Neues Berufsrecht für Insolvenzverwalter: Eigene Kammer oder fremde Kammer?

Gastbeitrag von Dr. Andreas Kästner

31.01.2020

Die ARGE Insolvenzrecht im DAV hat eine Studie zum Berufsrecht für Insolvenzverwalter vorgestellt. Sie soll die Linie der Anwaltsverbände gegen zu viel Regulierung untermauern. Dabei geht es um etwas ganz anderes, meint Andreas Kästner.

Der Gesetzgeber will das Berufsrecht der Insolvenzverwalter regeln. Die Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV) hat hierzu Ende Januar eine von ihr in Auftrag gegebene Studie des Kölner Professors Martin Henssler zu Fragen des Berufsrechts für Insolvenzverwalter vorgelegt.

Auf dieser Basis unterstreicht der DAV seine Forderung nach einer "minimalinvasiven Lösung". "Wir haben in Deutschland ein effektives und effizientes Insolvenzrecht, das wir nicht durch bürokratische Vorgaben belasten sollten", so der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Rechtsanwalt Jörn Weitzmann. Mit deutlichen Worten wendet der DAV sich gegen eine vermeintlich drohende Überregulierung und bürokratische Vorgaben. Besonders eigene Berufskammern bräuchten die Insolvenzverwalter, die sowieso "zu 90 Prozente Rechtsanwälte" seien, nicht.

Diese Befürchtungen entbehren indes jeder Grundlage. Die Mitteilung des DAV lässt eine fundierte Argumentation leider vermissen und versucht vielmehr, den unbefangenen Leser durch Allgemeinplätze zu überzeugen. Es braucht eigene Kammern für Insolvenzverwalter, weil ihr Berufsbild längst ein eigenständiges ist, dessen Ausrichtung und Ziele sich von denen des Anwaltsberufs grundlegend unterscheiden. Ihre Einbeziehung in die regionalen Anwaltskammern wäre nicht nur systemfremd und nur mit tiefen Eingriffen in die Strukturen denkbar. Sie wäre möglicherweise auch verfassungswidrig.

Die Regulierung steht vor der Tür

Richtig ist, dass es in Deutschland, im Gegensatz zu den europäischen Nachbarländern, an einem Berufsrecht der Insolvenzverwalter fehlt. Für den Beruf des Insolvenzverwalters lassen sich de lege lata mit Ausnahme der Vorschrift des § 56 Insolvenzordnung (InsO), die seine Bestellung regelt, keine gesetzlichen Vorgaben finden. Diese Norm enthält so viele unbestimmte Rechtsbegriffe, dass sie dem Insolvenzrichter nahezu jede Auswahl bzw. eben auch Nichtberücksichtigung von Aspiranten für das Amt des Insolvenzverwalters erlaubt.

Im Koalitionsvertrag spricht die Große Koalition schon seit dem Jahr 2017 davon, erstmals "gesetzliche Rahmenbedingungen für die Berufszulassung und - ausübung von Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwaltern sowie Sachwalterinnen und Sachwaltern regeln" zu wollen. Bisher hat das BMJV zu diesem Koalitionsziel allerdings keinen Referentenentwurf vorgelegt.

Die Diskussion nimmt aber Fahrt auf, weil die europäischen Mitgliedstaaten zum 17. Juli 2021 die am 16. Juli 2019 in Kraft getretene Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz (RiLi [EU] 2017/1132) umsetzen müssen. Sie zeichnet ein deutlicheres Bild von dem notwendigen Regelungsprogramm. Allerdings geht es auch hier lediglich um Rahmenbedingungen für klare Anforderungen an ein transparentes und effektives Berufsrecht für Insolvenzverwalter. Das vom DAV heraufbeschworene Bürokratiemonster hingegen sucht man in der RiLi wie auch in den bislang veröffentlichten Regulierungsvorschlägen von Verbänden oder der Literatur vergeblich.

Erstklassiges Insolvenzrecht ohne Berufsrecht

Der DAV argumentiert gegen vermeintlich zu viel Regulierung mit einer OECD-Studie. Danach belegen Deutschland und Finnland die ersten beiden Plätze im Ranking der sanierungsfreundlichsten und volkswirtschaftlich erfolgreichsten Insolvenzrechte – und das als Länder ohne Insolvenzverwalterberufsrecht. Untersucht wird in den OECD-Studien allerdings nicht das Berufsrecht der Insolvenzverwalter der jeweiligen Staaten. Vielmehr nehmen sie ausschließlich deren Insolvenzgesetze im Hinblick auf den Ablauf des Insolvenzverfahrens anhand von Planmodellen in den Blick. Für die Berufsrechts-Debatte lassen sich daraus aber keine seriösen Schlüsse ableiten.

