Mercedes vor dem FIA Tribunal: "Wer bei der Formel 1 mitspielt, hält sich besser an die Regeln"

Interview mit Dr. Markus H. Schneider

29.06.2013

Vergangene Woche wurde das Mercedes Formel 1-Team vom Tribunal der FIA verwarnt und für eine künftige legale Testfahrt, dem "three day young driver test", gesperrt. Die Konkurrenz empörte sich über die als zu milde empfundene Entscheidung. Warum das Gericht keine schärfere Strafe verhängt hat, wie das Sportgericht funktioniert und warum sich alle an seine Urteile halten, erklärt Markus H. Schneider im Gespräch mit LTO.

LTO: Herr Schneider, schildern Sie doch bitte zunächst, was genau Mercedes vor dem Tribunal der Fédération Internationale de l’Automobile (FIA) eigentlich vorgeworfen wurde.

Schneider: Der – unstreitige – Vorwurf besteht darin, dass das Formel 1-Team von Mercedes im Mai dieses Jahres drei Tage lang in Barcelona Reifentests mit dem "Formel 1 Exclusiv-Lieferanten Pirelli" durchgeführt hat, und zwar mit dem aktuellen Fahrzeug dieser Saison und ihren beiden besten Fahrern, Lewis Hamilton und Nico Rosberg. Darin liege aber ein klarer Verstoß gegen die Regularien des internationalen Dachverbands.

LTO: Gegen welche Vorschrift wurde denn hier konkret verstoßen, und was ist so schlimm an Reifentests?

Dr. Markus H. SchneiderSchneider: Das Regelwerk der FIA ist außergewöhnlich komplex und detailliert ausgestaltet. In diesem Fall ist Artikel 22 der 2013 Formula 1 Sporting Regulations betroffen. Die Vorschrift schreibt im Einzelnen vor, wann und unter welchen Umständen Fahrzeug- beziehungsweise Reifentests durchgeführt werden dürfen. Während der laufenden Rennsaison ist dies nur sehr eingeschränkt möglich. Eine Zuwiderhandlung gegen diese Regel wiederum wird als Verstoß gegen das in den Ziffern 1 und 151 des International Sporting Code geregelt Gebot "sportlicher Fairness" gewertet.

Sinn des Artikel 22 ist es, für alle Teams vergleichbare Bedingungen zu schaffen, damit der Wettbewerb möglichst fair bleibt. Formel 1-Fahrzeuge lassen sich nicht mit normalen PKW vergleichen – das sind hochtechnisierte Boliden, bei denen es in der Abstimmung auf die kleinsten Kleinigkeiten ankommt. Die Konkurrenz von Mercedes hatte errechnet, dass diese dreitägigen Tests im Rennen einen Vorteil von bis zu einer Sekunde pro Runde ausmachen könnten.

"Ein Vorteil ist schließlich ein Vorteil"

LTO: Wie kam es dann zu dem Verfahren vor dem FIA Tribunal?

Schneider: Nachdem einige andere Formel 1-Teams von den Tests Wind bekommen hatten, haben sie förmlich Protest bei der FIA eingelegt. Die Anklage wurde aber nicht von ihnen selbst, sondern, gemäß der Satzung der FIA, vom Verbandspräsidenten geführt.

LTO: Und wie hat Mercedes sich verteidigt?

Schneider: Mercedes hat mehrere Argumente angeführt. Erstens seien die Tests gar nicht aus eigenem Interesse heraus, sondern vielmehr auf Auftrag und Kosten des mitangeklagten Reifenlieferanten Pirelli durchgeführt worden. Zweitens sei der Vorteil keineswegs so groß wie behauptet; nach eigenen Rechnungen könne man durch die Tests allenfalls eine halbe Sekunde gutmachen. Drittens hätten Ron Meadows und Ross Brawn von Mercedes sich im Vorfeld vom Renndirektor der Formel 1, Herrn Charlie Whiting, die Legalität der Tests zusichern lassen. Zudem profitierten von den gewonnenen Erkenntnissen ja auch die anderen Teams, da Pirelli der einzige Reifenlieferant der Formel 1 sei und deren Erkenntnisse allen zur Verfügung stünden.

LTO: Diese Argumente konnten das Gericht aber nicht überzeugen?

