Vater des Amokläufers von Winnenden verklagt Klinik: "Schadensersatz aus Behandlungsvertrag"

Interview mit Dr. Erik Silcher

10.01.2013

Am Freitag geht der Strafprozess gegen den Vater von Tim K. vor dem LG Stuttgart weiter. Dieser bereitet derweil nicht nur die Verteidigung gegen Schadensersatzansprüche der Geschädigten vor, sondern nimmt seinerseits die Klinik in Regress, die den Sohn behandelt hatte: Die Ärzte hätten die Gefahr erkennen können, erklärt sein Anwalt Erik Silcher im LTO-Interview.

LTO: Herr Dr. Silcher, Sie haben das Klinikum Weinsberg, das den Sohn Ihres Mandanten behandelt hatte, auf Schadensersatz verklagt. Warum sollte Ihr Mandant einen Anspruch gegen das Krankenhaus haben?

Silcher: In der Sache gehen wir davon aus, dass eine Falschbehandlung vorliegt, die Klinik ihre Pflichten aus dem Behandlungsvertrag also nicht ordnungsgemäß erfüllt hat.

LTO: Wie begründen Sie das rechtlich?

Dr. Erik SilcherSilcher: Wir haben eine Schadensersatzklage in Form einer Freistellungsklage eingereicht. Das heißt, sollte unser Mandant von den Geschädigten in Anspruch genommen werden, möchte er die Klinik in Regress nehmen können.

Anspruchsgrundlage ist der Behandlungsvertrag mit der Klinik. Der Vater könnte entweder als Erbe seines Sohns in dessen Vertragsposition eingetreten sein oder von einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter profitieren. Gerade im Arztrecht ist die Konstellation üblich, dass Eltern mit in einen Vertrag einbezogen werden.

"Manche Klagen der Geschädigten sind überzogen"

LTO: Wie viel klagt Ihr Mandant ein? Wie setzt sich die Summe zusammen?

Silcher: Das ist natürlich davon abhängig, in welcher Höhe unser Mandant am Ende in Anspruch genommen wird. Wir haben aber einen vorläufigen Streitwert mit 8,8 Millionen Euro beziffert, weil uns dieser Wert als der vernünftigste erschien. In dieser Höhe wird unser Mandant wahrscheinlich in Anspruch genommen werden.

Es geisterten ja noch andere Werte durch die Gegend, 17 bis 18 Millionen. Diese Werte beruhen aber auf groben Schätzungen der Anspruchsteller, die uns bisher nur ganz rudimentär mitgeteilt worden sind.

LTO: Wer verklagt Ihren Mandanten auf Schadensersatz?

Silcher: Bisher sind nur wenige Klagen überhaupt anhängig. Nach Auskunft des Landgerichts Stuttgart sind es dort bislang sechs. Wir rechnen aber mit mehr.

Als Kläger treten die Geschädigten auf. Das heißt, die Verletzten, die Eltern und Verwandten der Opfer, aber auch die Stadt Winnenden und das Land Baden-Württemberg, das den geschädigten Polizisten Heilfürsorge leisten musste und im Gegenzug die Ansprüche der Beamten erlangt hat.

LTO: Wie beurteilten Sie die Erfolgsaussichten dieser Klagen?

Silcher: Teilweise werden sicherlich berechtigte Ansprüche geltend gemacht, manche Klagen sind aber auch sehr überzogen, insbesondere dort, wo es um Sachschäden geht. Zum Beispiel die Schäden, die an der Schule geltend gemacht werden. Wir rechnen nicht damit, dass alle Klagen in vollem Umfang durchgehen werden, aber teilweise bestimmt. Keine Frage.

"Die Ärzte werden aussagen"

LTO: Die Anwältin der Klinik hält Ihre Vorwürfe für "substanzlos". Für die behandelnden Ärzte gelte genauso wie im Strafverfahren die ärztliche Schweigepflicht. Wie würde sich das auf Ihre Klage auswirken?

Silcher: Die Ärzte können sich natürlich auch im Zivilprozess auf ihre Schweigepflicht berufen. Nur ist die Beweislast bei der zivilrechtlichen Haftungsfrage anders verteilt als im Strafverfahren. Wenn die Ärzte schweigen, dann wird zu unseren Gunsten davon ausgegangen, dass die Ansprüche bestehen. Deswegen gehe ich davon aus, dass die Ärzte aussagen werden.

LTO: Steht die Schweigepflicht aber denn überhaupt zur Disposition der Ärzte? Die Schweigepflicht besteht ja zugunsten des Patienten?

Silcher: Das ist richtig. Wir gehen aber davon aus, dass unser Mandant als Rechtsnachfolger und naher Angehöriger die Ärzte wirksam von der Schweigepflicht entbinden kann.

LTO: Noch ist Ihr Mandant weder strafrechtlich noch zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Wieso haben Sie bereits Ende 2012 Klage beim LG Heilbronn gegen die Klinik eingereicht?

Silcher: Weil wir davon ausgehen, dass der Freistellungsanspruch gegenüber der Klinik zum Jahresende verjähren wird.

LTO: Wie hängen der Ausgang des Strafverfahrens, die Schadensersatzansprüche gegen ihren Mandanten und das von Ihnen nun eingeleitete Regressverfahren gegen das Krankenhaus zusammen?

Silcher: Juristisch gar nicht. Das Strafurteil bindet die Zivilrichter nicht.

LTO: Herr Dr. Silcher, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Dr. Erik Silcher ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei M/S/L in Heilbronn.

Das Interview führte Claudia Kornmeier.

Zitiervorschlag

Dr. Erik Silcher, Vater des Amokläufers von Winnenden verklagt Klinik: "Schadensersatz aus Behandlungsvertrag" . In: Legal Tribune Online, 10.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7939/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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