hunko schlägt daher gegenüber LTO vor: "Statt einer EU-Verordnung könnte die Herausgabe elektronischer Beweismittel auch als Richtlinie gefasst werden. Dann dürften die beteiligten Staaten Gesetze zur Umsetzung erlassen und sich auf Straftaten einigen, bei denen eine schnellere Kooperation notwendig ist." Auch der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Richterbund kritisieren die EU-Pläne.

Weg der Verordnung könnte in Trilog-Verhandlung führen

Aus Sicht der Kritiker ist die Liste der Beanstandungen lang: So soll die Anordnung der Herausgabe nicht davon abhängen, ob die verfolgte Tat, dort wo die Daten erfragt werden, überhaupt strafbar ist. Welche Schwierigkeiten das aufwerfen kann, hat zuletzt der Fall des katalanischen Separatistenführers Carles Puigdemont gezeigt, der wegen "Rebellion" ausgeliefert werden sollte – eine Straftat, die es so in Deutschland nicht gibt.

Trotz leichter Entschärfungen an dem Entwurf hat die Bundesregierung im Dezember 2018 gegen ihn gestimmt – sie setzt nun ausweislich der Antwort aus dem Justizministerium auf das Trilog-Verfahren. Eine Lösung könnte dann eine Art Vermittlungsausschuss zwischen Kommission, Rat der Europäischen Union und EU-Parlament bringen. Das Parlament kommt nun aber ohnehin erstmal ins Spiel. Erste Reaktionen deuten an, dass Widerstand gegen den Entwurf zu erwarten ist. Die zuständige Parlamentsberichterstatterin Birgit Sippel (SPD) äußerte gegenüber LTO "grundlegende Zweifel an der Notwendigkeit des neuen Instruments". Allerdings werden sich die Abgeordneten kaum mehr vor der Europawahl im Mai mit dem Entwurf beschäftigen. Mit einem derart brisanten Material sollten die Abgeordneten so kurz vor der Wahl wohl nicht noch belastet werden.

Zitiervorschlag

LTO exklusiv: Details zu E-Evidence-Abkommen mit USA: An der deutschen Justiz vorbei . In: Legal Tribune Online, 28.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34143/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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