Versammlungsfreiheit: Bezahlen für ein Grundrecht?

von Anonym

16.06.2010

Kommunale Entscheidungsträger sind von nahezu unübertrefflichem Einfallsreichtum, wenn es darum geht, Versammlungen politisch unliebsamer Veranstalter zu verhindern. Nachdem Versammlungsverbote von Behörden wegen der hohen rechtlichen Anforderungen vielfach vor Gerichten scheiterten, versuchen sie es auf andere Weise. Zu Recht?

Ob linke oder rechte Demonstrationen – kommunale Verbote politischer Versammlungen beschäftigen die Gerichte schon seit Jahrzehnten. Und immer wieder müssen diese, häufig erst in höheren Instanzen, klarstellen, dass auch solche Veranstalter berechtigt sind, Demonstrationen und Versammlungen abzuhalten, deren politische Auffassung nicht der der Mehrheit entspricht.

Nun scheinen die Gemeinden realisiert zu haben, dass ihre Verbote gerichtlicher Überprüfung oftmals nicht standhalten. Inzwischen lässt sich beobachten, dass vermehrt finanzielle Auflagen gemacht werden, mit denen offenbar das Motto verfolgt wird, faktisch unmöglich zu machen, was rechtlich nicht verboten werden kann.

Über einen solchen Fall hatte nun auch das Verwaltungsgericht (VG) Gera zu entscheiden – und machte der Gemeinde einen Strich durch die Rechnung.

Versammlung ja – aber nur gegen Bezahlung?

In einer Thüringer Kleinstadt sollte auf einer Fläche, die Veranstaltungen aller Art dient, eine Versammlung rechtsgerichteter Kreise unter freiem Himmel stattfinden. Ein Auflagenbescheid der zuständigen Versammlungsbehörde enthielt den Hinweis, für die Benutzung des Versammlungsorts sei ein Nutzungsentgelt zu entrichten. Der Veranstalter möge die vertraglichen Einzelheiten mit der Stadt klären.

Der Veranstalter lehnte den Abschluss eines Nutzungsvertrages ab. Er sah sich in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt und suchte beim VG Gera um eine einstweilige Anordnung nach. Das Gericht gab ihm Recht und erließ die beantragte Anordnung. Der Stadt wurde untersagt, die geplante Versammlung durch einen Nutzungsvertrag weiter zu behindern (Beschl. vom 11.6.2010, Az. 1 E 4424/10 Ge).

Das Gericht betont zwar, es gebe keinen allgemeinen Anspruch, öffentliche Plätze voraussetzungslos und ohne Übernahme weiterer Verpflichtungen zu nutzen. Die Kommunen andererseits brauchen aber einen guten Grund, um finanzielle Forderungen zu erheben.

Demonstrationsrecht gibt keinen allgemeinen Benutzungsanspruch

Das Versammlungsgrundrecht aus Art. 8 GG sei ein reines Abwehrrecht, dem sich Leistungsansprüche gegen den Staat auf kostenlose Überlassung von Grundstücken für Demonstrationen nicht entnehmen ließen. Das Recht der freien Ortswahl umfasse nämlich nicht das Recht, fremdes Grundeigentum beliebig und kostenlos in Anspruch zu nehmen.

Ferner stellt das Gericht klar, dass sich die Gemeinden zwar gegen schwere Nachteile absichern dürfen. Sie sind daher nicht gehindert, in bestimmten Fällen ihre Einrichtungen etwa gegen eine Haftungsgarantie oder eine Kaution zur Benutzung freizugeben.

Allerdings können sie solche Forderungen nicht nach Belieben erheben. Sie bedürfen der Rechtfertigung in Form einer gesetzlichen Grundlage oder einer wirksamen Benutzungsordnung, wenigstens aber aufgrund einer bisher geübten einheitlichen Verwaltungspraxis.

Keine einseitigen Bedingungen, die das Versammlungsrecht aushöhlen

Bedingungen, die zur Folge haben, dass der Anspruch auf Benutzung einer öffentlichen Einrichtung nicht mehr zu verwirklichen ist, sind unzulässig. Kommunen, die diesen Anspruch aushöhlen, verhalten sich rechtswidrig.

Das Gericht sieht eine unzulässige Benachteiligung in dem Verlangen der Stadt, der Veranstalter solle kurzfristig den Abschluss einer Haftpflichtversicherung nachweisen. Ein derartiges Verlangen darf nur gestellt werden, wenn die Gemeinde aufgrund konkreter Gefahren plausibel mit dem Eintritt von Schäden an ihrer Einrichtung rechnen muss.

In der Vergangenheit gab es bereits anderweitige Versuche, die Versammlungs- und Meinungsfreiheit anders Denkender zu unterlaufen. In einem Fall konstruierte eine Gemeinde ein Hausrecht, dessen Ausübung sie der Polizei übertrug, die dann ihrerseits Versammlungsteilnehmer nach Hause schickte. In späteren Gerichtsverhandlungen erwiesen sich solche Versuche als untauglich; die Umgehung der allein einschlägigen Verbotsnormen des öffentlichen Rechts lag auf der Hand.

Doch dem Erfindungsreichtum der Kommunen sind bekanntlich nicht nur in fiskalischer Hinsicht keine Grenzen gesetzt. Man wird auf weitere Einfälle gefasst sein müssen!

Zitiervorschlag

Anonym, Versammlungsfreiheit: Bezahlen für ein Grundrecht? . In: Legal Tribune Online, 16.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/728/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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