Klagen gegen internationale Unternehmen: Wenn Unrecht weit weg ist

von Annelie Kaufmann

04.07.2014

Können deutsche Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden, die sie in anderen Ländern verursachen, haftbar gemacht werden? Menschenrechtsorganisationen stellten am Donnerstag eine Studie vor, die zu einem ernüchternden Ergebnis kommt: Beweisschwierigkeiten und ein fehlendes Unternehmensstrafrecht verhindern, dass die Verantwortlichen in Deutschland vor Gericht gestellt werden.

"Zu Hause nennen sie mich jetzt einen großen Lügner", sagt Ali Askouri. "Weil ich gesagt habe, wir bringen Lahmeyer vor Gericht. Und nun ist das schon vier Jahre her und nichts ist passiert." Das deutsche Unternehmen Lahmeyer International war im Norden des Sudan am Bau eines umstrittenen Staudammes beteiligt. Ali Askouri gehört zu denen, die bei der Überflutung Land, Haus und Habe verloren haben. Inzwischen lebt er in London, er vertritt eine Initiative der Betroffenen – und versucht die Lahmeyer-Manager in Deutschland vor Gericht zu bringen.

Es ist einer von fünfzig Fällen, die das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), zusammen mit den Menschenrechtsorganisationen Brot für die Welt und Misereor ausgewertet hat. Die Studie wurde am Donnerstag in Berlin vorgestellt. Es geht um die Frage, warum es so schwierig ist, internationale Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und massive Umweltschäden zur Verantwortung zu ziehen. Der Generalsekretär des ECCHR, Wolfgang Kaleck, sagt: "Das geltende Recht, die Verfahren, die wir hier haben, funktionieren einfach nicht für die Opfer." Die Fälle sind zu komplex und zu weit weg. Undurchsichtige Zuliefererketten, Beweisschwierigkeiten und ein fehlendes Unternehmensstrafrecht verhindern, dass die Verantwortlichen in Deutschland vor Gericht gestellt werden, so die Studie.

Staatsanwaltschaften für solche Fälle nicht ausgelegt

Es gibt bisher keine völkerrechtlich verbindlichen Regeln, die menschenrechtliche Verpflichtungen von Unternehmen festlegen. Allerdings hat der UN-Menschenrechtsrat vor drei Jahren sogenannte Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet. Diese Leitprinzipien legen fest, dass in erster Linie die jeweiligen Staaten dafür verantwortlich sind, Betroffene vor Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen zu schützen. Auch die Unternehmen selbst sollen Menschenrechte respektieren – etwa, indem sie entsprechende Risikoanalysen durchführen und negativen Auswirkungen bei Unternehmensprojekten entgegenwirken. Verbindlich sind die Verpflichtungen für Unternehmen jedoch nicht.

Die Opfer von Unternehmensunrecht müssen sich auf das jeweilige staatliche Rechtssystem verlassen. Beim Bau des Merowe-Staudamms hatte die sudanesische Regierung bis zuletzt keine Einigung mit den Anwohnern über die Umsiedlung erzielt. Dennoch wurde das Projekt weitergeführt, der Staudamm 2008 in Betrieb genommen. "Das Wasser stieg von August bis Januar, ein Dorf nach dem anderen wurde überschwemmt", berichtet Askouri. "Wir haben unser Land verloren und unsere Häuser. Die Straßen, Schulen und Krankenhäuser wurden geflutet – und die Regierung hat sich um nichts gekümmert." Nach ECCHR-Angaben sind 4.700 bis 10.000 Familien betroffen. "Im Sudan gegen die Regierung zu klagen, ist sehr schwierig", sagt Askouri. "Aber wir dachten, in Deutschland ist das Rechtssystem unabhängig und fair. Hier muss es doch möglich sein, Gerechtigkeit zu bekommen."

