Debatte nach Angriffen auf Politiker: Busch­mann hält Ver­schär­fung des Straf­rechts für unnötig

10.05.2024

Körperliche Übergriffe auf Politiker häufen sich. Die Debatte, ob das Strafrecht geändert werden muss, ebbt nicht ab. Der Bundesjustizminister hält eine Änderung für überflüssig, wie er am Freitag noch einmal betonte.

Am vergangenen Freitag wurde der SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Matthias Ecke, in Dresden beim Plakatieren krankenhausreif geschlagen. Am Dienstag schlug ein Mann die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) mit einem Beutel, in dem sich ein harter Gegenstand befand, und verletzte sie leicht. Noch am selben Tag wurde die Grünen-Spitzenkandidatin für den Stadtrat in Dresden, Yvonne Mosler, beim Aufhängen von Wahlplakaten angerempelt und bedroht. In Stuttgart wurden zwei AfD-Landtagsabgeordnete am Mittwoch laut Polizei von mutmaßlichen Gegnern der Partei verbal und körperlich attackiert.

Angesichts dieser zunehmenden Gewalt gegen Politiker ist die Debatte in vollem Gange, ob – und wenn ja, wie – rechtlich darauf reagiert werden sollte. Nach dem brutalen Angriff auf Ecke hatten sich die Innenminister von Bund und Ländern am Dienstag zu einer Video-Konferenz zusammengeschaltet. In einem gemeinsamen Beschluss bat die Konferenz die zuständigen Justizministerkollegen, möglichst bald zu prüfen, ob "das spezifische Unrecht, das in dem demokratiegefährdenden Umstand solcher Angriffe zu sehen ist", im Strafrecht heute schon ausreichend abgebildet sei. Geprüft werden solle auch, ob "die bewusste Verbreitung von Desinformationen mit dem Ziel der Wahlbeeinflussung oder Gewalteskalation strafwürdiges Unrecht" darstellen.

Unter den Bundestagsparteien sind die Reformvorhaben umstritten: Während der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Hartmann, die Anregungen der Landesinnenminister ausdrücklich unterstützt, hält der rechtspolitische Sprecher der CDU, Guenter Krings, ein Sonderstrafrecht zum Schutz von Politikern für das falsche Signal. Auch der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla hält nichts davon, Politiker strafrechtlich besonders zu schützen: "Ein Politiker ist doch nichts Besseres als ein normaler Arbeitnehmer oder Arbeitgeber", erklärte er am Freitag im rbb-Inforadio – wobei er betonte, dass Gewalt niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein dürfe.

Mit härteren Strafen lässt sich die zunehmende Aggression gegen Politiker auch nach Überzeugung von Bundesjustizminister Marco Buschmann nicht eindämmen. "Der Versuch, das gesellschaftliche Problem einer allgemeinen Verrohung der politischen Auseinandersetzung mit dem Strafrecht allein zu lösen, wird scheitern", so der FDP-Politiker. Man sei gleichwohl bereit, sich Vorschläge der Länder zum Strafrecht anzusehen, hieß es aus dem Bundesjustizministerium (BMJ).

"Politisches Stalking" als neuer Straftatbestand?

Ein aktueller Reformvorschlag kommt unterdessen aus Sachsen: Die Landesregierung will einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einbringen, der einen neuen Straftatbestand vorsieht. Demnach soll die Beeinflussung von Amts- und Mandatsträgern durch sogenanntes politisches Stalking geahndet werden. Dabei geht es um Bedrohungssituationen wie etwa aggressive Aufmärsche vor dem Wohnhaus eines Bürgermeisters.

Mit Blick auf die Vorschläge aus Sachsen sagte Buschmann, dass das Strafrecht besonderen Anforderungen genügen müsse. "Das heißt, wir können nicht eine unpräzise Formulierung nutzen, die dann möglicherweise auch legitimes Verhalten kriminalisieren würde." Auch sei die Versammlungsfreiheit ein hohes Gut. Bürger dürften auch gemeinsam gegenüber einem Politiker Kritik zum Ausdruck bringen. "Das muss man präzise von einer nicht mehr akzeptablen Bedrohungssituation abgrenzen", betonte der Justizminister, obgleich er letztes Jahr selbst Opfer einer Sachbeschädigung an seinem Haus wurde.

Buschmann: "Strafrecht ist nicht blind"

Es solle aber niemand so tun, als ob das deutsche Strafrecht in Fällen wie dem von Ecke blinde Flecken hätte, so Buschmann. Eine solch schwere Straftat könne auch jetzt schon entsprechend geahndet werden. "Auch Politiker haben ein Recht darauf, dass sie nicht beleidigt werden – und erst recht haben sie ein Recht darauf, dass sie nicht gewaltsam bedroht werden.“ Dies deckt sich mit der Einschätzung der Strafrechtler Prof. Dr. Michael Kubiciel und Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi, die gegenüber LTO erklärten, dass bereits nach dem geltenden Strafrecht eine schuldangemessene Bestrafung körperlicher Übergriffe auf Politiker möglich sei, insbesondere durch eine strafschärfende Berücksichtigung einer demokratiefeindlichen Motivation.

Einigkeit besteht immerhin darin, dass die "Verrohung der Debattenkultur" eine Ursache für die Zunahme der Gewalt gegen Politiker sei. So appellierte Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Interview mit den Tagesthemen "an diejenigen, die so sehr zuspitzen und keinen Respekt in politischen Debatten dem Gegenüber entgegenbringen", und zog dabei eine direkte Linie von "verbaler Gewalt" zu körperlicher Gewalt. Auch Chrupalla, der Vorsitzende der AfD, deren Mitglieder nach aktuellen Daten am häufigsten von Gewaltdelikten betroffen sind, mahnte: "Verbale Abrüstung tut uns allen gut."

dpa/kj/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Debatte nach Angriffen auf Politiker: . In: Legal Tribune Online, 10.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54524 (abgerufen am: 04.10.2024 )

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