Urteile zur Entlassung von City-BKK-Mitarbeitern: Eine Pleite bedeutet noch nicht das Ende

Der Zusammenbruch der City BKK in 2011 beschäftigt inzwischen auch die Arbeitsgerichte. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob die Mitarbeiter der insolventen Krankenkasse wegen einer gesetzlichen Beendigung der Arbeitsverhältnisse entlassen werden durften. André Niedostadek über zwei Entscheidungen des LAG Baden-Württemberg, die sich nur scheinbar widersprechen.

Es gibt Gerichtsurteile, bei denen weiß man gleich, dass das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen wurde. Gemeint ist hier nicht etwa das Sportgerichtsurteil des Deutschen Fußballbundes um die Relegationsbegegnung zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC. Die Rede ist vielmehr von zwei anderen ebenfalls am Montag ergangenen Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg.

Dessen 1. Kammer hatte in zwei Berufungsverfahren zu beurteilen, ob Arbeitsverhältnisse mit der City BKK kraft Gesetzes beendet worden waren.  Diese Krankenkasse war vom Bundesverwaltungsamt (BVA) mit Blick auf die dauerhaft nicht mehr gesicherte Leistungsfähigkeit zum 1. Juli 2011 geschlossen worden. Für die rund 168.000 Versicherten ging das vergleichsweise glimpflich aus. Dagegen stand für die rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Standorten in Berlin, Hamburg und Stuttgart nicht weniger als der Arbeitsplatz selbst auf dem Spiel.

Nur wenige Tage vorher hatte sich am Freitag die 7. Kammer in einigen Parallelverfahren mit der gleichen Frage befasst. Beide Entscheidungen trennt nicht nur ein Wochenende, sondern auch – und das ist das eigentlich Brisante – ein vollkommen anderes Ergebnis.

Ex-Mitarbeiter berufen sich auf Unterlaufung des Kündigungsschutzes

Die Fälle, in denen eine Krankenkasse geschlossen wird, regelt das fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) zur gesetzlichen Krankenversicherung. Speziell § 164 SGB V enthält in Absatz 4 eine Art "Abwicklungsparagrafen", der insbesondere auch die arbeitsrechtlichen Konsequenzen normiert. Danach enden die Arbeitsverträge mit dem Tag der Auflösung oder der Schließung der Krankenkasse automatisch, wenn sich für die Beschäftigten keine anderweitige Unterbringung findet. Es bedarf weder einer Kündigung noch sind bestimmte Kündigungsfristen einzuhalten.

Dass sich die betroffenen City-BKK-Mitarbeiter damit nicht abfinden wollten und konnten, lag auf der Hand. Bundesweit sind daher zahlreiche Beschäftigte gegen die rechtlichen Konsequenzen vorgegangen. Inzwischen haben sich auch einige Arbeitsgerichte mit dem Problem befasst.

Die rechtlichen Argumente verteilen sich dabei auf zwei Positionen: Von Seiten der Beschäftigten wird vor allem eingebracht, dass die gesetzlich angeordnete Beendigung der Arbeitsverhältnisse gegen das Grundgesetz verstoße, weil der ansonsten für Arbeitnehmer geltende Kündigungsschutz unterlaufen werde. Dem hält die City BKK entgegen, dass der Erhalt eines funktionierenden Gesundheitssystems die Beendigung der Arbeitsverhältnisse ohne Ausspruch einer Kündigung und Einhaltung von Kündigungsfristen rechtfertige.

Erstinstanzlich hatte das Arbeitsgericht Stuttgart mehrfach zugunsten der Krankenkasse entschieden und die Beendigung der Arbeitsverhältnisse als wirksam und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden gewertet. Dies hatte die 7. Kammer des LAG am vergangenen Freitag auch in 15 Fällen bestätigt. Interessant ist nun, dass die 1. Kammer zu einer anderen Auffassung gelangt ist und zwei Klagen stattgegeben hat.

1. Kammer verneinte Anforderungen an zumutbare Anschlussbeschäftigung

Die Entscheidungen der 1. Kammer betreffen Beschäftigte, die tarifvertraglich ordentlich kündbar waren. Damit knüpft das Gericht im Grunde an einer auch § 164 Abs. 3 SGB V selbst zu entnehmenden Differenzierung an. Danach besteht eine Unterscheidung einerseits zwischen Beschäftigten mit einem Status, der weitgehend dem von Beamten angenähert ist, und andererseits den "übrigen Beschäftigten", wie Tarifangestellten, Arbeitern und Auszubildenden. Letzteren müssen die jeweiligen Landesverbände eine Stellung anzubieten, die ihnen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung zuzumuten ist. Insofern besteht für sie eine Angebots- oder Unterbringungspflicht.

Gerade der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit ist der "Clou" in den am Montag entschiedenen Fällen (Urt. v. 21.05.2012, Az. Sa 2/12 und 3/12ff). Nach Feststellung der 1. Kammer war den Beschäftigten überhaupt keine rechtlich geforderte zumutbare Unterbringung bei einer anderen Betriebskrankenkasse angeboten worden, und zwar deshalb nicht, weil die Weiterbeschäftigung jeweils ohne Anerkennung der bisherigen Dienstzeiten erfolgen sollte. Wenn aber, so das Gericht weiter, ein unzumutbares Beschäftigungsangebot vorliege, dann genüge das nicht der Unterbringungspflicht. Daraus folge dann als weitere Konsequenz, dass die gesetzliche Beendigung der Arbeitsverhältnisse nicht eingetreten ist.

Vergleicht man die Entscheidungen des LAG vom vergangenen Freitag und vom Montag miteinander, löst sich die anfängliche Widersprüchlichkeit bei genauerem Hinsehen auf. Wie so oft im Arbeitsrecht ist speziell die 1. Kammer am Montag aufgrund einer Wertung im Einzelfall zu seiner Einschätzung gekommen. Ausgeklammert haben die Richter dabei jedoch die interessanten rechtlichen Fragen, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses von arbeits- und sozialrechtlichen Grundsätzen. Schon deshalb wird es wohl darauf hinauslaufen, dass sich demnächst auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt mit alledem beschäftigen wird.

Die Entscheidungen von Montag haben das Ganze dann noch um eine Facette bereichert. Neben den rechtlichen Detailfragen wird es nämlich umso spannender sein, zu verfolgen, welchen grundsätzlichen Ansatz die Erfurter Richter gegebenenfalls aufgreifen. Für die betroffenen Beschäftigten wird sich der Reiz juristischer Argumentation allerdings wohl in Grenzen halten. Es wäre nicht überraschend, wenn sich nach den jüngsten Entscheidungen bei ihnen in Anlehnung an die nur allzu bekannte Weisheit einmal mehr der Eindruck verfestigt haben dürfte, dass man vor Gericht und auf hoher See in den Händen anderer Mächte liegt.

Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek, LL.M. lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.

Zitiervorschlag

André Niedostadek, Urteile zur Entlassung von City-BKK-Mitarbeitern: Eine Pleite bedeutet noch nicht das Ende . In: Legal Tribune Online, 22.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6247/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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