Im April 2010 hat Askouri gemeinsam mit dem ECCHR bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main eine Strafanzeige gegen den Geschäftsführer von Lahmeyer International, einen Bereichsleiter und weitere Mitarbeiter gestellt. Die Anzeige wirft ihnen unter anderem Überschwemmung, Sachbeschädigung und Aussetzung Hilfloser vor. "Der Fall hat dort eineinhalb Jahre vor sich hin geschmort", sagt Miriam Saage-Maaß vom ECCHR. "Die Staatsanwaltschaft ist dafür überhaupt nicht ausgelegt, die beschäftigt sich normalerweise mit Einbruch und Betrug – nicht mit einem Staudamm im Sudan". Trotzdem müssten Betroffene sich an die Staaten wenden können, in denen das Unternehmen seinen Sitz hat, betont Saage-Maaß: "Die wesentlichen Entscheidungen werden hier in Deutschland getroffen. Natürlich gibt es auch viele Verfahren, in den Ländern, in denen die Menschenrechtsverletzungen passieren. Aber es ist schwierig dort die Verantwortung deutscher Manager aufzuklären."

Unternehmensstrafrecht könnte mehr Klarheit bringen

Das gilt auch andersherum: Komplexe Unternehmensstrukturen, die Zusammenarbeit mit Tochterunternehmen und Zulieferbetrieben lassen oft nicht erkennen, was das deutsche Unternehmen von den Zuständen vor Ort gewusst hat. In einem Strafverfahren müsste aber nachgewiesen werden, wer welche Entscheidung getroffen hat. "Die Staatsanwaltschaften müssten hier viel schneller reagieren", so Saage-Maaß. Im Fall Lahmeyer wurden inzwischen erste Zeugen vernommen. "Aber wenn man zwei Jahre wartet, bis man Dokumente in den Unternehmen beschlagnahmt, findet man natürlich nichts mehr." Den Staatsanwaltschaften fehlen die Ressourcen. Wolfgang Kaleck betont allerdings, das sei auch eine Frage des politischen Willens: "Wenn es um organisierte Kriminalität oder Drogenhandel geht, sind die Staatsanwaltschaften auch mit komplexen, internationalen Fällen beschäftigt und schaffen das gut."

Auch im Zivilrecht gilt, dass die Betroffenen Ansprüche nur schwer nachweisen können. "Wir haben ein sehr konservatives und eingeschränktes Beweisrecht", sagt Saage-Maaß. Die Autoren der Studie fordern deshalb ein Vorverfahren oder ein Beweisaufnahmeverfahren wie etwa in den USA oder Großbritannien. Dort müssen Unternehmen auf Anordnung des Gerichts vorab umfassend relevante Informationen offenlegen. Im Fall Lahmeyer haben sich die Betroffenen außerdem gegen eine zivilrechtliche Klage entschieden, weil sie nicht einzelne Familien auswählen wollten. Das würde die Dorfgemeinschaften in Konflikte stürzen, erklärt Askouri. Verfahren für mehrere zehntausende Einzelpersonen kann allerdings schon logistisch keine Kanzlei bewältigen. Die Autoren der Studie fordern deshalb eine Möglichkeit für Gruppenklagen, so dass die Klagen einzelner Personen zusammengefasst werden können. Außerdem müssten die Sorgfaltspflichten von Unternehmen und die Haftung für Tochterunternehmen gesetzlich klar definiert werden.

Mehr Klarheit könnte auch ein einheitliches Unternehmensstrafrecht bringen. In vielen europäischen Staaten gibt es bereits entsprechende Regeln, in Deutschland wird noch darüber diskutiert. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht vor, entsprechende Regeln jedenfalls zu prüfen. Mit einem entsprechenden Gesetz könnten die Unternehmen als solche zur Verantwortung gezogen werden – nicht nur die einzelnen Verantwortlichen. Saage-Maaß würde das begrüßen: "Das würde verdeutlichen, dass das Unternehmen als Organisation dafür verantwortlich ist, nicht nur der jeweilige Manager. Es ist ja nicht unser Ziel, ein schwarzes Schaf hinter Gitter zu bringen, sondern wir wollen Unternehmen insgesamt für ihre Tätigkeit zur Verantwortung ziehen."

Gesetzesreformen allein reichten jedoch nicht aus, betont Kaleck. "Mit Reformen des geschriebenen Rechts ist es nicht getan. Hier muss ein Umdenken stattfinden, damit die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Unternehmen tatsächlich Zugang zu unserem Rechtssystem bekommen."

Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, Klagen gegen internationale Unternehmen: Wenn Unrecht weit weg ist . In: Legal Tribune Online, 04.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12455/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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