Betriebsschließungen wegen Corona: Können Mieter jetzt doch min­dern?

Gastbeitrag von Marc Alexander Häger, LL.M.

19.11.2020

Im Frühjahr wurden hitzige Debatten um die Berechtigung zur Mietminderung nach behördlichen Schließungen geführt. Sie nehmen durch erste Entscheidungen der Gerichte wieder an Fahrt auf. Eine Zwischenbilanz von Marc Alexander Häger.

In Folge des ersten "Lockdowns" im Frühjahr hatten zahlreiche von Schließungen betroffene gewerbliche Mieter Miet- und Pachtzahlungen vorübergehend ausgesetzt oder deutlich reduziert. Dieses Vorgehen hatte in der Öffentlichkeit teils harte Kritik hervorgerufen: Einige sahen in dem Zurückhalten von Miete, obwohl ausreichend liquide Mittel vorhanden waren, gar ein unsolidarisches Verhalten. 

Aus juristischer Sicht war und ist die Sache komplex: Im Kern geht es um die Frage, ob die behördlich angeordneten Schließungen sich "nur" auf den Betrieb des Mieters beziehen und damit dessen Verwendungsrisiko verwirklichen oder (auch) die Mietsache selbst betreffen und damit einen Mietmangel darstellen können.  

Der Gesetzgeber warf mit dem "Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht" weitere Fragen auf: Es sieht zwar einen befristeten Kündigungsausschluss wegen Corona-bedingter Mietrückstände vor, aber beinhaltet gerade kein Minderungsrecht. Einige sahen darin eine Entscheidung des Gesetzgebers gegen ein Minderungs- oder sonstiges Anpassungsrecht in diesen Fällen. Diese Sicht wurde durch öffentliche Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung zum Thema verstärkt. 

Was für eine Mietminderung bei Corona-Schließungen spricht 

Für ein Minderungsrecht werden im Wesentlichen drei Argumente ins Feld geführt.  

Erstens sei in einer behördlich angeordneten Schließung ein Mietmangel zu sehen, wenn der vereinbarte Mietzweck eine Nutzung gestatte, die durch behördliche Anordnung branchenweit untersagt wird. Es habe sich dann gerade nicht ein vom Mieter (einzel-)betrieblich übernommenes Risiko realisiert. Zweitens könne auch ein Fall der Unmöglichkeit vorliegen, wenn der Vermieter die Mietsache nicht mehr zu der im Mietzweck vereinbarten Nutzung dem Mieter zur Verfügung stelle. Und drittens sei das Vorliegen einer Störung der Geschäftsgrundlage zu prüfen, da das Risiko einer pandemiebedingten Schließung offensichtlich keine Partei bei Abschluss des Mietvertrages übernommen oder auch nur bedacht habe. 

Nachdem viele Mieter und Vermieter vor dem Hintergrund der umstrittenen Rechtslage Einigungen gesucht und gefunden haben, liegen in manchen der vielen streitigen Fälle erste Entscheidungen der Gerichte vor. Soweit veröffentlicht, haben sich bisher insbesondere die Landgerichte (LG) Heidelberg, München I und zuletzt Frankfurt am Main intensiv mit Corona-bedingten Mietminderungen auseinandergesetzt. 

LG Heidelberg und Ffm lehnen Mietminderungsrecht ab 

Sowohl das LG Heidelberg (Urt. v. 30.07.2020, Az. 5 O 66/20) als auch jüngst das LG Frankfurt am Main (Urt. v. 02.10.2020, Az. 2-15 O 23/20) haben ein Minderungs- oder sonstiges Anpassungsrecht des Mieters in den entschiedenen Fällen abgelehnt.  

