Promimente fordern die Bundesregierung auf, zu verhindern, dass gegen Jan Böhmermann ermittelt wird. Das zeigt nicht nur mangelndes Demokratieverständnis, kommentiert Tobias Sindram. Der Grenzfall Jan Böhmermann sei ein Fall für die Justiz.
Seit Montag prüft die Bundesregierung, ob sie dem Strafverlangen der türkischen Regierung nachkommt und der Staatsanwaltschaft Mainz erlaubt, wegen des "Schmähgedichts" gegen Jan Böhmermann zu ermitteln. Zahlreiche Politiker, Prominente, Satiriker, Journalisten und Bürger fordern von der Bundesregierung, schon das Ermittlungsverfahren gegen Böhmermann zu verhindern.
Alles andere, so die vielfach geäußerte Meinung, wäre der GAU für die Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit. Der ehemalige Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichts, Michael Bertrams, warnt in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger: Die Bundesregierung würde mit einem Ja zur Strafverfolgung "nicht nur Jan Böhmermann, sondern gleichsam die Meinungs- und Kunstfreiheit an einen Autokraten und Despoten ausliefern, der bürgerliche Freiheiten im eigenen Land auf gröbste Weise missachtet."
Der Grenzfall Jan Böhmermann
Diese auch unter Journalisten weit verbreitete Meinung ist Unsinn. Mit der Zustimmung zur Strafverfolgung würde die Bundesregierung Jan Böhmermann und sein Gedicht nicht Erdogan ausliefern, sondern nur einer – ergebnisoffenen (!) – Überprüfung durch die Strafjustiz.
Die, und nicht die Bundesregierung, wäre eigentlich zuständig, wenn es darum geht über Recht und Unrecht zu entscheiden. Das sollte umso mehr gelten, wenn es um einen juristischen Grenzfall geht.
Und auch wenn das vielen nicht gefällt: Ein solcher Grenzfall liegt hier vor. Jan Böhmermann hat mit seinem Gedicht versucht, die Grenzen der zulässigen Satire auszureizen. Gut möglich, dass er sie mit den massiven sexuellen Beschimpfungen Erdogans überdehnt und sich also strafbar gemacht hat. Aber auch das Gegenteil lässt sich angesichts der Einbettung des Gedichts in den Gesamtkontext, also vor allem Erdogans unsäglicher Reaktion auf die extra-3 -Satire, lässt sich gut vertreten.
Auch Erdogans Ehre genießt Schutz
Egal, welche Meinung man dazu vertritt: Ob Jan Böhmermann sich strafbar gemacht hat oder nicht, ist jedenfalls alles andere als eindeutig. Auch Meinungs- und Kunstfreiheit sind nämlich nicht grenzenlos, sondern finden ihre Schranken nicht zuletzt in der Ehre Anderer. Und ja, auch extrem fragwürdige Autokraten wie Erdogan genießen zumindest ein wenig Ehrschutz, der Ausfluss der Menschenwürde ist.
Wer ihn Erdogan von vornherein abspricht, frei nach dem Motto, "es trifft ja keinen Falschen", spricht ihm letztlich auch jegliche Menschenwürde ab. Ob der Ehrschutz des türkischen Präsidenten zurücktreten muss hinter die Meinungs- und Kunstfreiheit von Jan Böhmermann, ist wie gesagt eine schwierige Abwägungsfrage. Eine eindeutige Antwort darauf findet man weder im Grundgesetz noch im Strafgesetzbuch.
Über die Strafbarkeit entscheidet nicht die Bundesregierung
Was viele bei ihrer Forderung an die Bundesregierung ebenfalls übersehen: Nicht die Regierung entscheidet darüber, ob Jan Böhmermann sich strafbar gemacht hat. Das könnten nur die Gerichte. Die Bundesregierung entscheidet noch nicht einmaldarüber, ob Jan Böhmermann angeklagt wird.
Das würde – auch bei Erteilung einer Verfolgungsermächtigung – allein die Staatsanwaltschaft Mainz entscheiden.
Zu einer Anklage käme es dabei nur, wenn die Anklagebehörde nach gründlicher Abwägung von Ehrschutz und Kunstfreiheit davon überzeugt wäre, dass eine Beleidigung vorliegt. Die Bundesregierung entscheidet also allein darüber, ob die Staatsanwaltschaft überhaupt wegen Beleidigung eines Staatsoberhaupts nach § 103 StGB ermitteln darf.
