Druckversion
Freitag, 14.11.2025, 14:34 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/olg-bamberg-4u1523e-corona-covid-19-impfung-impfschaden-astrazeneca-schadensersatz-schmerzensgeld
Fenster schließen
Artikel drucken
52482

OLG Bamberg zur Haftung für Corona-Impfschäden: Hat Astra­Ze­neca zu spät über das Throm­bo­se­ri­siko infor­miert?

von Dr. Max Kolter

14.08.2023

Ramona Klüglein mit ihrem Anwalt Volker Loeschner beim OLG Bamberg

Ramona Klüglein erlitt schwere Gesundheitsschäden nach einer Corona-Impfung mit einem AstraZeneca-Vakzin. Mit ihrem Anwalt Volker Loeschner verklagt sie den Hersteller auf Schadensersatz. Foto: picture alliance/dpa | Daniel Karmann

In einem vielbeachteten Impfschadensprozess hat das Gericht nun die Richtung vorgegeben: AstraZeneca könnte tatsächlich zum Schadensersatz verpflichtet sein – jedoch aus einem anderen Grund als bisher in den Medien diskutiert wurde.

Anzeige

"Das, was ich in den letzten zwei oder zweieinhalb Jahren erlebt habe, wünsche ich keinem", sagte Ramona Klüglein dem ARD-Morgenmagazin in einem am Montag veröffentlichten Beitrag. Sie hatte sich im März 2021 mit dem damals einzig verfügbaren Covid-19-Impfstoff des britisch-schwedischen Unternehmens AstraZeneca impfen lassen. Im Anschluss hatte sie eine sogenannte Darmvenenthrombose erlitten und war im Koma gelandet, letztlich mussten ihr drei Meter Darm entfernt werden.

Wegen dieser massiven Gesundheitsschäden verklagt Klüglein AstraZeneca derzeit vor dem Oberlandesgericht (OLG) Bamberg (Az. 4 U 15/23 e). Sie fordert insgesamt bis zu 600.000 Euro als Schmerzensgeld sowie als Schadensersatz für künftige Beeinträchtigungen. Nachdem sie in erster Instanz vor dem Landgericht (LG) Hof gescheitert war (Urt. v. 03.01.2023, Az. 15 O 22/21), legte sie Berufung ein, über welche seit Anfang Juli in Bamberg verhandelt wird. 

Nun hat das Gericht einen Hinweisbeschluss erlassen, der klarstellt, worum es im weiteren Verlauf des Verfahrens gehen wird – und worum nicht. Nach Auffassung der Richter lässt sich die Klage nicht darauf stützen, dass der Impfstoff "fehlerhaft", also besonders risikoreich ist. Stattdessen kommt aber ein anderer Grund in Betracht, den der Anwalt der Klägerin Volker Loeschner im ARD-Morgenmagazin vorgetragen hat: AstraZeneca hat vor Durchführung der Impfung unzureichend über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt, hätte dies laut Loeschner aber tun müssen.

Hat AstraZeneca nicht hinreichend aufgeklärt? 

Das OLG zeigt nun deutliche Sympathie für diesen in § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Arzneimittelgesetz (AMG) normierten Haftungsgrund: "Der Senat geht derzeit davon aus, dass die Klägerin nicht mit dem Impfstoff der Beklagten geimpft worden wäre, wenn das Risiko einer Darmvenenthrombose in der Fachinformation der Beklagten dargestellt gewesen wäre", heißt es in einer Mitteilung des Gerichts vom Montag.

Zur Frage, ob die Impfung kausal für die Gesundheitsschäden war, äußerte sich das OLG in der Mitteilung nicht. Dies setzt das Gericht offenbar voraus. Auch das für die Prüfung einer Entschädigung durch staatliche Stellen zuständige Zentrum Bayern Familie und Soziales hatte einen Impfschaden in Klügleins Fall bereits bejaht. 

Damit besteht offenbar Klarheit über zwei wesentliche Punkte: Die schweren Gesundheitsschäden, die Klüglein erlitt, lassen sich auf die Impfung mit dem Corona-Vakzin von AstraZeneca zurückführen und in dem Wissen über eine mögliche Darmvenenthrombose hätte sie sich nicht impfen lassen. Damit steht die Tür für eine erfolgreiche Klage durchaus offen. 

Doch ist nach Auffassung der Richter noch zu klären, "ob eine Darstellung in der Fachinformation nach dem damaligen wissenschaftlichen Stand geboten war". Sie wollen dies nun in einem Sachverständigengutachten klären lassen.