Beide Gerichte haben insbesondere ausgeführt, dass die Mietsache trotz behördlicher Anordnung grundsätzlich für die vertraglich vorgesehene Nutzung geeignet und lediglich der konkrete Betrieb durch den Mieter untersagt gewesen sei. Dieser Umstand falle alleine in den Risikobereich des Mieters. Aufgrund des übernommenen Verwendungsrisikos kommt nach Auffassung der Gerichte auch eine Störung der Geschäftsgrundlage nicht oder allenfalls bei einer Existenzbedrohung des Mieters in Betracht.  

Zu beachten ist, dass die Parteien in den entschiedenen Fällen einen sehr weiten Mietzweck vereinbart hatten, der – zumindest theoretisch – dem Mieter eine geänderte Nutzung weiter ermöglicht hätte. Ob die Entscheidung bei einem engeren Mietzweck, der jegliche Nutzung ausgeschlossen hätte, anders ausgefallen wäre, bleibt offen. 

LG München I bejaht Minderung 

Das LG München I hat in einer viel beachteten Entscheidung vom 22. September2020 (Az. 3 O 4495/20) – soweit ersichtlich als bislang erstes LG in Deutschland – Minderungsrechte des Mieters bejaht.  

Es knüpft in seiner Begründung ebenfalls an den Mietzweck an. In diesem Fall war der Mietzweck (Nutzung als Möbelgeschäft) allerdings so ausgestaltet, dass nach der behördlichen Anordnung für eine theoretisch denkbare andere Nutzung durch den Mieter von vornherein kein Raum mehr blieb. Hierin sah das Gericht unter Hinweis auf vier Entscheidungen des Reichsgerichts einen Mietmangel, der den Mieter zu einer Minderung der Miete in einer Höhe von bis zu 80 Prozent berechtige.  

Zudem erkannte das Landgericht Minderungsrechte auch für die Zeit der vorübergehend geltenden 800-Quadratmeter-Regelung (in Höhe von 50 Prozent) sowie für die in der Folge geltenden Hygienemaßnahmen und Einschränkungen der maximalen Kundenzahl (in Höhe von 15 Prozent) an. 

Wie es nun weitergehen könnte 

Die Frage, ob und in welchem Umfang Mieter nach einer behördlich angeordneten branchenweiten Schließung mindern können, bleibt nach den ersten Entscheidungen der Gerichte umstritten und wird erst durch den Bundesgerichtshof geklärt werden können.  

Für die juristische Beurteilung der Fälle scheint allerdings dem vereinbarten Mietzweck eine entscheidende Bedeutung zuzukommen: Haben die Parteien einen sehr engen Mietzweck vereinbart, der eine Nutzung nach der behördlichen Anordnung gänzlich für den Mieter ausschließt, spricht einiges dafür, hierin einen Mietmangel oder eine Unmöglichkeit der vereinbarten Gebrauchsgewährung durch den Vermieter zu sehen.  

Umgekehrt legt ein weiter Mietzweck den Schluss nahe, das Verwendungsrisiko (allein) dem Mieter zuzuweisen, wenn eine Nutzung trotz behördlicher Anordnung theoretisch weiter möglich ist. Diese Auffassung setzt allerdings voraus, dem Mietzweck über die bloße Eingrenzung der Nutzungsmöglichkeit des Mieters hinaus einen weitergehenden, auch den Vermieter verpflichtenden Regelungsgehalt beizumessen.  

Derzeit spricht einiges dafür, dass der Mietzweck auch den Vermieter bindet und verpflichtet, die Mietsache in einer für den Mietzweck geeigneten Weise zur Verfügung zu stellen. Gelingt ihm das nicht, weil die Mietsache unabhängig von der Person des Mieters branchenweit und auch in geänderter Form nicht mehr nutzbar ist, stellt dies einen Mietmangel dar. 

Der Autor Marc Alexander Häger, LL.M. ist Rechtsanwalt und Partner bei Oppenhoff in Köln. 

Zitiervorschlag

Gastbeitrag von Marc Alexander Häger, LL.M. , Betriebsschließungen wegen Corona: Können Mieter jetzt doch mindern? . In: Legal Tribune Online, 19.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43471/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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