Das Bundesverwaltungsgericht hat Sterbewilligen den Zugang zu Natriumpentobarbital verwehrt. Das ist richtig so, findet Christian Rath. Denn die Gefahr ist zu hoch, dass ein so tödliches Medikament in die falschen Hände gelangt.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist richtig. Es kann keinen Anspruch von Sterbewilligen auf Zugang zum Suizidmedikament Natriumpentobarbital (Na-P) geben. Gerade weil es ein zuverlässig tödliches Medikament ist, bei dem kleine Dosen genügen, darf es nicht einfach so in private Hände gelangen.
Im konkreten Fall wollten die zwei Kläger gerade nicht sofort sterben, sondern sich das Medikament auf Vorrat sichern, damit sie es bei Bedarf – wenn sich ihre Krankheiten verschlimmern – zur Hand haben. Sie wollten von niemandem abhängig sein. Bis dahin hätten sie das Medikament in ihrem Haushalt lagern müssen, in der Nachttisch-Schublade, im Kühlschrank oder in der Medikamentenschachtel. Nicht jeder hat einen Tresor.
Ist das nicht ein Hustensaft?
Wenn aber ein so tödliches Medikament ungeschützt zu Hause gelagert wird, drohen vielfältige Gefahren: Der neue Pfleger könnte das Suizidmedikament mit einem Hustensaft verwechseln, die Enkel könnten den Totenkopf für ein lustiges Piratensymbol halten oder die Erben wollen den Erbfall beschleunigen.
All diese Probleme sind so offensichtlich, dass man sich nur wundern kann, wie wenig der Kläger-Anwalt Prof. Robert Roßbruch in der Verhandlung vor zwei Wochen anzubieten hatte, um die Bedenken der Leipziger Richter:innen zu zerstreuen.
Vielleicht freut sich Anwalt Roßbruch aber insgeheim auch über das Urteil. Denn er ist nebenbei auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) und Organisationen wie die DGHS wurden durch das Urteil massiv gestärkt.
Früher böse, heute gut.
Das BVerwG hielt den Eingriff in das Recht auf selbstbestimmtes Sterben nämlich auch deshalb für verhältnismäßig, weil sich Sterbewillige eben auch an Sterbehilfeorganisationen wenden können. Im Ausgangsverfahren hatte schon das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) so argumentiert. Es ist erstaunlich, mit welcher Vehemenz inzwischen die Nutzung von Sterbehilfeorganisationen als zumutbare Alternative zum Freitod via Na-P empfohlen wird.
Noch vor wenigen Jahren galten Sterbehilfeorganisationen als großes Problem, als Geschäftemacher, die den Tod kommerzialisieren, und als Tabubrecher, die den Suizid abwickeln wie eine Blinddarmoperation. Seit 2017 war ihre Tätigkeit sogar strafbar, § 217 des Strafgesetzbuchs war (vor allem mit den Stimmen aus der Unionsfraktion) entsprechend verschärft worden.
Doch das Bundesverfassungsgericht erklärte die Norm im Februar 2020 in seinem radikalen Urteil zum "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" für nichtig. Das Urteil scheint auch in der gesellschaftlichen Debatte Wirkung zu zeigen. Heute sind die Sterbehilfevereine plötzlich Teil der verantwortungsbewussten, professionellen Lösung. Die Organisationen sorgen dafür, dass tödliche Medikamente erst am Tag des geplanten Todes ins Haus kommen und wieder mitgenommen werden, wenn es sich der zunächst Sterbewillige doch wieder anders überlegt.
Bundestag sollte etwas tun
Dennoch wäre es gut, wenn die Tätigkeit der Sterbehilfe-Organisationen besser als derzeit reguliert würde. Nachdem ein erster Versuch im Juli scheiterte (beide Gesetzentwürfe bekamen im Bundestag keine Mehrheit), besteht hier immer noch Handlungsbedarf. Zu sichern ist vor allem, dass die Vereine nur freiverantwortliche Suizide unterstützen. Insofern ist der Ruf nach dem Gesetzgeber, der nach dem Leipziger Urteil laut zu hören war, durchaus berechtigt.
Eine Freigabe von Na-P wird aber wohl auch der Gesetzgeber nicht beschließen. Schließlich muss auch der Bundestag sich Gedanken über einen möglichen Missbrauch des Medikaments machen. Um zu verhindern, dass die tödliche Substanz in falsche Hände kommt, dürfte es immer naheliegen, dass das Medikament von Helfer:innen erst ad hoc mitgebracht wird und nicht längere Zeit beim Sterbewilligen lagert.
Über den Einzelfall hinaus
Interessant ist, dass sich das BVerwG auch zum Fall einer "extremen Notlage" geäußert hat, obwohl es der konkrete Fall nicht erforderte. Selbst im Fall einer extremen Notlage (also etwa einer Krebserkrankung im Endstadium) sollen Sterbewillige keinen Anspruch auf Na-P haben und sich lieber an Sterbehilfe-Organisationen wenden.
Noch 2017 hatte das BVerwG anders entschieden und in verfassungskonformer Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes einen Anspruch auf Na-P zugebilligt. Die Vorsitzende Richterin Renate Philipp und zwei weitere der fünf Richter:innen auf der heutigen Richterbank waren schon damals dabei.
Das heute andere Ergebnis ist aber nicht Folge eines Sinneswandels, sondern von veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen. Je anerkannter, solider und erreichbarer die Suizidhilfe-Infrastruktur ist, umso weniger sind Selbsthilfe-artige Suizide mit gebunkertem Na-P erforderlich.
BVerwG zu Suizidmedikament: . In: Legal Tribune Online, 07.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53101 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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