Der Fall Jan Böhmermann: Ein Pläd­oyer für weniger Politik und mehr Justiz

von Tobias Sindram

15.04.2016

Promimente fordern die Bundesregierung auf, zu verhindern, dass gegen Jan Böhmermann ermittelt wird. Das zeigt nicht nur mangelndes Demokratieverständnis, kommentiert Tobias Sindram. Der Grenzfall Jan Böhmermann sei ein Fall für die Justiz.

Seit Montag prüft die Bundesregierung, ob sie dem Strafverlangen der türkischen Regierung nachkommt und der Staatsanwaltschaft Mainz erlaubt, wegen des "Schmähgedichts" gegen Jan Böhmermann zu ermitteln. Zahlreiche Politiker, Prominente, Satiriker, Journalisten und Bürger fordern von der Bundesregierung, schon das Ermittlungsverfahren gegen Böhmermann zu verhindern.

Alles andere, so die vielfach geäußerte Meinung, wäre  der GAU für die Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit. Der ehemalige Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichts, Michael Bertrams, warnt in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger: Die Bundesregierung würde mit einem Ja zur Strafverfolgung "nicht nur Jan Böhmermann, sondern gleichsam die Meinungs- und Kunstfreiheit an einen Autokraten und Despoten ausliefern, der bürgerliche Freiheiten im eigenen Land auf gröbste Weise missachtet."

Der Grenzfall Jan Böhmermann

Diese auch unter Journalisten weit verbreitete Meinung ist Unsinn. Mit der Zustimmung zur Strafverfolgung würde die Bundesregierung Jan Böhmermann und sein Gedicht nicht Erdogan ausliefern, sondern nur einer – ergebnisoffenen (!)  – Überprüfung durch die Strafjustiz.
Die, und nicht die Bundesregierung, wäre eigentlich zuständig, wenn es darum geht über Recht und Unrecht zu entscheiden. Das sollte umso mehr gelten, wenn es um einen juristischen Grenzfall geht.

Und auch wenn das vielen nicht gefällt: Ein solcher Grenzfall liegt hier vor. Jan Böhmermann hat mit seinem Gedicht versucht, die Grenzen der zulässigen Satire auszureizen. Gut möglich, dass er sie mit den  massiven sexuellen Beschimpfungen Erdogans überdehnt und sich also strafbar gemacht hat. Aber auch das Gegenteil lässt sich angesichts der Einbettung des Gedichts in den Gesamtkontext, also vor allem Erdogans unsäglicher Reaktion auf die extra-3 -Satire, lässt sich gut vertreten.

Auch Erdogans Ehre genießt Schutz

Egal, welche Meinung man dazu vertritt: Ob Jan Böhmermann sich strafbar gemacht hat oder nicht, ist jedenfalls alles andere als eindeutig. Auch Meinungs- und Kunstfreiheit sind nämlich nicht grenzenlos, sondern finden ihre Schranken nicht zuletzt in der Ehre Anderer. Und ja, auch extrem fragwürdige Autokraten wie Erdogan genießen zumindest ein wenig Ehrschutz, der Ausfluss der Menschenwürde ist.

Wer ihn Erdogan von vornherein abspricht, frei nach dem Motto, "es trifft ja keinen Falschen", spricht ihm letztlich auch jegliche Menschenwürde ab. Ob der Ehrschutz des türkischen Präsidenten zurücktreten muss hinter die Meinungs- und Kunstfreiheit von Jan Böhmermann, ist wie gesagt eine schwierige Abwägungsfrage. Eine eindeutige Antwort darauf findet man weder im Grundgesetz noch im Strafgesetzbuch.

Über die Strafbarkeit entscheidet nicht die Bundesregierung

Was viele bei ihrer Forderung an die Bundesregierung ebenfalls übersehen: Nicht die Regierung entscheidet darüber, ob Jan Böhmermann sich strafbar gemacht hat. Das könnten nur die Gerichte. Die Bundesregierung entscheidet noch nicht einmaldarüber, ob Jan Böhmermann angeklagt wird.
Das würde – auch bei Erteilung einer Verfolgungsermächtigung – allein die Staatsanwaltschaft Mainz entscheiden.

Zu einer Anklage käme es dabei nur, wenn die Anklagebehörde nach gründlicher Abwägung von Ehrschutz und Kunstfreiheit davon überzeugt wäre, dass eine Beleidigung vorliegt. Die Bundesregierung entscheidet also allein darüber, ob die Staatsanwaltschaft überhaupt wegen Beleidigung eines Staatsoberhaupts nach § 103 StGB ermitteln darf.

Zitiervorschlag

Tobias Sindram, Der Fall Jan Böhmermann: Ein Plädoyer für weniger Politik und mehr Justiz . In: Legal Tribune Online, 15.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19091/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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