Arbeitsrecht im Koalitionsvertrag: Nur Arbeit 2.1 statt 4.0

von Matthes Schröder

19.02.2018

Für die moderne Arbeitswelt sind die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zu wenig ambitioniert, meint Matthes Schröder. Das Papier schweige sich nicht nur zu wichtigen Themen aus, sondern schaffe auch zusätzliche Bürokratie für Arbeitgeber.

Am 7. Februar 2018 haben CDU, CSU und SPD eine Einigung über einen Koalitionsvertrag erzielt, die noch unter dem Vorbehalt der Bestätigung durch ein Mitgliedervotum des sozialdemokratischen Koalitionspartners steht.

Schon die Ergebnisse der ersten Sondierungsgespräche ließen erahnen, dass ungeachtet des zähen Ringens um arbeitsrechtliche Themen der ganz große Wurf ausbleiben würde. Man kann politisch kontrovers diskutieren, welche Veränderungen für Arbeitgeber hinzunehmen sind, damit zentrale Ziele im Bereich des Arbeitnehmerschutzes angemessen umgesetzt werden können. Der Koalitionsvertrag jedenfalls weist erst einmal den Weg in Richtung Bürokratisierung und Einschränkung der Flexibilität von Unternehmen.

Wirklich konkrete Schritte für eine Fortentwicklung des Arbeitsrechts für die digitale Arbeitswelt sucht man überwiegend vergebens. Hier muss eine zukünftige Regierung die vage angedeuteten "Möglichkeiten", "Prüfungen" und "Rahmenbedingungen" zügig mit Leben füllen. Andere Projekte sind dagegen sehr deutlich vorgezeichnet, etwa bei der Befristung von Arbeitsverhältnissen und der Ausweitung der Rechte auf Teilzeit bzw. Rückkehr in Vollzeit. Die 16fache Verwendung der magischen Zahl "4.0" im Vertragsentwurf hätte aber auf weitere, konkretere Modernisierungsschritte im Bereich des Arbeitsrechts hoffen lassen.

Nach aktuellem Stand werden vor allem folgende Vorhaben die kommenden Jahre prägen:

Einschränkung der sachgrundlosen Befristung

Sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse werden seit langem kontrovers diskutiert. Die SPD hat das Ziel einer vollständigen Abschaffung nicht erreicht. Die geplanten Änderungen sind gleichwohl von erheblichem Gewicht.

Bislang können Arbeitsverhältnisse ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Dauer von maximal zwei Jahren wirksam befristet werden (§ 14 Abs. 2 TzBfG). Eine Benennung oder ein späterer Nachweis bestimmter Gründe (wie etwa die Vertretung eines Mitarbeiters in Elternzeit) ist nicht erforderlich. Innerhalb der zwei Jahre ist es möglich, das befristete Arbeitsverhältnis bis zu drei Mal zu verlängern. Zur Vermeidung von "Kettenbefristungen" darf mit dem betroffenen Arbeitnehmer nicht schon zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden haben. Dieses Ausschlusskriterium wurde durch das Bundesarbeitsgericht allerdings in einem umstrittenen "Akt der Rechtssetzung" dahin ausgeformt, dass ein Arbeitsverhältnis, welches bereits drei Jahre zurückliegt, einer wirksamen sachgrundlosen Befristung nicht im Weg steht.

Der Zeitraum für sachgrundlose Befristungen soll zukünftig von zwei Jahren auf 18 Monate verkürzt werden. Statt bislang drei ist nur noch eine Verlängerung in diesem Zeitraum möglich. Für die Praxis wäre dies allein eine nicht unwesentliche, wohl aber noch handhabbare Einschränkung.

Weitere Anforderungen treffen Unternehmen mit größerer Wucht, auch wegen der neuen Bürokratieanforderungen: Die sachgrundlose Befristung darf nämlich in Betrieben mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch mit maximal 2,5 Prozent der Belegschaft vereinbart werden. Gerade schnell wachsende Unternehmen werden so ausgebremst. Beispiel: So können bei 200 Beschäftigten nur noch mit fünf Mitarbeitern sachgrundlos befristete Verträge geschlossen werden. Für weitere befristete Einstellungen bedarf es stets des Vorliegens von rechtfertigenden Sachgründen. Bei Überschreitung der Quote sollen alle weiteren (dann unzulässig) als sachgrundlos abgeschlossenen befristeten Arbeitsverhältnisses unbefristet zustande kommen.

Auch wollen die Koalitionspartner "unendlich lange Ketten von befristeten Arbeitsverhältnissen" nicht länger hinnehmen. Mit Ausnahme einer Sonderregelung für bestimmte Berufsgruppen (Künstler und Fußballer) soll für offenbar alle Arten von Befristungen eine (weitere) Befristung unzulässig sein, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein unbefristetes oder ein oder mehrere befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Gesamtdauer von fünf oder mehr Jahren bestanden haben. Hierauf sollen Zeiträume angerechnet werden, in denen der Arbeitnehmer als Leiharbeiter im Betrieb des Arbeitgebers beschäftigt war. Erst nach Ablauf einer Karenzzeit von drei Jahren soll wieder der Abschluss eines befristeten Arbeitsverhältnisses möglich sein.

Recht auf Arbeitszeitverlängerung und befristete Teilzeit

Bisher waren Arbeitgeber lediglich verpflichtet, Verlängerungswünsche von Teilzeitbeschäftigten bei der Neubesetzung eines freien Arbeitsplatzes bevorzugt zu berücksichtigen. In Zukunft haben Teilzeitbeschäftigte dagegen einen Rechtsanspruch auf Verlängerung. Diesem Verlangen kann sich der Arbeitgeber nur entziehen, wenn er nachweisen kann, dass erstens kein entsprechender freier Arbeitsplatz vorhanden ist oder zweitens der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nicht mindestens gleich geeignet ist wie ein anderer Bewerber oder drittens dringende betriebliche Gründe oder viertens Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer dem Begehren entgegenstehen. Allen Erfahrungen mit Teilzeitansprüchen nach lässt sich vermuten, dass Arbeitgebern der Nachweis in der Praxis sehr schwer fallen wird.

