Wenn Richter den Verteidiger während oder nach der Urteilsverkündung maßregeln, verlassen sie ihren neutralen Posten. Wann das problematisch ist und was Gescholtene tun können, erklärt Philip von der Meden anhand eines aktuellen Falls.
Juristen reden gerne. Strafverteidiger genauso wie Richter. Vielleicht hat sich die Strafprozessordnung (StPO) gerade deshalb dafür entschieden, dass das letzte Wort dem Angeklagten gebührt (§ 258 Abs. 2 Hs. 2 StPO). Naturgemäß gilt dies nur für die Beweisaufnahme, auf die das Urteil folgt. Dieses muss das Gericht verkünden und insoweit steht der Vorsitzende in der Verantwortung, das Urteil zu verlesen und die Gründe dafür zu eröffnen (§ 268 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Eine Befugnis zu Ausführungen, die über die Urteilsgründe hinausgehen, kennt die Strafprozessordnung hingegen nicht. Natürlich dürfen Richter ihre Meinung öffentlich kundtun, übrigens durchaus auch in polemischer, übertriebener oder sich sonstwie sprachlich und inhaltlich von den Gepflogenheiten juristischer Sprachdisziplin unterscheidenden Art und Weise. Auch Richter sind Bürger einer freien Gesellschaft und die Auslegung des Mäßigungsgebots muss deshalb mit Blick auf die Meinungsäußerungsfreiheit mit größter Restriktion gehandhabt werden.
Das heißt aber nicht, dass Richter in ihrer Funktion als Entscheidungsträger einer Rechtssache in ihren Äußerungen frei wären. Als Teil der staatlichen Gewalt sind sie vielmehr zur Wahrung der Grundrechte aller Verfahrensbeteiligten, nicht nur der des Angeklagten, verpflichtet.
Wann Strafverteidigerschelte rechtswidrig ist
Eingriffe in Grundrechte bedürfen einer Ermächtigungsgrundlage. Auch Verteidiger und sonstige Verfahrensbeteiligte sind Grundrechtsträger. Wer sie öffentlich standes- oder strafrechtlich relevanten Verhaltens bezichtigt, greift damit in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht ein. Solche Eingriffe gehen insbesondere dann mit einer erheblichen Intensität einher, wenn sie - zumal gegenüber der Presse - erst während beziehungsweise nach der Urteilsverkündung und damit zu einem Zeitpunkt erfolgen, der dem Verteidiger die Möglichkeit der Widerrede im Prozess nimmt. Für eine solche verbale Maßregelung der Verteidigung kennt die Strafprozessordnung keine Ermächtigungsgrundlage.
Wenn das Gericht glaubt, ein Verteidiger habe sich berufsrechtswidrig verhalten oder sich strafbar gemacht, kann es entsprechende Anhaltspunkte der Kammer oder Staatsanwaltschaft nach der Hauptverhandlung in nicht-öffentlicher Weise bekannt geben. In der öffentlichen Hauptverhandlung haben solche Ausführungen nichts verloren. Sie sind nicht nur stillos und schaden aufgrund ihrer potentiell abschreckenden Wirkung auf andere Verteidiger der Institution des rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Sie sind auch, nach allgemeiner Grundrechtsdogmatik, offensichtlich rechtswidrig.
Dies scheint zuletzt bei der 2. Strafkammer des Landgerichts (LG) München I in Vergessenheit geraten zu sein. Die Kammer hatte über die Anklage gegen eine 34-jährige Mutter von drei Kindern zu entscheiden, der zunächst versuchter Mord vorgeworfen worden war, weil sie nach rassistischen Pöbeleien einen Mann so mit einem Taschenmesser verletzt hatte, dass dessen Milz entfernt werden musste. Die Angeklagte wurde schließlich wegen versuchten Totschlags schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Verteidigung hatte auf (Putativ-)Notwehr und damit auf Freispruch plädiert.