Schwankende Empfehlungen von STIKO und EMA 

Hierbei wird es vor allem auf den zum Zeitpunkt der Impfung im März 2021 vorherrschenden Forschungsstand ankommen. Relevant dürften hierbei auch die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) und der Europäischen Arzneimittelaufsicht (EMA) bezüglich des Astra-Zeneca-Impfstoffs sein. Noch einen Tag, nachdem Klüglein geimpft worden war, kam die EMA zu dem Schluss, dass Thrombosen unter geimpften Personen nicht häufiger aufträten als in der Gesamtpopulation. Die STIKO empfahl daraufhin weiter die Impfung mit dem Vakzin. Zwar zeigten "vorliegende Daten zu den thromboembolischen Ereignissen […] ein Sicherheitssignal". "Allerdings ist die insgesamt vorliegende Evidenz derzeit begrenzt", hieß es in einer Mitteilung vom 19. März.

Erst Anfang April 2021 änderte die STIKO ihre Einschätzung und beschränkte die Empfehlung des Impfstoffs auf Personen über 60 Jahre. Die EMA beließ es bei der uneingeschränkten Empfehlung, riet aber dazu, das Risiko von ungewöhnlichen Blutgerinnseln in Verbindung mit Thrombozytopenie als eine sehr seltene Nebenwirkung aufzuführen. 

OLG sieht keine Haftung wegen Produktfehlers 

Interessant ist, dass das OLG in seinem Hinweisbeschluss einen anderen Haftungsgrund verneinte, auf den sich die mediale Berichterstattung über den Fall – auch bei LTO – bislang fokussiert hat: dass der Impfstoff "schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen" (§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG). Diese Voraussetzung liegt nämlich nur vor, wenn die Risiken der Einnahme des Arzneimittels den gesamtgesellschaftlichen Nutzen überwiegen. Dass die AstraZeneca-Breitenimpfung mehr Schaden verursacht hätte, als sie die Bevölkerung vor den Folgen einer schweren Covid19-Infektion geschützt und zur Eindämmung der Pandemie beigetragen hätte, konnte das OLG nicht erkennen. 

Klüglein hatte hierzu vor dem LG Hof vorgetragen, das Risiko einer – wie in ihrem Fall – konkret lebensbedrohlichen Darmvenenthrombose sei unverhältnismäßig. Doch das sieht das OLG offenbar – wie schon das LG – anders. Es wies in der Mitteilung vom Montag darauf hin, dass "die von der Klägerin angeführten Nebenwirkungen schon im Zeitpunkt der Zulassung bekannt gewesen und bei dieser berücksichtigt worden seien".  

Das heißt: Was der Klägerin hier passiert ist, ist bereits in die erforderliche Risiko-Nutzen-Abwägung einbezogen worden. Weil der Impfstoff so wirksam zur Bekämpfung der Pandemie war, sind eben auch derart schwere Folgen hinzunehmen. 

Haftung für Corona-Impfstoffe beschäftigt die Gerichte 

Stattdessen geht es im weiteren Verfahren in Bamberg nun also um eine Rechtsfrage, die man aus dem Verbraucherrecht sowie dem Recht über den Behandlungsvertrag kennt: Wurde die Patientin vor der Impfung hinreichend informiert? Am Ende soll jeder selbst entscheiden, ob er sich impfen lässt – aus einer wohlinformierten Position heraus. Angesichts der Dynamik des wissenschaftlichen Kenntnisstandes im Frühjahr 2021 und der Komplexität der Materie wird mit Spannung abzuwarten sein, wie das OLG Bamberg auf Grundlage des Sachverständigengutachtens schließlich entscheidet.

Sowohl Klüglein als auch AstraZeneca haben nun Gelegenheit, sich zu dem Beschluss zu äußern. Rechtsanwalt Loeschner wertete die Entscheidung als Teilerfolg. Der Beschluss habe Auswirkungen auf gleichartige Haftungsprozesse: Gerichte könnten nicht ohne Gutachten über diese Thematik urteilen. AstraZeneca lehnt eine Haftung bislang strikt ab. Auch auf einen Vergleich hat sich das Unternehmen nicht eingelassen.

Das Verfahren in Bamberg ist nicht der einzige Zivilprozess, in dem sich ein Hersteller eines Corona-Impfstoffs verantworten muss. Am gleichen Tag im Juli war auch vor dem LG Rottweil verhandelt worden, der dortige Kläger hat nach eigenen Angaben infolge einer Impfung des Herstellers Biontech das Sehvermögen auf einem Auge verloren. Medienberichten zufolge sollen über 200 derartige Haftungsprozesse vor deutschen Zivilgerichten anhängig sein.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

OLG Bamberg zur Haftung für Corona-Impfschäden: . In: Legal Tribune Online, 14.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52482 (abgerufen am: 15.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Zivil- und Zivilverfahrensrecht
    • Arzneimittel
    • Gesundheit
    • Produkthaftung
    • Schadensersatz
    • Schmerzensgeld
  • Gerichte
    • Oberlandesgericht Bamberg
Suchzeile der Suchmaschine Google auf einem iPad 14.11.2025
Nachrichten

LG Berlin II sieht Kartellrechtsverstöße:

Google muss Idealo 465 Mil­­lionen Euro zahlen

Google gilt bei vielen als der Inbegriff der Suchmaschine. Diese Machtstellung auf dem Markt kommt jedoch mit Wettbewerbspflichten. Diese hat Google verletzt, entschied das LG Berlin II und sprach Idealo Schadensersatz in Millionenhöhe zu.

