Stalking: Der rechtliche Schutzmechanismus und seine Grenzen

Für den Mord an seiner ehemaligen Lehrerin muss der 21-jährige Gero S. für 15 Jahre in Haft. Die Lehrerin fühlte sich von dem Mann verfolgt, ihre Hilferufe aber waren am Ende wirkungslos. Zeigt der erst 2007 geschaffene Stalking-Paragraph des Strafgesetzbuches keine Wirkung? Ein Zwischenfazit von Dr. Hermann Christoph Kühn.

In den Medien viel beachtete Fälle wie der der Bremer Lehrerin lassen die Diskussion über das Phänomen "Stalking" wieder aufleben. Fragen werden gestellt: Was ist Stalking eigentlich, wer sind die Täter, wer die Opfer und - nicht zu letzt - reagiert der Gesetzgeber angemessen?

Stalking: Eine Begriffsbestimmung

Seit mehr als 20 Jahren gehört der englische Begriff des "Stalking" nunmehr zum deutschen Sprachschatz. Ausgehend von der ursprünglichen Bedeutung des "Anpirschens" versteht man darunter das beharrliche Nachstellen einer Person gegen deren Willen mittels unerwünschter Kontaktversuche, Annäherung oder Drohungen. Waren derartige soziale Phänomene in der öffentlichen Wahrnehmung früher auf Prominente wie Filmstars oder Musiker beschränkt, so hat sich der Fokus in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich verschoben. Auch außerhalb dieses illustren Kreises - der sich wohl zu wehren weiß - fanden derartige Belästigungen etwa durch verschmähte oder ehemalige Liebhaber zunehmend die Beachtung einer breiteren Öffentlichkeit.

Der Gesetzgeber reagierte zunächst mit dem seit Januar 2002 geltenden Gewaltschutzgesetz. Seitdem zieht der Verstoß gegen eine einstweilige Verfügung nach Gewaltschutzgesetz, zum Beispiel ein Verbot der Kontaktaufnahme oder Annäherung, nicht nur zivilrechtliche Folgen wie Ordnungsgelder oder –haft nach sich, sondern wird als eigene Straftat verfolgt.

Die Forderungen nach schärferen Sanktionen gegen "Stalker" ebbten jedoch nicht ab. Nicht zuletzt getrieben von einer gewissen öffentlich genährten Hysterie und dem unklaren Gefühl, Polizei und Gerichte nähmen sich den Problemen der "Stalkees" nicht genügend an, schuf der Gesetzgeber im Jahre 2007 mit dem Straftatbestand der "Nachstellung" (§ 238 StGB) den bisherigen Schlusspunkt dieser Entwicklung.

Danach wird mit Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft, wer unbefugt einem anderen Menschen beharrlich nachstellt, indem er dessen Nähe aufsucht, unerwünschte Kontaktversuche unternimmt, mit Eigen- oder Fremdverletzung von Leben und Gesundheit droht, oder, wie der Gesetzgeber - unter Bestimmtheitsgrundsätzen höchst problematisch - formuliert hat, "eine andere vergleichbare Handlung vornimmt" und dadurch die Lebensgestaltung des Opfers schwer beeinträchtigt.

Im Qualifikationsfall, etwa bei schweren Gesundheitsfolgen oder gar bei Todesverursachung, erwartet den Täter eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu 15 Jahren.

§ 238 StGB – Eine problematische Vorschrift

Die Vorschrift versucht ein breit gefächertes Verhalten zu erfassen, welches sich vom lediglich ‚Soziallästigen’ bis hin zu schwerer Kriminalität spannt. Dabei muss zunächst beachtet werden, daß die Norm als Erfolgsdelikt ausgestaltet ist, mithin der Nachweis einer schweren Beeinträchtigung der Lebensführung erforderlich ist.

Angesichts der Vagheit dieses Merkmals wird zwar hier zu Recht von den Gerichten ein strenger Maßstab angelegt. Nur wenn die Grenze zur Unzumutbarkeit überschritten ist, etwa bei erzwungenem Umzug, ist Raum für das Strafrecht; übliche Beeinträchtigungen sind entweder hinzunehmen oder mit zivilrechtlichen Mitteln abzuwehren.

