Verfassungsbeschwerden gegen den Staatstrojaner: Warum die NGOs nicht gemeinsam kämpfen

von Maximilian Amos

07.08.2018

Am Dienstag reicht der Verein Digitalcourage* seine Verfassungsbeschwerde gegen den umstrittenen Staatstrojaner ein, die Gesellschaft für Freiheitsrechte will bald nachziehen. Aber sie haben unterschiedliche Strategien.

Die Diskussion um die Befugnisse von Sicherheitsbehörden und Strafverfolgern ist nicht nur datenschutzrechtlich von enormer Bedeutung. Sie bildet auch einen der großen Streitpunkte unserer Gesellschaft ab: starker Staat oder autonomer Bürger? Sicherheit gegen Freiheit. So polarisiert stellt sich die Debatte jedenfalls oft dar, wenn um den sogenannten Staatstrojaner gestritten wird – eine aufwendig programmierte Software, mittels derer Behörden praktisch die gesamte elektronische Kommunikation der Bürger ausforschen können.

Im Jahr 2008 zog das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits enge Grenzen für den Einsatz einer solchen Software im Bereich der Gefahrenabwehr, als es über eine Ermächtigungsgrundlage im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz zu entscheiden hatte. Dabei hob man u. a. das aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) abgeleitete "Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme" (sog. IT-Grundrecht) aus der Taufe. Der Eingriff in dieses Grundrecht mittels eines Staatstrojaners sei nur dann gerechtfertigt, stellten die Karlsruher Richter fest, wenn eine "Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut" vorliege.

Nun soll die staatliche Späh-Software wieder auf den Prüfstand. Dieses Mal geht es – jedenfalls unmittelbar - nicht mehr um Gefahrenabwehr, sondern um Strafverfolgung. Seit August vergangenen Jahres sind Neuerungen in der Strafprozessordnung (StPO) in Kraft, die den Einsatz der Spionagesoftware auch für die Verbrechensahndung ermöglichen. Ein unvergleichlicher Grundrechtseingriff und eine Provokation in Richtung Karlsruhe, fand schon zu Beginn des Vorhabens Dr. Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin und Vorsitzender der NGO Gesellschaft für Freiheitsrechte, in seinem Beitrag auf LTO. Aus diesem Grund plant die NGO auch eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz, die im August eingereicht werden soll.

Digitalcourage will gesamten Staatstrojaner-Einsatz kippen

Doch Buermeyer und die GFF sind es nicht, die am heutigen Dienstag unter großer medialer Aufmerksamkeit ihren Antrag beim BVerfG einreichen werden, sondern der Verein Digitalcourage. Dieser wendet sich ebenfalls gegen den Einsatz von Staatstrojanern und sieht, wie Buermeyer, die Grundrechte der Bürger durch eine möglicherweise unkontrollierte Ausforschung stark gefährdet. Zwei NGOs, ein Ziel – läge es nicht nahe, die begrenzten Ressourcen zweier NGOs zu bündeln, um dem Gesamtprojekt womöglich mehr Erfolgswahrscheinlichkeit zu verschaffen?

Die Antwort darauf liegt nicht in der Grundposition zur Sache, sondern im Detail: Digitalcourage wendet sich gegen den Staatstrojaner insgesamt und fordert aus diesem Grund, die §§ 100a Abs. 1 S. 2 und 3, Abs. 3 bis 6, § 100b sowie § 100d Abs. 1 bis 3 und Abs. 5 StPO, die mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens 2017 eingeführt worden sind, für insgesamt verfassungswidrig und nichtig zu erklären.

"Wir wollen, dass das ganze Gesetz gekippt wird. Es soll nicht angepasst werden, sondern weg" erklärt Kerstin Demuth von Digitalcourage gegenüber LTO das radikale Vorgehen. Neben dem IT-Grundrecht führt der Verein in dem Antrag, der LTO vorliegt, noch weitere Gründe, wie u. a. die Menschenwürde und das Fernmeldegeheimnis an, die dem Gesetz entgegenstünden.

Das IT-Grundrecht nimmt dabei aber erwartungsgemäß bei weitem den größten Raum ein und ist nach Ansicht der Verfasser Prof. Dr. Jan Roggenkamp und Prof. Dr. Frank Braun unvereinbar mit den im Gesetz vorgesehenen Instrumenten der Online-Durchsuchung und der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ). Diese sind demnach schon ungeeignet, jedenfalls aber unverhältnismäßig als Mittel zur Straftatenerforschung. Zweifel äußern die Verfasser u. a. daran, dass es bei einem restriktiven Einsatz des zur Verfügung stehenden Instrumentariums bleiben werde. Wie viele Datenschützer fürchten sie, dass die Spielräume weitgehend unkontrolliert ausgenutzt werden könnten.

GFF will nicht den Staatstrojaner kippen, sondern den Staat steuern lassen

Dem würde sich sicherlich auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte anschließen. Nicht aber dem Ansatz, den Einsatz von Staatstrojanern gänzlich vom BVerfG kippen zu lassen. Mit Blick auf die Rechtsprechung des Gerichts von 2008 erklärt Ulf Buermeyer gegenüber LTO: "Das BVerfG hat bereits entschieden, dass der Einsatz von Staatstrojanern grundsätzlich rechtsstaatlich vertretbar ist." Aus diesem Grund sieht man bei der GFF keinen Sinn mehr darin, diesen erneut anzuzweifeln.

