Korrupte Mandatsträger: Ver­schär­fung der Abge­ord­ne­ten­be­s­te­chung "auf der Ziel­ge­raden"

von Hasso Suliak

21.09.2023

Seit Monaten verhandeln die Ampelfraktionen über eine Reform der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung. Jetzt steht man offenbar kurz vor dem Durchbruch. Noch in diesem Jahr sollen Strafverschärfungen in den Bundestag eingebracht werden.

Dass Bundesabgeordnete außerhalb des Parlamentes gerne die Hand aufhalten, ist spätestens seit der CSU-Maskenaffäre bekannt. Umso ärgerlicher, wenn sie dafür nicht bestraft werden können, weil das Strafrecht lückenhaft ist. Während Amtsträger wie Beamte die volle Härte und eine Strafverfolgung wegen Vorteilsnahme und Bestechlichkeit nach §§ 331 ff. Strafgesetzbuch (StGB) fürchten müssen, sieht § 108e StGB eine Strafbarkeit bei Mandatsträgern nur vor, wenn die Handlungen bei der "Wahrnehmung" ihres Mandates erfolgen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte im Zusammenhang mit der Maskenaffäre mehrere Beschlüsse des Oberlandesgerichts (OLG) München, das im Ermittlungsverfahren insbesondere Haft- und Vermögensarrestanordnungen aufgehoben hatte. Wie das OLG sah der BGH den Tatbestand der Bestechlichkeit von Mandatsträgern nicht als erfüllt an (Beschl. v. 05.07.2022, Az. StB 7-9/22)*. Der Ex-CSU-Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein sowie der ehemalige bayerische Justizminister Alfred Sauter (beide CSU) durften das aus den Maskendeals erlangte Geld seinerzeit behalten.

§ 108e StGB, so der BGH, beschränke sich auf "die Mandatstätigkeit als solche, nämlich das Wirken im Parlament, mithin im Plenum, in den Ausschüssen der  sonstigen parlamentarischen (Unter-)Gremien einschließlich der Fraktionen oder in mit Abgeordneten besetzten Kommissionen (etwa dem Vermittlungsausschuss)“. Gleichzeitig appellierte das Gericht mehr oder weniger deutlich an den Gesetzgeber, diese Lücke zu schließen. Es sei "ähnlich strafwürdig", wenn ein Mitglied des Bundestages (MdB) "bei außerparlamentarischen Betätigungen unter Berufung auf seinen Status im Interesse eines Privatunternehmers und ohne Vorgabe, im Auftrag des Parlaments zu handeln, Behördenentscheidungen zu beeinflussen versucht". SPD, Grüne und FDP reagierten darauf umgehend: Man werde sich zügig ans Werk machen und eine Nachjustierung auf den Weg bringen, beteuerten ihre Fachpolitiker u.a. gegenüber LTO.

Vom BMJ fachlich begleitet

14 Monate später ist indes noch nichts geschehen. Kein Gesetz, kein Entwurf. Zwar verschärfte die Große Koalition 2021 die Transparenzregeln in den §§ 44a ff. Abgeordnetengesetz (AbgG) und hob den Strafrahmen des 108e StGB von einem Jahr (zuvor: Geldstrafe) bis zu einer Höchststrafe von zehn Jahren (zuvor: fünf Jahre) an. Am Tatbestand des § 108e StGB selbst nahm man jedoch keinerlei Änderungen vor. 

Nach LTO-Informationen soll sich dies nun in Kürze ändern. Die Ampelfraktionen werden noch in diesem Jahr einen Vorschlag auf den parlamentarischen Weg bringen, verspricht die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Sonja Eichwede gegenüber LTO. "Die Freisprüche im Zusammenhang mit den sogenannten Maskendeals der Unionspolitiker haben Lücken in unserem Strafrecht offenbart. Diese Lücken wollen wir schließen." 