2/2: Ein merkwürdiges Verständnis von Gewaltenteilung
Und das sollte sie unbedingt dürfen. Denn gerade ein juristischer Grenzfall wie der Böhmermanns sollte durch die Justiz entschieden werden. Jener Gewalt also, die Meinungs- und Kunstfreiheit von Satirikern immer wieder betont und in den allermeisten Fällen auch höher bewertet hat als die gekränkte Ehre des Verspotteten. Im Zweifel für die Freiheit? Unbedingt! Aber bitte durch die zuständige Justiz. Und vor allem nicht aufgrund öffentlichen Drucks, sondern nur nach rechtlicher Abwägung.
Alle, die jetzt fordern, die Bundesregierung, sprich die Kanzlerin, solle der Justiz das Verfahren von vornherein – gewissermaßen per "Ordre de Mutti" – entziehen, offenbaren nicht nur ein merkwürdiges Verständnis von Gewaltenteilung.
Sie verhalten sich auch extrem widersprüchlich. Schließlich lautet einer der Hauptvorwürfe gegen Erdogan doch gerade, dass die Justiz in der Türkei nicht unabhängig ist von einer Regierung, die immer wieder kritische Journalisten verfolgen lässt. Wer das - zu Recht - anprangert, darf nicht gleichzeitig fordern, dass auch die Bundesregierung in die Unabhängigkeit der Justiz eingreifen sollte, ja sogar eingreifen müsse, indem sie die ergebnisoffene rechtliche Überprüfung von Böhmermanns Gedicht von vornherein verhindern möge.
§ 103 StGB abschaffen? Bitte nicht nur für Jan Böhmermann
Das einzig Argument, das vielleicht gegen die Verfolgungsermächtigung sprechen könnte, ist, dass die Vorschrift, die sie voraussetzt, ihrerseits antiquiert erscheint und abgeschafft werden sollte.
Schließlich werden auch Staatsoberhäupter durch die "normale" Beleidigung (§ 185 StGB) geschützt und können – wie im Fall Erdogan geschehen – Strafantrag stellen, wenn sie meinen, beleidigt worden zu sein. Die umstrittene "Majestätsbeleidigung" des § 103 StGB soll dann aber bitte der Gesetzgeber abschaffen, und nicht die Bundesregierung allein für den Fall Böhmermann.
Von einer Streichung des Paragraphen in den nächsten Monaten würde der übrigens noch profitieren. Denn bei laufenden Verfahren gilt immer das mildere Gesetz (§ 2 Absatz 3 StGB).
Selbst wenn die Bundesregierung die Staatsanwaltschaft am Ende nicht zur Strafverfolgung ermächtigen sollte: Der Wunsch vieler, dass damit von oben ein Schlussstrich unter die Angelegenheit gezogen werde, bliebe dennoch unerfüllt.
Der Justiz ist egal, wie Erdogan das findet
Denn die Ablehnung der Strafverfolgung stünde ohnehin nur einer Anklage nach § 103 StGB entgegen; es würde aber zugleich Erdogans Strafantrag für die "normale" Beleidigung aufleben, bei dem die Regierung nicht mitzureden hat.
Zwar wird der öffentliche Druck auf die Staatsanwälte – und bei einer Anklage oder einer Privatklage Erdogans auch auf die Richter – enorm sein. Diesen Druck muss die Justiz aber aushalten.
Anders als die Politik darf sie sich zum Glück weder danach richten, ob Erdogan ihre Entscheidung gut findet, noch danach, ob diese der öffentlichen Meinung in Deutschland entspricht. Die Justiz muss einfach nur die Meinungs- und Kunstfreiheit Jan Böhmermanns mit Erdogans Anspruch auf Ehrschutz abwägen. Das ist in diesem Fall allerdings schwer genug.
Der Autor Tobias Sindram ist Jurist und freier Journalist. Er lebt in Frankfurt.
Tobias Sindram, Der Fall Jan Böhmermann: Ein Plädoyer für weniger Politik und mehr Justiz . In: Legal Tribune Online, 15.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19091/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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