Hinterbliebenengeld als neue Regelung im BGB-Deliktsrecht: Töten wird teurer

von Prof. Dr. Roland Schimmel

13.01.2017

2/2: Gesundheitsverletzung nicht mehr nötig

"Seelisches Leid“ ist weniger voraussetzungsreich als die bislang erforderliche Gesundheitsverletzung. Nach der Gesetzesbegründung wird kein Mindestmaß an Leid verlangt. Schon das persönliche Näheverhältnis indiziert das seelische Leid und ist ausreichend für die Entstehung des Anspruchs - vorausgesetzt, die übrigen haftungsbegründenden Tatbestandselemente etwa des § 823 Abs. 1 BGB liegen vor.

In der Sache handelt es sich beim geplanten Hinterbliebenengeld um Ersatz für immaterielle Schäden wie bei § 253 Abs. 2 BGB. Folgerichtig sieht die Begründung zum Entwurf vor, dass ein Ausgleich auch bei gleichzeitigem Vorliegen der bisherigen hohen Voraussetzungen für den Ersatz des sogenannte Schockschadens dieser Entschädigung nicht zusätzlich gewährt werden soll, sondern auf den Anspruch nach § 844 Abs. 3 BGB angerechnet wird.

Der Ansatz des Gesetzgebers, das Näheverhältnis beim genannten Personenkreis zu vermuten, verdient Zustimmung. Diese Vermutung zu widerlegen wird dem Schädiger nur ausnahmsweise gelingen. Darüber hinaus steht es jenseits des aufgezählten Personenkreises den Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaften, Enkeln und Großeltern sowie den langjährigen besten Freunden frei, vorzutragen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass auch sie zu dem Getöteten in einem vergleichbaren persönlichen Näheverhältnis gestanden haben.

Kosten werden Versicherer tragen

Wirtschaftlich gesehen wird das Töten eines Menschen teurer. Handlungsleitende Wirkung dürfte das kaum entfalten, weil die Abschreckung durch Strafrecht und das bisherige Schadensersatzrecht – man denke etwa an den Unterhaltsausfallschaden des § 844 Abs.2 BGB – schon bisher jeden ansatzweise rational handelnden Menschen von Tötungen anderer abhalten sollte.

Die erhöhten Kosten der statistisch unvermeidlichen zurechenbaren Tötungen von Menschen werden also letztendlich von Versicherern übernommen und auf den Preis von Versicherungsverträgen umgelegt werden. Haftet künftig ein Luftbeförderungsunternehmen auch den mittelbar geschädigten nahestehenden Personen, wird der Preis des Flugs ein wenig steigen. Das wird auszuhalten sein.

Am Ende werden es Zahlen in einer Tabelle

Wir leben in friedlichen Zeiten mit einer historisch gesehen beneidenswert guten medizinischen Versorgung, die Lebenserwartung steigt, ein früher Tod wird immer unwahrscheinlicher – die gesunkenen Zahlen von Verkehrstoten sind nur ein Beispiel unter vielen. Umso einschneidender und leidbesetzter wird der einzelne Todesfall wahrgenommen, zumal wenn er fremdverursacht ist. In diese Zeit passt eine Neuregelung wie die geplante perfekt.

Aber man erntet, was man sät. Wenn der jetzt vorgestellte Entwurf Gesetz wird, werden die Gerichte die Aufgabe haben, das seelische Leid in Geld zu bemessen, das der Tod eines nahestehenden Menschen verursacht. Geld ist kein gutes Maß dafür – allerdings gibt es wohl kein besseres. Welche Zahl dabei auch immer herauskommen wird; die Beteiligten werden sie immer als falsch empfinden. Trotzdem werden Juristen die Zahl in die einschlägigen Schmerzensgeldtabellen eintragen, um sie dann über die Jahre dem Kaufkraftschwund anzugleichen.

Selbst der Gesetzgeber sieht die überwiegend symbolische Funktion der neuen Vorschrift: In der Begründung zum Entwurf wird mehrfach betont, es gehe um die Anerkennung des Leids der Hinterbliebenen. Ein wortgleicher Absatz wird übrigens im Arzneimittelgesetz, Gentechnikgesetz, Produkthaftungsgesetz, Umwelthaftungsgesetz, Atomgesetz (AtomG) und dem Haftpflichtgesetz eingefügt. Den Anwendungsfall, der unter das AtomG zu subsumieren ist, möchte man sich indessen lieber nicht vorstellen.

Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main.

Zitiervorschlag

Roland Schimmel, Hinterbliebenengeld als neue Regelung im BGB-Deliktsrecht: Töten wird teurer . In: Legal Tribune Online, 13.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21759/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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