Ähnlich optimistisch ist auch die FDP: Es hätten mehrere Berichterstatter-Gespräche stattgefunden, die konstruktiv verlaufen und vom BMJ fachlich begleitet worden seien, so der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae. "Aktuell liegt noch kein finaler Formulierungsvorschlag vor. Wir sind aber auf der Zielgeraden und daher sehr zuversichtlich, dass wir zeitnah ein Ergebnis präsentieren können".

Mit welchen konkreten Formulierungen nun zu rechnen ist und in welchem Maße die Abgeordneten künftig noch ruhigen Gewissens nach dem alten Sprichwort "Gibst du mir, geb ich dir" verfahren dürfen, ist noch unklar. 

LTO-Exklusiv: Neues Gutachten im Auftrag der Grünen

Die juristische Materie ist alles andere als trivial, was die seit über einem Jahr andauernden Beratungen erklären würde. Aus der juristischen Fachwelt existieren diverse Vorschläge, wie sich die Strafbarkeitslücken schließen lassen. Strafrechtsprofessoren wie Michael Kubiciel, Henning Ernst Müller oder die Rechtswissenschaftler Till Zimmermann und Frank Zimmermann haben sich eingebracht. 

Handwerklich ist Präzision gefragt, u.a. geht es darum, z.B. Wertungswidersprüche mit anderen Normen – z.B. denen für Amtsträger im StGB oder auch den Verhaltensregeln im AbgG sowie Maßgaben im Parteiengesetz - zu vermeiden. Und natürlich schwebt über allem das Grundgesetz (GG) und die darin postulierte besondere Rechtsstellung der Abgeordneten. Sie verfügen über ein freies Mandat, sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (Art.38 Abs.1 S.2 GG).

Den neuesten Vorschlag, wie man es machen könnte, präsentieren am Freitag nun die Grünen im Rahmen eines Fachgesprächs in der Bundestagsfraktion. Diskutiert werden soll anhand eines Gutachtens des Strafrechtlers Prof. Erol Pohlreich, das LTO exklusiv vorliegt. 

Darin schlägt er die Schaffung von zwei neuen Straftatbeständen vor. Zum einen einen neuen § 108f StGB, der die Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung bei Mandatsträgern auch außerhalb des jeweiligen Parlamentes regelt. Danach würden künftig Bundestags- und Landtagsabgeordneten sowie EU-Parlamentariern eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren drohen. Bestraft werden soll ein Abgeordneter, wenn er für ein Verhalten, "das im Zusammenhang mit der Ausübung seines Mandates steht, einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt, oder annimmt". Kommunale Mandatsträger bleiben ausgenommen: "Was kommunale Gebietskörperschaften oder Teile einer Gebietskörperschaft angeht, spricht gegen ihre Einbeziehung in den neuen Tatbestand, dass es bei ihnen typischerweise an spezifischen, kodifizierten Regelungen wie denen des Abgeordneten- und Parteienrechts fehlen wird", erläutert Pohlreich.

Der Vorteilsgeber soll etwas glimpflicher davonkommen. Ihm würde eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren drohen. Pohlreichs Kollege Kubiciel hatte hier wegen des mit § 108e StGB vergleichsweise geringeren Unrechts als Strafrahmen sechs Monate bis drei Jahre vorgesehen - und zwar sowohl für die Mandatsträger als auch für die Vorteilsgeber.

Strafbarer Einflusshandel

Nach Pohlreichs Vorschlag soll außerdem in einem neuen § 108g StGB der sog. Einflusshandel unter Strafe gestellt werden. Damit könnten Strafbarkeitslücken in Konstellationen geschlossen werden, in denen Mandatsträger Vorkehrungen treffen, um den Mandatszusammenhang zu kaschieren. "Ein Mandatsträger muss nicht notwendigerweise seine offizielle Abgeordneten-Mailadresse nutzen oder auf andere Weise auf seine Mitgliedschaft in einer Volksvertretung hinweisen, um sein Mandat zum eigenen Profit einsetzen zu können", schreibt Pohlreich. 