Im Mittelpunkt der Ankündigungen des Koalitionsvertrages steht aber die Einführung eines zusätzlichen Rechtsanspruches auch auf befristete Herabsetzung der Arbeitszeit. Dieser neue Rechtsanspruch soll neben dem allgemeinen Anspruch auf dauerhafte Absenkung bestehen.

Für die befristete Verringerung der Arbeitszeit sollen im Hinblick auf das Verfahren und die mögliche Ablehnung aus betrieblichen Gründen im Wesentlichen die bisherigen Regelungen für die bisher unbefristete Verringerung der Arbeitszeit gelten.

Folgende Besonderheiten aber sind zu beachten: In Unternehmen mit bis zu 45 Mitarbeitern soll es den Anspruch auf befristete Herabsetzung nicht geben. Für Unternehmen mit 45 bis 200 Mitarbeitern soll der Anspruch auf befristete Teilzeit lediglich einem Arbeitnehmer "pro angefangenen 15 Mitarbeitern" zustehen. Bei Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern gilt diese Zumutbarkeitsgrenze gar nicht. Offen bleibt dabei unter anderem, wie die Auswahl erfolgen soll, wenn die Zahl der Anträge die Anzahl der Anspruchsberechtigten übersteigt. Denkbar wäre insoweit die Verteilung nach der Reihenfolge der Antragseingänge oder unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte.

Arbeitszeitgesetz

Des Themas "Arbeitszeit 4.0" hat man sich im Übrigen offenbar nicht konkreter annehmen wollen. Das nach wohl einhelliger Auffassung stark verstaubte Arbeitszeitgesetz bleibt im Wesentlichen wie es ist. Lediglich über eine Tariföffnungsklausel sollen nun vorsichtig "Experimentierräume" geschaffen werden, dies aber nur bei tarifgebundenen Unternehmen oder auf Grundlage von diesen bereits abgeschlossener Tarifverträge.

Ein wirklich modernisiertes Arbeitszeitgesetz für alle Unternehmen und Beschäftigten und eine echte "Öffnung für mehr selbstbestimmte Arbeitszeit und mehr betriebliche Flexibilität in der digitalen Arbeitswelt" - so die Formulierung des Koalitionsvertrages - ist damit vorerst nicht zu erwarten.

Weitere Vorhaben

Weiterhin soll die betriebliche Weiterbildung gestärkt werden. Hierzu wird unter anderem ein bislang nicht bestehendes Initiativrecht für Betriebsräte  geschaffen, auf dessen Basis über die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen im Betrieb beraten werden muss.  Eine Erzwingung bestimmter Maßnahmen allein auf Initiative des Betriebsrats gegen den Willen des Arbeitgebers bleibt aber weiterhin ausgeschlossen.

Die Regelungen zur Arbeit auf Abruf werden generalüberholt. Ohne Vereinbarung einer bestimmten Arbeitszeit wird diese mit 20 Stunden pro Woche fingiert, was einer Verdoppelung entspricht. Andere ausdrückliche Vereinbarungen bleiben aber zulässig. Der Anteil abzurufender und zu vergütender Zusatzarbeit darf die vereinbarte Mindestarbeitszeit um höchstens 25 Prozent überschreiten. Umgekehrt ist eine Unterschreitung der Mindestarbeitszeit nur noch um 20 Prozent zulässig.

Ab dem 1. Januar 2019 soll die Parität bei den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung wieder hergestellt werden, sodass künftig die Beiträge zur Krankenkasse wieder von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu gleichen Teilen getragen werden.

Das schnelle und unkomplizierte Wahlverfahren für Betriebsratswahlen in kleineren Betrieben (vereinfachtes Wahlverfahren) soll deutlich ausgeweitet, die Gründung und Wahl von Betriebsräten auf diese Weise erleichtert werden. Das vereinfachte Wahlverfahren ist zukünftig in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmern verpflichtend (bislang bis 50 Arbeitnehmer) und in Betrieben mit bis zu 200 Arbeitnehmern wahlweise möglich (bislang bis zu 100 Arbeitnehmer).

Neben weiteren, mehr oder weniger konkreten Änderungen (Sicherung der Unternehmensmitbestimmung, Arbeitnehmerdatenschutz, Stärkung der Pflege) bleiben gerade die unter der Überschrift "Gute digitale Arbeit 4.0" beschriebenen Pläne sehr allgemein. Das Thema der Weiterbildung steht auch hier klar im Vordergrund. Allenfalls noch angerissen und mit vagen Ankündigungen versehen sind die Themen der modernen Arbeitszeitgestaltung oder der mobilen Arbeit. Bezeichnend hier: Der neue rechtliche Rahmen für mobile Arbeit ist im Koalitionsvertrag kaum vorgezeichnet, aber dem Arbeitnehmer wird bereits ein Auskunftsanspruch gewährt, falls der Arbeitgeber den Wunsch nach mobiler Arbeit ablehnt.

Der Autor Matthes Schröder ist Rechtsanwalt und Partner am Hamburger Standort von Hogan Lovells International LLP.

Zitiervorschlag

Matthes Schröder, Arbeitsrecht im Koalitionsvertrag: Nur Arbeit 2.1 statt 4.0 . In: Legal Tribune Online, 19.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27093/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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