Der vom DAV und von Henssler ins Feld geführte Umstand, dass "circa 95 Prozent der Insolvenzverwalter als Rechtsanwälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ohnehin über ihren Grundberuf der Berufsaufsicht einer Kammer und einem strengen Berufsrecht unterliegen", verfängt als Argument gegen ein Berufsrecht für Insolvenzverwalter mit effektiver Aufsicht durch eine Insolvenzverwalterkammer ebenso wenig.

Die einzelnen Berufsrechte dieser Berufsgruppen unterscheiden sich grundlegend von dem Berufsbild und dem Aufgabenfeld des Insolvenzverwalters. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs sind sie nur deshalb im Rahmen einer bereichsspezifischen Auslegung heranzuziehen, weil die Insolvenzordnung selbst keinen hinreichend berufsrechtlichen Regelungsgehalt aufweist (zuletzt BGH, Urt. v. 06.07.2015, Az. AnwZ (Brfg) 24/14).

Vom Unterschied zwischen Anwälten und Insolvenzverwaltern

Der Rechtsanwalt, der gemäß § 1 Abs. 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) allein die Interessen des Mandanten verfolgen soll, unterscheidet sich grundlegend vom Insolvenzverwalter, der als Amtsträger keine Partikularinteressen, sondern im gerichtlichen Auftrag die Rechte der Gläubigergesamtheit zu wahren hat.

Es gibt daher keinen guten Grund, den Rechtsanwaltskammern die Kompetenz zur Überwachung berufsfremder Regelungen zu übertragen. Schließlich führt auch der Umstand, dass ein Großteil der Wirtschaftsprüfer zugleich als Steuerberater zugelassen ist, nicht dazu, dass beide der einheitlichen Berufsaufsicht durch eine einzige Kammer unterlägen. Auch hier haben beide Berufsträger unterschiedliche Aufgaben wahrzunehmen.

Die bislang in der Literatur und von Verbänden vorgeschlagenen Regulierungsansätze stellen tatsächlich lediglich "minimalinvasive" Regulierungsansätze dar. Woher kommen also die plakativ herausgestellten Befürchtungen des DAV? Geht es hier wirklich um die Angst vor Überregulierung und Bürokratie? Oder geht es nicht vielmehr um Besitzstandswahrung? Vielleicht ist es einigen "alten Hasen" in der Anwaltschaft ganz recht, dass für den Beruf des Insolvenzverwalters keine einheitlichen und transparenten Qualitätsstandards existieren, deren Einhaltung durch eine Berufsaufsicht kontrolliert wird. Sie haben sich auf "ihre Richter" eingestellt. Von neuen Verwalterkollegen haben sie oftmals keine Konkurrenz zu befürchten, schließlich kommt bei der Auswahlentscheidung häufig der Grundsatz "bekannt und bewährt" zum Tragen.

Verfassungsrechtlich bedenklich

Der auch schon von der Bundesrechtsanwaltskammer propagierte Vorschlag, die Insolvenzverwalter in die regionalen Rechtsanwaltskammern und/oder die Bundesrechtsanwaltskammer einzugliedern, ist auch verfassungsrechtlich bedenklich.

Weder die Bundesrechtsanwaltskammer noch die Satzungsversammlung verfügen über hinreichende Legitimation für die Vertretung der Insolvenzverwalter. Denn unabhängig von dem Umstand, dass es sich um eine eigenständige Berufsgruppe handelt, befinden sich hierunter eben nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Diplom-Wirtschaftsjuristen. Aus verfassungsrechtlichen Gründen und nach demokratischen Prinzipien müssten in den Berufskammern als Selbstverwaltungskörperschaften also entweder parallele Strukturen geschaffen oder die Handlungen auf die regionale Ebene begrenzt werden.

Das erscheint aber mit Blick auf die Wahrung der gerade in diesem Beruf wichtigen Rechtseinheit sowie auf die wirksame Artikulation von Interessen auf Bundesebene weder sinnvoll noch zielführend.
Eine Einbeziehung in die regionalen Rechtsanwaltskammern würde einen tiefen Eingriff in die Organisationsstruktur und Verfahrensrechte voraussetzen. Nur so könnte sichergestellt werden, dass auch die Insolvenzverwalter, die dann eine kleine Minderheit der Gruppe darstellten, angemessen vertreten würden.

