Kachelmann-Prozess: Am Ende nur Ver­lierer

Die erste Instanz gegen Jörg Kachelmann ist vorüber. Noch nie haben Öffentlichkeit und Medien einen Prozess nicht nur derart verfolgt, sondern auch beeinflusst. Medien wurden zu Machern, die Staatsanwaltschaft verbiss sich, das Gericht mauerte. Volker Boehme-Neßler über den "Freispruch zweiter Klasse" und zwei Welten, die aufeinander prallen.

Das Verfahren gegen Jörg Kachelmann ist zu Ende - jedenfalls vorläufig.  Er ist freigesprochen worden. Die Richter in Mannheim halten ihn nach 43 langen Verhandlungstagen für unschuldig. Es gebe keine Beweise, die - für sich gesehen – die Schuld oder Unschuld des Angeklagten belegten. Die Belastungszeugin war offenbar nicht hinreichend glaubwürdig, die Gutachter konnten das Geschehen nicht klären. Vom Tatvorwurf ist nichts übrig geblieben.

Die Causa Kachelmann war kein normaler Strafprozess. Sie enthielt alles, was eine klassische Tragödie ausmacht. Es gibt einen tragischen Helden, der scheiterte. Das Publikum erlebte ein Wechselbad großer Gefühle. Am Ende stand das Strafgericht der Götter, das den Helden verurteilte, in diesem Fall frei sprach.

Zur Katharsis des Publikums aber hat das nicht geführt. Die Bilanz für das Recht und für die Gesellschaft ist am Ende keine positive.

Der Gerichtshof der Öffentlichkeit

Das Interesse der Öffentlichkeit war von Anfang an riesig. Die Medien stürzten sich auf den Fall – und verloren schnell ihre professionelle Distanz. Sie beobachteten nicht mehr. Sie ermittelten, klagten an oder verteidigten gar selbst. Die Causa Kachelmann wurde in allen Details im Gerichtshof der Öffentlichkeit verhandelt.

Manche Medien waren nicht mehr Berichterstatter, sie waren Macher. Sie hatten plötzlich eine Mission. Sie mussten einen Vergewaltiger zur Strecke bringen und die Ehre einer Frau retten. Andere Medien verfolgten – ebenso engagiert und parteiisch – das entgegengesetzte Interesse: Sie mussten einen prominenten Mann vor den falschen Anschuldigungen einer rachsüchtigen Ex-Geliebten retten. Auf der Strecke bleiben letztlich beide, der Mann und die Frau. Sie stehen völlig nackt in der Öffentlichkeit. Ihre soziale Existenz ist vernichtet.

Ein wichtiger Grundpfeiler der Zivilisation wird dabei eingerissen. Die Unschuldsvermutung spielt im Gerichtshof der Öffentlichkeit keine Rolle. Dass jeder Verdächtige als unschuldig gelten soll, bis ein Gericht rechtskräftig seine Schuld festgestellt hat, lässt sich der Öffentlichkeit kaum vermitteln. Die Medienöffentlichkeit spricht ihr Urteil schnell und emotional.

Freispruch zweiter Klasse?

Das Landgericht Mannheim hat Jörg Kachelmann freigesprochen. Es war nach dem langen und ausführlichen Prozess nicht zweifelsfrei von seiner Schuld überzeugt. Eine ganze Armada von Zeuginnen und Gutachtern konnte nicht wirklich aufklären, was geschehen ist. In einer Situation, in der Aussage gegen Aussage steht, kommt ein Gericht an die Grenzen seiner Erkenntnismöglichkeit.

Ist das ein Freispruch zweiter Klasse? Selbstverständlich nicht. Das deutsche Recht kennt keinen Freispruch zweiter Klasse. Freispruch ist Freispruch. Ein Gericht darf nur verurteilen, wenn es nach der Hauptverhandlung keinen Zweifel an der Schuld des Angeklagten hat. In allen anderen Fällen muss es freisprechen. Und das haben die Mannheimer Richter hier getan.

Ist das ein gutes, vielleicht sogar: ein gerechtes Urteil? Schwer zu sagen. Die Öffentlichkeit konnte den Prozess ja in den entscheidenden Teilen nicht verfolgen. Fast alles, worauf die Mannheimer Richter ihr Urteil stützen, ist unter Ausschluss der Öffentlichkeit erörtert worden.

Gerechtigkeit und Wahrheit sind im Strafprozess nur Utopien. Aber für Rechtsfrieden müssen Gerichte schon sorgen. Und sie müssen das Vertrauen der Bürger in einen funktionierenden Rechtsstaat immer wieder gewinnen und bestärken.

Nur Verlierer

Im Fall Kachelmann aber gibt es nur Verlierer. Trotz seines Freispruchs wird der 52-Jährige nicht mehr dasselbe Leben in der Öffentlichkeit führen können wie vor dem Prozess. Zwar gab Radio Basel bekannt, er werde dort wieder nun wieder auf Sendung gehen und auch der von dem Schweizer gegründete  Wetterdienst Meteomedia gab bekannt, er werde wieder voll einsteigen. Die Wahrnehmung des ehemals freundlichen Wettermoderators aber ist eine andere, sein Name wird in den Köpfen auf lange Zeit verknüpft sein mit dem Vergewaltigungsvorwurf - und dem "Freispruch zweiter Klasse", der schon Minuten nach dem Urteil überall kolportiert wurde.

