Profifußball in der Coronakrise: Ver­lieren Ver­eine ihre Spieler vor Sai­so­n­ende?

Gastbeitrag von Prof. Dr. Philipp S. Fischinger, LL.M. (Harvard)

28.03.2020

Die Coronakrise hat den Spielbetrieb eingefroren – die Fristen in den Profifußballverträgen laufen allerdings weiter. Was bedeutet das für geplante Vereinswechsel? Philipp S. Fischinger lädt ein zum Ausflug ins Vertragsrecht.

Die Coronakrise hält Deutschland und die (Fußball-)Welt fest in ihrem Griff. Des Deutschen – vielleicht nach dem Auto – liebsten Kind befindet sich in der schwersten Krise seiner Geschichte. Ein vollständiger Saisonabbruch würde zahlreiche sportliche, wirtschaftliche und juristische Fragen aufwerfen.

Die Verantwortlichen der Sportverbände arbeiten daher fieberhaft an Notfallplänen, wie die Saison irgendwie zu Ende gebracht werden kann. Die Verschiebung der Europameisterschaft hat immerhin Luft im Terminkalender geschaffen, eine Saisonfortsetzung über Juni hinaus wäre theoretisch möglich. Nun geht aber die Angst um, dies könne scheitern, weil die Arbeitsverträge vieler Spieler (scheinbar) auf den 30. Juni 2020 befristet sind. Droht also eine Abwanderungswelle, vor allem bei Spielern, die ab dem 1. Juli schon bei einem neuen Verein unter Vertrag stehen?

Bei aller Aufregung fragt sich der Jurist zunächst: Ist es angesichts der unsicheren Krisenzeiten denn wirklich so, dass die Verträge am 30. Juni enden? Jedenfalls wenn die Saison zeitnah (also bis circa Mitte August) beendet wird und die Verbände die Transferfenster für Wechsel zu anderen Vereinen entsprechend verschieben, ist das äußerst zweifelhaft. In einem solchen Szenario spricht nämlich viel dafür, dass die Verträge erst mit Ablauf des Tages des letzten Pflichtspiels des jeweiligen Vereins enden werden.

Welche Interessen Vereine und Spieler verfolgen

In Verträgen, die auf dem Musterarbeitsvertrag des DFB beruhen, ist zur Vertragslaufzeit geregelt: "Der Vertrag gilt für die Zeit vom […] bis zum 30. Juni [2020] (Ende des Spieljahres [2019/2020])". Zu dem Ergebnis, dass der Vertrag nicht am starren Darum des 30. Juni endet, gelangt man hier bereits im Wege üblicher Vertragsauslegung. Bei dieser sind die Interessen beider Parteien dergestalt zu berücksichtigen, dass sich die Vertragsbestimmungen nicht als einseitige Interessendurchsetzung darstellen.

Das heißt: Der obige Klammerzusatz lässt erkennen, dass der wahre Wille der Beteiligten ist, die Vertragslaufzeit an die Dauer der Spielzeit 2019/2020 zu koppeln. Diese Wortlautinterpretation ist unmittelbar einsichtig, wenn man sich die jeweiligen Interessenlagen vor Augen führt: Für den Verein ist es von überragender Bedeutung, dass er während des gesamten, vom Verband festgelegten Spieljahres auf die Arbeitsleistung des Spielers zugreifen kann. Umso mehr gilt das für viele Vereine zum alles entscheidenden Saisonende.

Hinzu kommt, dass es meist unmöglich wäre, schnell genug nachzujustieren. Denn selbst wenn es dem Verein gelänge, kurzfristig andere Spieler zu verpflichten: Deren Integration in das bestehende Mannschaftsgefüge bräuchte erfahrungsgemäß Zeit, die hier gerade nicht zur Verfügung stünde.

Aber auch der Spieler hat typischerweise ein Interesse daran, bis zum tatsächlichen Saisonende unter Vertrag zu stehen. Denn nur dann hat er die Chance, sportlich und ggf. auch wirtschaftlich voll am Erfolg der Mannschaft (z.B. Meisterschaft, Champions-League-Qualifikation, etc.) teilzuhaben. Je nach Vertragsgestaltung drohte ihm bei vorzeitiger Abwanderung nämlich der Verlust, zumindest aber die Kürzung von Jahresleistungen wie z. B. einer Aufstiegsprämie. Weil der Spieler während der "verlängerten" Vertragsdauer selbstverständlich wie gehabt Gehaltsfortzahlung verlangen kann, entstehen ihm auch keine rechtlich relevanten Nachteile.

In Anbetracht dieser Interessenlage sind Klauseln wie die des Musterarbeitsvertrags des DFB unschwer als kalendermäßige Befristung zu interpretieren, die auf das Ende des Spieljahres 2019/2020 abstellen. Die Nennung des 30. Juni hingegen stellt eine rein informatorische Angabe dar, die darauf beruht, dass die Parteien – wie wir nun wissen: irrig – davon ausgingen, dass die Saison zum 30. Juni enden wird.