Schneider: Nein. Ein Vorteil ist schließlich ein Vorteil, egal, ob er nun eine halbe oder eine ganze Sekunde beträgt, und wer den Test, auf dem er beruht, in Auftrag gegeben hat. Was Mr. Whiting betrifft, so war dieser nicht befugt, eine Genehmigung oder ähnliches zu erteilen, seine Zusage hatte also keine rechtliche Wirkung. Ob andere Teams auch – und im gleichen Ausmaß – profitieren werden, ist fraglich, und ändert ohnehin nichts am Regelbruch.

"Die Aufregung hat schon etwas Reflexhaftes"

LTO: Dennoch wurde Mercedes nur verwarnt und von einer Testfahrt für Nachwuchsfahrer ausgeschlossen – die Konkurrenz hält das für viel zu milde.

Schneider: Das ist natürlich Geschmackssache. Die Regularien der FIA sehen eine Liste verschiedener Sanktionen vor, welche hier nicht voll ausgereizt wurde. Die Aufregung der anderen Teams hat aber fast schon etwas Reflexhaftes – man kennt das ja aus dem Profiboxen oder Fußball, wo über die Entscheidungen der Offiziellen regelmäßig lautstark lamentiert wird. Show gehört halt dazu.

Es stellt sich auch die Frage, wie das Tribunal sonst hätte entscheiden sollen. Mercedes zu sperren, wäre zu drakonisch gewesen, hätte bei den Zuschauern und Fans für Entrüstung gesorgt und hätte vor allem dem Produkt Formel 1 geschadet. Indem Mercedes nun an einem zukünftigen Test nicht teilnehmen darf, wird der Vorteil, den sie hatten, möglicherweise in etwa kompensiert, und bei nochmaligem Regelbruch würde die Strafe sicher schärfer ausfallen.

LTO: Und Pirelli ist ungestraft davongekommen?

Schneider: Keineswegs. Die haben sich zwar darauf berufen, als Lieferant gar nicht unter die Gerichtsbarkeit des FIA Tribunals zu fallen, aber aus den Verträgen – so jedenfalls das Tribunal –  ergibt sich anderes. Letztlich muss Pirelli nun ein Drittel der Verfahrenskosten tragen und wurde ebenfalls verwarnt.

"Autorität - auch ohne Hoheitsgewalt"

LTO: Unter die Gerichtsbarkeit des Tribunals fallen – das hört sich sehr förmlich an. Was genau muss man sich unter so einem Sportgericht eigentlich vorstellen?

Schneider: Das Tribunal der FIA besteht aus zwölf Personen, von denen mindestens drei an der Urteilsfindung teilhaben müssen – beim Mercedes-Urteil waren es vier. Es gibt auch eine Berufungsinstanz, die in diesem Fall aber wohl niemand anrufen wird. Die Sportgerichte der FIA sind jedoch keine ordentlichen Gerichte in dem Sinne, wie Amts- oder Landgerichte es sind. Sie werden nicht von staatlicher Seite eingerichtet und verfügen auch nicht über hoheitliche Befugnisse. Ihre Macht ist rein privatrechtlicher Natur, indem die Parteien satzungsgemäß oder vertraglich den Entscheidungen unterworfen sind.

LTO: Was würde demnach passieren, wenn eine Partei sich einfach entscheidet, ein Urteil des Gerichts zu ignorieren?

Schneider: Das Urteil könnte nicht in derselben Weise vollstreckt werden wie Urteile von ordentlichen Gerichten. Der FIA steht es nach den Regularien frei, weitere Sanktionen zu verhängen und ein Team im Extremfall zu suspendieren. Die Missachtung einer Entscheidung des Tribunals stellt sich als neuer Regelverstoß dar. Dafür gäbe es eine ausgesprochen empfindliche Strafe, die man unbedingt vermeiden möchte. Wer bei der Formel 1 mitspielt, der hält sich also besser an die Regeln, auch ohne drohenden Gerichtsvollzieher.

LTO: Herr Schneider, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Der Gesprächspartner Dr. Markus H. Schneider ist Partner in der Kanzlei Dr. Schneider und Partner in Karlsruhe. Er promovierte zu einem sportrechtlichen Thema und ist Lehrbeauftragter für Sportrecht an der Universität Karlsruhe (KIT).

Die Fragen stellte Constantin Baron van Lijnden.

Zitiervorschlag

Dr. Markus H. Schneider, Mercedes vor dem FIA Tribunal: "Wer bei der Formel 1 mitspielt, hält sich besser an die Regeln" . In: Legal Tribune Online, 29.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9038/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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