Vielmehr will sich die GFF in einem Teil ihres Antrags darauf beschränken, den Einsatz der Software auf solche Straftaten zu begrenzen, die Leib, Leben oder Freiheit von Bürgern oder Grundlagen und Bestand des Staates bedrohen. Dies ist nach derzeit nicht der Fall, zum Straftatenkatalog zählen bspw. auch Eigentumsdelikte oder die Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung. Das sei nichts, was den Einsatz des Staatstrojaners rechtfertigen könnte, findet Buermeyer. Hiergegen richtet sich somit die Beschwerde der GFF.

In dieser Hinsicht ist sich Buermeyer auch sicher, Erfolg zu haben: "Wir orientieren uns nur an den Maßstäben, die das BVerfG in seiner Entscheidung 2008 aufgestellt hat. Das Gesetz hält diese Voraussetzungen nicht ein, das ist ziemlich eindeutig." Doch aus rechtsstaatlicher Perspektive, so der Berliner Richter, der zurzeit an den Verfassungsgerichtshof der Hauptstadt abgeordnet ist, "wird da nicht die Musik spielen". Denn ob nun ein oder zwei Straftaten mehr oder weniger im Katalog stünden, ändere am Grundproblem relativ wenig.

Wichtiger ist für die GFF ein Problem, das schon in der Voraussetzung für den Einsatz der Software liegt. Denn der Trojaner nutzt bestehende Sicherheitslücken in IT-Systemen aus. Anders gesagt: Der Staat hat durch seinen Einsatz ein Interesse daran, dass solche Lücken bestehen, die eine Gefahr für die Datensicherheit darstellen und die nicht nur von Behörden, sondern auch von Kriminellen ausgenutzt werden können. Doch der Staat, so jedenfalls die Befürchtung der GFF, wird diese Lücken den Systembetreibern nicht melden, weil er sich sich damit ins eigene Fleisch schneiden würde. Würden die Lücken geschlossen, wäre auch die Tür für den Trojaner des Staates zu.

Dieses "große Risiko für die IT-Sicherheit" monieren Buermeyer und die GFF daher mit ihrer Verfassungsbeschwerde. Sie verlangen ein "Management für Sicherheitslücken", das regelt, welche Hintertüren der Staat melden muss und wann. Diese Forderung bezeichnet Buermeyer auch als "Alleinstellungsmerkmal" des Antrags der GFF. Hier finde das juristische Hochreck statt. "Da geht es um Rechtsfortbildung, das muss man ganz klar sagen", so Buermeyer.

NGOs stehen in Kontakt, wollen aber nicht kooperieren

Dem Antrag angeschlossen hat sich auch der Journalist Hajo Seppelt, der mit seiner kritischen Berichterstattung zum Staatsdoping in Russland bekannt geworden ist. Ebenfalls hinter der GGF-Beschwerde steht der türkische Journalist Can Dündar, der nach Strafverfolgung in seinem Heimatland nun in Deutschland lebt und arbeitet. Beide sehen sich nach eigenem Bekunden regelmäßig Hacker-Attacken ausgesetzt und fühlen sich durch Sicherheitslücken, die auch der Staat offen wissen will, bedroht.

Ebenfalls der GFF-Seite zuzurechnen ist auch eine Verfassungsbeschwerde von FDP-Politikern um Christian Lindner, Gerhart Baum sowie die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Diese haben bei der Erstellung ihres Antrags laut Buermeyer eng mit der GFF zusammengearbeitet, die eigenständige Einreichung dürfte eher politische Gründe haben.

Die Radikalforderung von Digitalcourage oder die moderat-differenzierte Forderung der GFF – ob und wer sich am Ende mit seinem Vorbringen in Karlsruhe Gehör verschaffen wird, ist noch offen. Naturgemäß ist jeder von seiner Version überzeugt. Die inhaltlichen Differenzen jedenfalls lassen ein gemeinsames Vorgehen offenbar nicht zu, wenngleich Kerstin Demuth von Digitalcourage gegenüber LTO bestätigt: "Wir stehen in Kontakt." Dass man nun nicht zusammenarbeitet, bereut sie indes nicht: "Wir finden es sogar gut, dass es mehrere Akteure gibt, denn es handelt sich auch um ein unheimlich weitreichendes Gesetz. Andere sollten somit auch die Chance haben, etwas dagegen zu tun." Digitalcourage habe eben "einen anderen Fokus" als die GFF, deren Ansatz "nicht so umfassend" sei.

Warum man nicht vorab sondiert hat, ob auch eine Zusammenarbeit möglich wäre, darüber wollten beide Organisationen nicht wirklich Auskunft geben. Eine Kooperation scheint für keine von ihnen eine echte Option gewesen zu sein. Womöglich sind die Ansätze ohnehin zu verschieden, als dass man sie hätte zusammenbringen können. Welcher von ihnen mehr Erfolg in Karlsruhe haben wird, das wird nun der weitere Verfahrensgang zeigen.

*Nachtrag vom 10.08.2018: In einer früheren Version hieß es, der Verein Digitalcourage sei die erste NGO, die Verfassungsbeschwerde gegen den Staatstrojaner erhoben habe. Tatsächlich hat der Bundesverband IT-Sicherheit (TeleTrusT) das bereits am 19. April getan.

Zitiervorschlag

Maximilian Amos, Verfassungsbeschwerden gegen den Staatstrojaner: Warum die NGOs nicht gemeinsam kämpfen . In: Legal Tribune Online, 07.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30195/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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