Artikel lesen
Kräftemessen unter Pferden (Symbolbild) 12.11.2025
Tiere

LG Koblenz bejaht Schadensersatzanspruch:

Ran­gelnde Hengste beschä­d­igen Stall und ver­letzen sich

Der Offenstall ermöglicht artgerechte Haltung, birgt aber auch Gefahren: Dass sich Hengste darin rangeln, den Stall beschädigen und sich daraufhin verletzen können, hätte eine Stallbetreiberin in diesem Fall vorhersehen können, so das LG.

Artikel lesen
Die Reinigungskraft prüft sorgenvoll die Jacke, die durch unsachgemäße Behandlung beschädigt wurde. Waschhinweise ignoriert. 10.11.2025
Schadensersatz

Waschhinweise beachtet:

Rei­ni­gung rui­niert 1200-Euro-Jacke, haftet aber nicht

Ein Mann bringt seine 1.200-Euro-Jacke in die Reinigung – und bekommt sie mit Flecken zurück. Das Amtsgericht München sieht die Schuld nicht bei der Reinigung: Wer sich an die Herstellerhinweise hält, haftet für Materialfehler nicht.

Artikel lesen
Mann fotografiert einen Falschparker mit seinem Smartphone. 06.11.2025
Datenschutz

Vom Hilfssheriff zum Datensünder:

Falsch­parker-Melder muss 100 Euro Scha­dens­er­satz zahlen

Ein Mann meldet per App einen Falschparker – und schießt dabei übers Ziel hinaus. Weil er auch den Beifahrer fotografierte, muss er 100 Euro Schadensersatz und die gegnerischen Anwaltskosten von über 600 Euro zahlen, so das OLG Dresden.

Artikel lesen
Fohlen 05.11.2025
Tiere

BGH verneint Schaden bei der Pferdezucht:

Stute mit fal­schem Hengst­samen befruchtet

Pferdezucht ist ein Millionengeschäft. Doch vertauscht ein Tierarzt bei der Befruchtung den Samen zwei prachtvoller Zuchthengste, muss der Stutenhalterin nicht automatisch ein Schaden daraus entstehen, bestätigte der BGH die Vorinstanz.

Artikel lesen
Aufschrift "Triage" im Krankenhaus 04.11.2025
Ärzte

Verfassungsbeschwerde von 14 Medizinern erfolgreich:

Triage-Regeln sind ver­fas­sungs­widrig

Die Verfassungsbeschwerde von 14 Medizinern gegen Triage-Regelungen war erfolgreich. Das BVerfG erklärt den Kriterienkatalog sowie das Verbot der Ex-Post-Triage mangels Bundeskompetenz für verfassungswidrig und nichtig. Und wie geht's weiter?

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von DLA Piper UK LLP
(Se­nior) As­so­cia­te (m/w/x) im Be­reich En­er­gie­recht

DLA Piper UK LLP , Düs­sel­dorf

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
Re­fe­ren­da­re | Frank­furt

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Frank­furt am Main

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
Re­fe­ren­da­re | Düs­sel­dorf

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Düs­sel­dorf

Logo von Clifford Chance Partnerschaft mbB
BACKS­TA­GE - Das Pro­gramm für Prak­ti­kant*In­nen am Stand­ort Frank­furt...

Clifford Chance Partnerschaft mbB , Frank­furt am Main

Logo von Dentons
Re­fe­ren­dar (m/w/d) Li­ti­ga­ti­on & Dis­pu­te Re­so­lu­ti­on

Dentons , Frank­furt am Main

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
Re­fe­ren­da­re | Ber­lin

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Ber­lin

Logo von CMS Deutschland
Rechts­an­wäl­­te (m/w/d) für den Be­reich En­er­gy, Pro­jects &...

CMS Deutschland , Ham­burg

Logo von Deutsches Anwaltsinstitut e.V.
Re­fe­rent:in der Ge­schäfts­füh­rung (m/w/d)

Deutsches Anwaltsinstitut e.V. , Bochum

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Logo von Osborne Clarke GmbH & Co. KG
Sundowner @ Osborne Clarke - Köln - Die Winteredition

25.11.2025, Köln

15. Europas größte IP-Konferenz und Fachmesse

24.11.2025, München

NomosWebinar: Praktisch cybersicher – NIS-2 im Unternehmen

01.12.2025

4. Digital Justice Summit

24.11.2025, Berlin

Online-Seminar! § 15 FAO - Fahrzeugrennen und der technische Nachweis dieser sowie die juristischen

24.11.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH