Rechtswidrige Strafverteidigerschelte: "Sie bre­chen das Recht, Herr Vor­sit­zender!"

von Dr. Philip von der Meden

24.08.2016

Wenn Richter den Verteidiger während oder nach der Urteilsverkündung maßregeln, verlassen sie ihren neutralen Posten. Wann das problematisch ist und was Gescholtene tun können, erklärt Philip von der Meden anhand eines aktuellen Falls.

Juristen reden gerne. Strafverteidiger genauso wie Richter. Vielleicht hat sich die Strafprozessordnung (StPO) gerade deshalb dafür entschieden, dass das letzte Wort dem Angeklagten gebührt (§ 258 Abs. 2 Hs. 2 StPO). Naturgemäß gilt dies nur für die Beweisaufnahme, auf die das Urteil folgt. Dieses muss das Gericht verkünden und insoweit steht der Vorsitzende in der Verantwortung, das Urteil zu verlesen und die Gründe dafür zu eröffnen (§ 268 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Eine Befugnis zu Ausführungen, die über die Urteilsgründe hinausgehen, kennt die Strafprozessordnung hingegen nicht. Natürlich dürfen Richter ihre Meinung öffentlich kundtun, übrigens durchaus auch in polemischer, übertriebener oder sich sonstwie sprachlich und inhaltlich von den Gepflogenheiten juristischer Sprachdisziplin unterscheidenden Art und Weise. Auch Richter sind Bürger einer freien Gesellschaft und die Auslegung des Mäßigungsgebots muss deshalb mit Blick auf die Meinungsäußerungsfreiheit mit größter Restriktion gehandhabt werden.

Das heißt aber nicht, dass Richter in ihrer Funktion als Entscheidungsträger einer Rechtssache in ihren Äußerungen frei wären. Als Teil der staatlichen Gewalt sind sie vielmehr zur Wahrung der Grundrechte aller Verfahrensbeteiligten, nicht nur der des Angeklagten, verpflichtet. 

Wann Strafverteidigerschelte rechtswidrig ist

Eingriffe in Grundrechte bedürfen einer Ermächtigungsgrundlage. Auch Verteidiger und sonstige Verfahrensbeteiligte sind Grundrechtsträger. Wer sie öffentlich standes- oder strafrechtlich relevanten Verhaltens bezichtigt, greift damit in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht ein. Solche Eingriffe gehen insbesondere dann mit einer erheblichen Intensität einher, wenn sie - zumal gegenüber der Presse - erst während beziehungsweise nach der Urteilsverkündung und damit zu einem Zeitpunkt erfolgen, der dem Verteidiger die Möglichkeit der Widerrede im Prozess nimmt. Für eine solche verbale Maßregelung der Verteidigung kennt die Strafprozessordnung keine Ermächtigungsgrundlage.

Wenn das Gericht glaubt, ein Verteidiger habe sich berufsrechtswidrig verhalten oder sich strafbar gemacht, kann es entsprechende Anhaltspunkte der Kammer oder Staatsanwaltschaft nach der Hauptverhandlung in nicht-öffentlicher Weise bekannt geben. In der öffentlichen Hauptverhandlung haben solche Ausführungen nichts verloren. Sie sind nicht nur stillos und schaden aufgrund ihrer potentiell abschreckenden Wirkung auf andere Verteidiger der Institution des rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Sie sind auch, nach allgemeiner Grundrechtsdogmatik, offensichtlich rechtswidrig.  

Dies scheint zuletzt bei der 2. Strafkammer des Landgerichts (LG) München I in Vergessenheit geraten zu sein. Die Kammer hatte über die Anklage gegen eine 34-jährige Mutter von drei Kindern zu entscheiden, der zunächst versuchter Mord vorgeworfen worden war, weil sie nach rassistischen Pöbeleien einen Mann so mit einem Taschenmesser verletzt hatte, dass dessen Milz entfernt werden musste. Die Angeklagte wurde schließlich wegen versuchten Totschlags schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Verteidigung hatte auf (Putativ-)Notwehr und damit auf Freispruch plädiert.

Zitiervorschlag

Dr. Philip von der Meden, Rechtswidrige Strafverteidigerschelte: "Sie brechen das Recht, Herr Vorsitzender!" . In: Legal Tribune Online, 24.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20365/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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