Nichtsdestotrotz bleibt die Abgrenzung schwierig und in gewisser Weise damit der Ausgang eines Strafverfahrens zufällig. Dies befremdet um so mehr, als der Versuch der Nachstellung im Grunddelikt nicht strafbar ist und damit die Entscheidung über Verurteilung oder Freispruch wesentlich davon abhängt,  wie das Ausmaß der Beeinträchtigung der Lebensführung bewertet wird.

Daneben muss der Täter unbefugt handeln. Handelt der Täter befugt, entfällt der Tatbestand. Denn auch völlig sozialadäquate Verhaltensweisen könnten die übrigen objektiven Tatbestandsmerkmale erfüllen. Man denke nur an den Gerichtsvollzieher, der einen Schuldner in pflichtgemäßer Dienstausübung immer wieder – wohl gegen dessen Willen – aufsucht.

Grenze zum Stalking ist vage

In ähnlich gelagerten Fällen sind die Grenzen noch deutlich schwieriger zu ziehen: Stellt etwa ein Vermieter ohne entsprechenden Zahlungstitel einem säumigen Mieter nach, wenn er diesen immer wieder kontaktiert und zur Zahlung auffordert? Auch für Journalisten ist die Grenzlinie zwischen verfassungsrechtlich geschützter Pressetätigkeit und strafbarem Nachstellen nicht immer trennscharf zu ziehen. Die Grenze bleibt auch insoweit vage und damit problematisch.

Damit sind noch nicht alle Schwierigkeiten aufgezählt. Das Nachstellen muß nach dem Wortlaut des § 238 StGB "beharrlich" erfolgen. Auch dieses Merkmal weist Schwächen in der Bestimmbarkeit auf. Der Begriff soll – so der Gesetzgeber – den spezifischen Unrechtsgehalt der fortwährenden Verfolgung erfassen. Trefflich streiten läßt sich in Bezug auf die Beharrlichkeit, wie oft etwa die Kontaktaufnahme gegen den Willen des Kontaktierten erfolgen muss, um die Voraussetzung zu erfüllen. Der Gesetzgeber hat bewusst Abstand von einer Nennung der Anzahl entsprechender Wiederholungen genommen. Dem Rechtsanwender ist damit ein Bärendienst erwiesen worden; statt klaren Tatbestandsvoraussetzungen lediglich Ermessen und Unsicherheiten.

Für manch einen mag die Vorschrift des § 238 StGB auch eine Einladung zum Missbrauch darstellen. Jedenfalls legt diesen Schluß ein Blick auf die Statistik nahe. So führten im Jahre 2008 29.273 polizeilich registrierte Fälle des Nachstellens lediglich zu 505 Verurteilungen. Neben den oben gezeigten Schwächen der Vorschrift sollten gerade diese Zahlen zu denken geben. Der Eindruck drängt sich auf, daß die Vorschrift die in sie gesetzten Erwartungen schlichtweg nicht zu erfüllen vermag.

Fazit

Menschliches Leben führt naturgemäß auch zu Konflikten. Die Hoffnung indes, daß beim Stalking die Konfliktlösung vom Strafrichter mit Hilfe des § 238 StGB geleistet wird, ist meines Erachtens eine falsche. Der Strafrichter steht am – bösen – Ende des zwischenmenschlichen Konflikts. Er muß als ultima ratio mit den Mitteln des Strafrechts ahnden, wenn keine anderen, etwa zivilrechtliche Lösungsmöglichkeiten mehr greifen. In diesen Fällen, so bei erfolgter Verletzung oder Schlimmerem, sehen die übrigen Tatbestände des Strafgesetzbuches bereits ein bewährtes Regelwerk vor, welches meines Erachtens keiner Ergänzung durch § 238 StGB bedurft hätte.

Das Bremer Urteil zeigt dies deutlich. Recht kann gesprochen und Strafe verhängt werden, auch ohne Rekurs auf die Nachstellung. Der Stalking-Paragraph hat dagegen lediglich symbolischen Charakter. Er ist nach meiner Überzeugung schwierig in der Anwendung und taugt allenfalls zum Nachweis gesetzgeberischer Aktivität auf diesem Gebiet.

Der Verfasser, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Dr. Hermann Christoph Kühn, lehrt neben seiner anwaltlichen Tätigkeit als Privatdozent an der Universität Augsburg.

Zitiervorschlag

Hermann Christoph Kühn, Stalking: Der rechtliche Schutzmechanismus und seine Grenzen . In: Legal Tribune Online, 23.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1270/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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