Kammer Berlin begehrt gegen BRAK auf

Aus diesen Gründen hat der Gesamtvorstand der Rechtsanwaltskammer (RAK) Berlin unlängst sowohl die Aufnahme der Insolvenzverwalter in den Regelungsrahmen der Bundesrechtsanwaltsordnung als auch die Zuweisung der Zuständigkeit für ihre Zulassung und Berufsaufsicht an die regionalen Rechtsanwaltskammern abgelehnt.

Der Vorstand der RAK Berlin begründet das zutreffend damit, dass die Aufnahme der Insolvenzverwalter systemfremd wäre: "Die Insolvenzverwalter unterliegen nämlich völlig anderen Regelungen, die mit dem anwaltlichen Berufsrecht wenig gemein haben. Wiederholt wurde von der Rechtsprechung klargestellt, dass der Insolvenzverwalter ein eigenständiger Beruf ist. Insofern begegnet die von der BRAK geplante Regelung im Hinblick auf Art. 12 GG auch erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken."

Auch die Anwaltsverbände bestreiten nicht, dass das Tätigkeitsfeld des Insolvenzverwalters sich schon ohne gesetzliche Regelung längst zu einem eigenständigen Berufsbild entwickelt hat. Das gilt sogar unabhängig von den impulsgebenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts seit 2004 (BVerfG, Beschl. v. 03.08.2004, Az. 1 BvR 135/00), das feststellte, dass "die Tätigkeit von Insolvenzverwaltern angesichts der Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten auch nicht mehr als bloße Nebentätigkeit der Berufsausübung von Rechtsanwälten oder von Kaufleuten angesehen werden" könne. Vielmehr sei, so die Karlsruher Richter, "die Betätigung als Insolvenzverwalter zu einem eigenständigen Beruf geworden […]".

Grund für die zunehmende Verselbständigung des Berufsrechts sind die sich fortentwickelnde Zeichnung des Berufsbildes, die Einführung von (gesetzlich nicht im einzelnen geregelten) Vorgaben an die Berufsausübung und die Steuerung des Marktzugangs sowie die damit verbundene Verstärkung der Unterschiede zu anderen Berufsrechten. Der eigenständige Beruf des Insolvenzverwalters unterfällt aufgrund dieser Entwicklung dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.

Was kommen könnte; und was kommen sollte

Wie die Aufsicht und Durchsetzung des Berufsrechts der Insolvenzverwalter gestaltet werden soll, ist bisher nicht geklärt. Es gibt zwei Möglichkeiten: Eine unmittelbare staatliche Aufsicht (über eine Behörde; etwa das Bundesamt für Justiz) oder eine mittelbare staatliche Aufsicht (über eine Personalkörperschaft). Möglich ist auch eine Kombination aus beiden Strukturen.
Andere Konstruktionen wie ein Ombudsmann oder privatrechtliche Vereinigungen können keine Hoheitsrechte ausüben, da sie demokratisch nicht legitimiert sind. Eine Aufsicht ohne die Befugnis zur Ausübung von Hoheitsrechten ist keine effektive Berufsaufsicht.

Die Konstituierung einer Insolvenzverwalterkammer würde der Anerkennung des verfassungsrechtlich geschützten, eigenständigen Berufes des Insolvenzverwalters Rechnung tragen. Eine Angliederung an eine berufsfremde Kammer wäre dagegen systemfremd und mit erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken verbunden. Der Gesetzgeber sollte sich unabhängig von Partikularinteressen anderer Berufe allein daran orientieren, was die Fortentwicklung und Professionalisierung des Insolvenzwesens befördert. Das bedeutet: Insolvenzverwalter-Kammer.

Der Autor Rechtsanwalt Dr. Andreas Kästner ist bei der Römermann Rechtsanwälte AG am Standort Berlin im Recht der freien Berufe und im Insolvenzrecht tätig. Er hat über das Berufsrecht der Insolvenzverwalter promoviert.

Zitiervorschlag

Neues Berufsrecht für Insolvenzverwalter: Eigene Kammer oder fremde Kammer? . In: Legal Tribune Online, 31.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40025/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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