Seine Ex- Geliebte, die den Stein ins Rollen brachte, hat alles verloren. Sie steht da als rachsüchtige Lügnerin, die von der Öffentlichkeit bestenfalls noch bemitleidet wird. Und auch juristisch wird ihre Aussage womöglich noch ein Nachspiel haben, auch wenn die Kammer erklärte, dass auch nicht zwangsläufig von einer Falschbeschuldigung auszugehen sei.

Die Staatsanwaltschaft hat sich blamiert bis auf die Knochen. Sie hat sich voreilig festgelegt und einerseits übereifrig, andererseits einseitig ermittelt und am Ende auch ebenso einseitig plädiert. Das war kein Ruhmesblatt für die "objektivste Behörde der Welt". Sie hat ihren gesetzlichen Auftrag verletzt. Die Strafprozessordnung verpflichtet sie unmissverständlich, nicht nur belastende, sondern auch entlastende Umstände zu ermitteln und offenzulegen.

Der Rechtsstaat, das Gericht und Verschwörungstheorien

Hoffentlich gehört nicht auch der Rechtsstaat zu den Verlierern. Das Gericht hat einen wenig souveränen Eindruck gemacht. Verheerend für das Vertrauen der Öffentlichkeit in eine funktionierende Rechtspflege ist vor allem die Öffentlichkeitsstrategie des Gerichts gewesen. Die Kammer hat exzessiv die Öffentlichkeit ausgeschlossen, wenn Gutachter und Zeuginnen befragt wurden.

Urteile werden im Namen des Volkes gesprochen. Das geht nur, wenn das Volk auch sehen kann, wie diese Urteile entstehen. Kein Zweifel: Der Ausschluss der Öffentlichkeit ist ein unverzichtbares Instrument, um die Persönlichkeit und die Intimsphäre von Zeugen, erst recht von Opfern zu schützen. Gerade in Vergewaltigungsprozessen ist das wichtig. Aber ein Strafgericht muss eine schwierige und heikle Balance schaffen. Es muss so viel Öffentlichkeit wie möglich schaffen. Die Allgemeinheit darf nur so weit ausgeschlossen werden, wie das unbedingt nötig ist.

Das Landgericht Mannheim aber hat Raum geschaffen für Spekulationen und Misstrauen in seine Entscheidung. Das untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat - und fördert Verschwörungstheorien.

Zwei Welten

Warum ist der Kachelmann-Prozess zum Spektakel geworden - und gescheitert? Welche Lehren lassen sich daraus ziehen? Medien und Justiz sind zwei völlig unterschiedliche Welten, die nach völlig verschiedenen Logiken funktionieren. In den Medien geht es um Tempo, Gefühle und Dramatik. Der Gerichtshof der Öffentlichkeit wird vom schnellen (Vor-)Urteil dominiert.
Die Justiz arbeitet diametral entgegengesetzt. Sie muss entdramatisieren. Ihr Ideal sind langsame und akribische Ermittlungen und Befragungen, an deren Ende ein sorgfältig ausgewogenes, nicht aber spektakuläres Urteil steht. Für Gerichtsverfahren gilt nicht nur die Unschuldsvermutung. Angeklagte dürfen auch lügen oder schweigen, ohne dass die Richter daraus negative Schlüsse ziehen. Solche Maximen widersprechen der alltäglichen Intuition. Sie sind der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln und wenig glamourös. Aber das ist auch nicht ihre Aufgabe.

Der Prozess gegen Jörg Kachelmann und seine mediale Vorgeschichte zeigen, was bei einem Zusammenprall dieser Welten passieren kann. Wechselseitiges Misstrauen und gegenseitiges Unverständnis führen zu aggressiven Überreaktionen.

Die Revision als neue Chance

Boulevard-Medien schimpfen unqualifiziert auf die Justiz und machen die Suche nach der Wahrheit noch schwieriger. Das Gericht schottet sich völlig ab und lässt Berichterstatter festnehmen - unter dem absurden Verdacht, die Beratungen der Richter heimlich belauscht zu haben. Für das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat ist das pures Gift.

Muss der Rechtsstaat in der Mediengesellschaft neu erfunden werden?  Vielleicht. Eines hat der Kachelmann-Prozess jedenfalls gezeigt: Auf die Anforderungen und Zumutungen der Mediengesellschaft sind Rechtsstaat und Justiz noch nicht vorbereitet. Aber sie haben die Möglichkeit zu lernen.

Der Kachelmann-Prozess könnte in die Revision gehen und dann – diese Prognose ist nicht schwierig – vor einem anderen Gericht noch einmal aufgerollt werden. Die Justiz bekäme dann eine neue Chance. Sie könnte zeigen, dass sie auch in einem aufgewühlten Medienumfeld funktioniert.

Der Autor Prof. Dr. jur. habil. Dr. rer.pol. Volker Boehme-Neßler lehrt u.a. Medienrecht in Berlin.

 

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Zitiervorschlag

Volker Boehme-Neßler, Kachelmann-Prozess: Am Ende nur Verlierer . In: Legal Tribune Online, 31.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3405/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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