2/2: das "letzte Wort" des Vorsitzenden
Nach der eigentlichen Urteilsbegründung gab der Vorsitzende Richter der Kammer, Norbert Riedmann, eine "allgemeine Erklärung" ab, die aufgrund des großen Interesses der Öffentlichkeit - vorhersehbar - ein erhebliches Medienecho fand. Der Richter erklärte, er habe es in 27 Jahren nicht erlebt, dass Verteidiger die professionelle Distanz zu ihrer Mandantin dermaßen verloren hätten wie in diesem Fall:
Möglicherweise sei ein Artikel im Spiegel von der Verteidigung lanciert worden, was das Magazin aber noch am gleichen Tag dementierte. Jedenfalls habe man Gerüchte gehört, dass seitens der Verteidigung versucht worden sei, massiv auf andere Presseorgane einzuwirken. Der Vorsitzende sagte in Bezug auf die Verteidiger: "Aus unserer Sicht bestehen genug hinreichende Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht für Straftaten". Er sprach wörtlich von einem "Skandal" und bezog sich dabei insbesondere auf Gespräche über den Abschluss eines letztlich in dieser Form nicht zustande gekommenen Vergleichs zwischen Angeklagter und Geschädigtem, in dem neben verhältnismäßig hohen Schmerzensgeldzahlungen auch ein Passus zur Diskussion gestanden hatte, wonach der Geschädigte trotz angeblich fehlender Erinnerung zugestehen sollte, möglicherweise die Angeklagte angegriffen zu haben.
Riedmann erwähnte gegenüber der versammelten Medienlandschaft nicht, dass ein entsprechender Vergleich nach der Rechtsprechung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 09.05.2000, Az. 1 StR 106/00) grundsätzlich zulässig ist und sein Abschluss für einen sorgfältig arbeitenden Verteidiger unter bestimmten Umständen sogar geboten sein kann. Einer der Verteidiger, der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate, teilte nach Anfrage bei der Staatsanwaltschaft mit, gegen ihn werde nicht ermittelt. Offenbar sieht die Staatsanwaltschaft also bislang keinen Anfangsverdacht für Straftaten.
Wie man als Verteidiger reagieren kann
Die Ausfälle des Vorsitzenden sind leider kein Einzelfall. Gerade in Verfahren, die wie dieses höchst streitig geführt werden, scheint das "letzte Wort" des Vorsitzenden bei einigen Gerichten immer wieder entweder zur Selbstvergewisserung nach einer vielleicht doch nicht ganz zweifelsfreien Verurteilung oder aber zum Nachtreten nach einem erzwungenen Freispruch missbraucht zu werden. In jedem Fall offenbart sich der auf diese Weise unprofessionell gerierende Richter als unfaire Partei des Prozesses. Er verlässt seine Stellung als neutrale Instanz in dem sicheren Wissen, dass sein Verhalten nach der - vor diesem Hintergrund zu überdenkenden - Rechtsprechung des BGH zu diesem Zeitpunkt nicht mehr revisibel ist.
Für den rechtswidrig gescholtenen Verteidiger bleibt damit nur die Frage, wie er auf solche Ausführungen unmittelbar reagieren kann. Muss er wirklich stillschweigend akzeptieren, dass das Gericht ihn persönlich attackiert und sich dabei über Recht und Gesetz stellt? Natürlich kann er sich im Nachhinein mit Dienstaufsichtsbeschwerde und Feststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht wehren, aber in dem Moment, in dem der Vorsitzenden aus seiner Rolle fällt, ist das Mittel der Wahl vielleicht auch einfach die Unterbrechung des Vorsitzenden mit den Worten: "Sie brechen das Recht, Herr Vorsitzender!"
Der Autor Dr. Philip von der Meden ist Rechtsanwalt bei der Römermann Rechtsanwälte AG in Hamburg. Er berät Unternehmen aller Größenordnungen und Privatpersonen bei strafrechtlichen Problemstellungen. Er ist Dozent für Strafrecht an verschiedenen Hochschulen.
Dr. Philip von der Meden, Rechtswidrige Strafverteidigerschelte: "Sie brechen das Recht, Herr Vorsitzender!" . In: Legal Tribune Online, 24.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20365/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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