Sterbehilfe: Keine Einbahnstraße in den Tod

von Prof. Dr. Frank Saliger

19.06.2015

In Deutschland können sich suizidwillige Schwerkranke zur Unterstützung an Vereine oder einzelne professionelle Suizidhelfer wenden. Der Gesetzgeber will das strafrechtlich verbieten. Eine kritische Betrachtung von Frank Saliger.



Es begann mit der Gründung einer Niederlassung der Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas im September 2005: Seitdem versucht der Gesetzgeber, die organisierte Freitodhilfe unter Strafe zu stellen. Auch die Große Koalition hat sich diesem Ziel verschrieben. Mit dem Gesetzentwurf der Bundestagsabgeordneten Thomas Dörflinger und Dr. Patrick Sensburg vom 20. Mai 2015 und dem Gesetzentwurf der Bundestagsabgeordneten Michael Brand und Kerstin Griese und anderen vom Juni 2015 liegen die ersten Gruppenanträge zur Kriminalisierung der organisierten Freitodhilfe vor. Während der Entwurf von Dörflinger/Sensberg bereits jede auch versuchte Teilnahme an einer Selbsttötung unter Strafe stellen will, beschränkt sich der Entwurf von Brand/Griese darauf, die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung zu kriminalisieren. Ausdrücklich ausgenommen werden Angehörige und nahestehende Personen des Suizidwilligen, sofern sie nicht geschäftsmäßig handeln. Mit diesem Inhalt stellt der Entwurf von Brand/Griese eine Kombination von Regelungen aus (gescheiterten) Gesetzentwürfen der Jahre 2006 und 2012 dar.

Die gute und die schlechte Freitodhilfe

Um was geht es bei der Freitodhilfe? Die Freitodhilfe erfasst den Sachverhalt, dass ein in der Regel schwer kranker Suizidwilliger freiverantwortlich Hand an sich legen will und Dritte um Beratung und Unterstützung für eine schmerzfreie und sichere Selbsttötung ersucht. Leisten Dritte diese Unterstützung, so begehen sie Freitodhilfe, die nach geltendem Recht straflos ist. Voraussetzung für die Straflosigkeit des Dritten ist stets, dass die Selbsttötung freiverantwortlich erfolgt. Das ist der Fall, wenn der Suizidwillige sich im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und in Kenntnis aller relevanten Umstände für den Freitod entscheidet und diesen eigenhändig vollzieht.

Der Gesetzentwurf von Brand/Griese unterscheidet insoweit zwei Arten von Freitodhilfe, die individuelle und die geschäftsmäßige. Die individuelle Freitodhilfe soll die gute Freitodhilfe sein. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Suizidhilfe in der Regel durch einen Angehörigen oder eine sonst nahestehende Person im Einzelfall erfolgt und durch eine schwierige Konfliktsituation geprägt ist. Dagegen soll die geschäftsmäßige Freitodhilfe schlecht sein. Sie liegt bei einem Helfer vor, der die Freitodhilfe zu einem dauernden und wiederkehrenden Bestandteil seiner Tätigkeit macht, unabhängig von einer Gewinnerzielungsabsicht und unabhängig von einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit. Ausdrücklich wendet sich der Gesetzentwurf gegen die Tätigkeit eines Berliner Arztes, der in den vergangenen 20 Jahren über 200 Menschen als Sterbehelfer in den Tod begleitet hat, und gegen den Verein Sterbehilfe Deutschland, der 2013 insgesamt 41 Suizidbegleitungen in Deutschland durchgeführt hat.

Argument der fatalen Gewöhnung der Gesellschaft

Warum ist die geschäftsmäßige Freitodhilfe aber schlecht und soll künftig strafbar sein? Die Entwurfsverfasser sehen durch die Geschäftsmäßigkeit der Freitodhilfe die Selbstbestimmung und das Leben der Suizidwilligen abstrakt gefährdet. Denn bereits die schiere Einbeziehung der von spezifischen Eigeninteressen angetriebenen Suizidhelfer könne die Willensbildung und Entscheidungsfindung der betroffenen Personen beeinflussen. Dieses spezifische, auch nicht finanziell motivierte Eigeninteresse der Suizidhelfer bestehe darin, die eigene Dienstleistung möglichst häufig und effektiv zu erbringen. Die Zulassung einer seriellen Freitodhilfe führe darüber hinaus zu einem fatalen Gewöhnungseffekt der Gesellschaft an solche organisierte Formen des assistierten Suizids. Alte und kranke Menschen könnten sich dadurch zu einem begleiteten Suizid verleiten lassen, den sie ohne die Existenz solcher Angebote nicht begangen hätten. Das Strafrecht müsse daher als ultima ratio verhindern, dass Beihilfe zum Suizid zu einem Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung degeneriere.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Frank Saliger, Sterbehilfe: Keine Einbahnstraße in den Tod . In: Legal Tribune Online, 19.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15892/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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