Plan B: Wenn die Auslegung nach dem Wortlaut nicht weiterhilft

Scheinbar schwieriger wird es bei Verträgen, denen der Musterarbeitsvertrag der DFL zugrunde liegt. In diesem heißt es nämlich schlicht: "Dieser Spielervertrag endet automatisch am [30.6.2020]." Anders als etwa in der DFB-Formulierung ist hier nicht vom Ende der Saison die Rede. Angesichts dieses klaren Wortlauts kommt man mit der üblichen Vertragsauslegung nicht weiter. Auch eine ergänzende Vertragsauslegung dürfte ausscheiden: Es fehlt an der für sie erforderlichen gemeinsamen positiven, aber irrigen Vorstellung der Parteien.

In die Bresche springt jedoch § 313 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Denn auch wenn in solchen Fällen der klarstellende Klammerzusatz "zum Ende des Spieljahres" fehlt, kann es angesichts der oben skizzierten Interessenlage keinen vernünftigen Zweifel daran geben, dass die Parteien bei Vertragsschluss beabsichtigt hatten, den Spieler für die gesamte Spielzeit 2019/2020 an den Verein zu binden. Geschäftsgrundlage für die Festlegung der Vertragslaufzeit war deshalb die tatsächliche Dauer der Saison 2019/2020. Diese Geschäftsgrundlage wurde nach Vertragsschluss durch die Coronakrise schwerwiegend gestört.

Jedenfalls für den Verein wäre es damit – auch unter Berücksichtigung der Spielerinteressen –unzumutbar, an dem starren Datum des 30. Juni festzuhalten. Als Rechtsfolge ergibt sich somit eine Vertragsanpassung nach dem hypothetischen Parteiwillen. Daher: Hätten die Parteien die krisenbedingte zeitliche Ausdehnung der Saison 2019/2020 über den 30. Juni 2020 hinaus samt einer Verschiebung der Transferperiode vorausgesehen, hätten sie den Vertrag so gestaltet, dass er nicht mit Ablauf des 30. Juni 2020, sondern erst nach vollständigem Abschluss der Saison 2019/2020 endet.

Was ist mit Spielern, die bereits bei anderen Vereinen unterschrieben haben?

Einige Spieler, deren Verträge am 30. Juni 2020 auslaufen, haben bereits ab 1. Juli neue Verträge bei neuen Vereinen unterzeichnet. Ein Beispiel ist Torhüter Alexander Nübel, der von Schalke 04 zum FC Bayern München wechseln wird.

Rechtlich betrachtet gilt: An der Verlängerung der Vertragslaufzeit beim alten Verein ändert das nichts. Die obigen, per Auslegung beziehungsweise Vertragsanpassung über § 313 Abs. 1 BGB erreichten Ergebnisse werden durch Rechtsakte zwischen dem Spieler und einem anderen Verein nicht berührt. Dem neuen Verein und dem Spieler fehlen schlicht die Rechtsmacht, Verträge zwischen dem Spieler und dem alten Verein aufzuheben oder zu modifizieren.

Nun geht es nicht an, dass der Spieler nach dem 30. Juni zeitweise in zwei Arbeitsverhältnissen steht. Das würde nicht nur erhebliche arbeitszeitrechtliche Schwierigkeiten ("Arbeitszeiten bei mehreren Arbeitgebern sind zusammenzurechnen", § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Arbeitszeitgesetz) aufwerfen, sondern wäre auch praktisch undurchführbar. Vermieden werden kann das, indem der Vertrag mit dem neuen Verein dergestalt angepasst wird, dass er erst am Tag nach Ablauf des alten Vertrags beginnt.

Dogmatischer Hebel hierfür ist wiederum § 313 Abs. 1 BGB: Geschäftsgrundlage des neuen Vertrags ist, dass der Spieler ab dem 1. Juli nicht mehr beim alten Verein unter Vertrag stehen und deshalb "frei" sein wird, sich dem neuen Verein anzuschließen. Hätten die Parteien vorausgesehen, dass dies wegen der Coronakrise nicht der Fall ist, hätten sie einen entsprechend späteren Vertragsbeginn vereinbart.

Weil damit die angesprochenen Schwierigkeiten vermieden werden, entspricht eine solche Verschiebung auch dem hypothetischen Parteiwillen. Das dürfte selbst dann gelten, wenn der Spieler beim neuen Verein mehr verdient. Der Verlust dürfte nämlich überschaubar bleiben, reden wir hier doch von der Differenz zwischen einem oder maximal zwei Monatsgehältern.

Wenn überhaupt, so kann die Saison 2019/2020 nur erfolgreich beendet werden, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Spieler und Vereine sind hier ebenso in der Pflicht wie die Verbände. Diese sind aufgerufen, durch Verschiebung der Transferperiode den notwendigen zeitlichen Freiraum zu schaffen und eventuelle verbandsrechtlichen Hürden für konstruktive Lösungen zu beseitigen.

Der Autor Prof. Dr. Philipp S. Fischinger, LL.M. (Harvard) ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Sportrecht an der Universität Mannheim. Er hat zu der in diesem Artikel besprochenen Problematik ein Gutachten für den Württembergischen Fußallverband erstellt.

Zitiervorschlag

Profifußball in der Coronakrise: Verlieren Vereine ihre Spieler vor Saisonende? . In: Legal Tribune Online, 28.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41125/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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