Gemeint sind auch Fälle, in denen der Betreffende so bekannt ist, dass er den Bundesadler auf dem Briefbogen oder ähnliches nicht braucht. "Zum Beispiel, wenn Friedrich Merz mit seinem privaten Handy auf dem Privatanschluss des Bundeskanzlers anruft, um sich als Anwalt für die Interessen einer seiner Mandanten einzusetzen", erläutert Pohlreich gegenüber LTO

Würde man es bei einem § 108f belassen, würde es im Regelfall wohl nur die unbekannteren Abgeordneten treffen, so der Strafrechtler von der Viadrina-Uni in Frankfurt (Oder). Abgeordneten, die künftig derart ihren Einfluss im Parlament oder gegenüber einer Regierung ausüben und sich dafür gut bezahlen lassen, soll nach Pohlreichs Vorschlag künftig eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe drohen. 

Deutschlands Sonderweg

Auf welche konkrete Lösung wird sich die Ampelfraktionen verständigen? Am einfachsten wäre es wohl, die Mandatsträger in den Täterkreis der §§ 331 ff. StGB miteinzubeziehen, der bislang nur für Amtsträger gilt 

Das sieht eigentlich auch Strafrechtler Pohlreich so: In seinem Gutachten weist er darauf hin, dass die meisten EU-Mitgliedstaaten diese Konstruktion gewählt hätten und Mandats- und Amtsträger in ihre Bestechungstagbestände einbezogen hätten. Würde Deutschland diesem Weg folgen, würde dies so einiges erleichtern, meint er: "Es bedürfte in Zukunft keiner Prüfung mehr, ob die strafrechtliche Gleichbehandlung von Amts- und Mandatsträgern, wie sie das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption, die in Art. 4 des Strafrechtsübereinkommens des Europarats über Korruption sowie neuerdings Art. 2 Nr. 5 des Vorschlags der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Bekämpfung der Korruption zumindest im Ergebnis (…) fordern, durch das Sonderstrafrecht für Mandatsträger gewährleistet ist." 

Eine solche Einbeziehung dürfte jedoch aktuell (noch) unrealistisch sein. Hierzulande werde gegen ein solches Modell "fast gebetsmühlenartig" der Einwand erhoben, eine Gleichstellung von Mandatsträgern mit Amtsträgern verbiete sich wegen der Verschiedenheit ihrer Aufgaben, des Fehlens eines genau umrissenen Pflichtenkreises für Mandatsträger und des Umstands, dass das Parlamentsrecht schließlich die Entgegennahme einiger Vorteile durchaus erlaube, so Pohlreich.

Grüne hadern mit dem BMJ

Wie auch immer – die Ampel hat sich vorgenommen, zeitnah die Strafbarkeitslücken im Bereich des § 108e StGB zu schließen. Auch wenn es in absehbarer Zeit eine EU-Richtlinie geben könnte, die faktisch die Einbeziehung in die Amtsträgervorschriften fordert. "Abgeordnete, die ihre Stellung ausnutzen, um sich persönlich zu bereichern, sollten strafrechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Wir werden einen Vorschlag zur Neuregelung des § 108e StGB vorlegen, der diesem Anspruch gerecht wird", sagt die grüne Rechtspolitikerin und Anwältin Canan Bayram gegenüber LTO

Ihr Kollege Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, verspricht an dieser Stelle Tempo und macht keinen Hehl daraus, dass die Grünen mit der bisherigen Zuarbeit aus dem FDP-geführten Bundesjustizministerium (BMJ) nicht zufrieden sind: "Bezüglich der bisher vorliegenden Vorschläge aus dem BMJ sehen wir als Parlamentsfraktionen aktuell noch Nachbesserungsbedarf." Einen großen Konflikt innerhalb der Ampel erwarten aber auch die Grünen deshalb nicht: "Wir sind optimistisch, bald ein gutes Ergebnis zu erzielen."

*In einer Vorversion war fehlerhaft behauptet worden, Nüßlein und Sauer seien "freigesprochen" worden. (Korrektur 22.09.2023, 9:49 Uhr)

Zitiervorschlag

Korrupte Mandatsträger: Verschärfung der Abgeordnetenbestechung "auf der Zielgeraden" . In: Legal Tribune Online, 21.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52760/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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