EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern: "Kaum Hilfe für die Snow­dens von morgen"

Gastbeitrag von Wolfgang Kaleck

11.06.2018

Die EU-Direktive zum besseren Schutz von Whistleblowern mag einen Anfang zu einem rationaleren Umgang mit Hinweisgebern bedeuten. Erforderlich ist jedoch ein umfassendes Umdenken von Entscheidungsträgern in allen Bereichen, meint Wolfgang Kaleck.

Fünf Jahre ist es her, dass Edward Snowden uns die Unschuld nahm. Er klärte uns im Juni 2013 über die weitreichende Dimension der Massenüberwachung durch Geheimdienste, aber auch über die Komplizenschaft der großen Datensammelunternehmen, auf. Dafür zahlt er bis heute persönlich einen sehr hohen Preis: Snowden droht nach wie vor eine unverhältnismäßig drastische Strafe in den USA. Nur die Gunst der russischen Regierung bewahrt ihn derzeit davor. Das ist die Lebensrealität des wohl weltweit bekanntesten Whistleblowers.

Seit Snowdens Enthüllungen wird nicht nur über die Einhegung der Geheimdienste mehr oder weniger erfolgreich verhandelt. Auch der Schutz von Whistleblowern wird seitdem ebenfalls weitgehend ergebnislos diskutiert. Dabei stand das Thema in Deutschland wie in der EU bereits vor 2013 auf der Agenda. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilte schon 2008 in dem wegweisenden Fall "Guja vs. Moldawien" den Staat und plädierte für einen besseren Schutz von Whistleblowern.

Nun hat die EU-Kommission am 23. April 2018 einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der einen Weg aus der bisher absolut uneinheitlichen Gesetzeslage innerhalb der EU weisen könnte. Der Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Neuregelung ist allerdings beschränkt. Denn geschützt wird bestenfalls die Meldung von Verstößen gegen Unionsrecht und auch dies nur in bestimmten Bereichen.

Keine klaren Regelungen zum Schutz der Anonymität

Immerhin besteht die Hoffnung, dass die Formulierung von Mindeststandards zum Schutz von Whistleblowern auf europäischer Ebene auch ein Signal für die Nationalstaaten setzt. Interessant scheint vor allem die Regelung, die Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten und einem hohen Jahresumsatz sowie die Landes-, Regionalverwaltungen und Gemeinden verpflichtet, ein internes Verfahren für den Umgang mit Hinweisgebern zu etablieren. Es soll ein dreigliedriges Meldesystem eingeführt werden mit a) internen Meldekanälen, b) Anzeigen an die zuständigen Behörden und c) - wenn das alles nicht funktioniert - Meldung an die Öffentlichkeit bzw. die Medien. Sogar ein gewisser Schutz vor Vergeltungsmaßnahmen und Haftung ist in den Regelungen enthalten. Ebenso soll die Beweislast nicht länger beim Hinweisgeber, sondern künftig bei den Unternehmen und Behörden liegen – ein überfälliger Schritt gerade für Arbeitnehmer.

Das hört sich alles nach einem vernünftigen ersten Entwurf an. Dennoch scheint er nicht ganz realitätsgerecht zu sein: Denn, wie die Piratenpolitikerin MEP Julia Reda zu recht bemängelt, enthält der Gesetzesentwurf keine klaren Regelungen zum Schutz der Anonymität der Hinweisgeber; es muss also für Ausnahmefälle die Möglichkeit, anonymer Hinweise geregelt werden. Außerdem müssen die Staaten verpflichtet werden, anonyme Anzeigen nicht ignorieren zu dürfen, sondern ihnen ernsthaft nachzugehen und ermitteln zu müssen. Es fehlt auch ein Vorschlag, wie damit umzugehen ist, wenn aufgrund konkreter Hinweise davon auszugehen ist, dass das interne Verfahren beispielsweise aufgrund von Korruption nicht nur zum Scheitern verurteilt ist, sondern auch den Hinweisgeber in Gefahr bringen könnte.

Whistleblower werden also auch mit neuen EU-Regeln also nach wie vor ein hohes Risiko eingehen – so oder so: wenn sie in internen Verfahren denen gegenübertreten, deren Fehlverhalten sie anzeigen und dann Sanktionen erleiden oder wenn diejenigen die ex post ihr Verhalten beurteilen, meinen, sie seien mit ihren Informationen zu früh an die Öffentlichkeit gegangen.

Größeres Risiko für Whistleblower in Deutschland

Der entscheidende Schritt nach vorne könnte daher sein, dass die EU-Kommission grundsätzlich anerkennt, dass Enthüllungen wie Dieselgate, LuxLeaks oder die Panama-Papers dem öffentlichen Interesse dienen. Sie wären nicht "ans Licht gekommen", hätten Hinweisgeber "nicht den Mut gehabt, sie zu melden", so immerhin der erste Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans. In der Begründung des Gesetzentwurfes wird Hinweisgebern zugutegehalten, dass sie "zur Vermeidung von Schäden und zur Aufdeckung von Bedrohungen oder Schäden des öffentlichen Interesses bei(tragen), die andernfalls unentdeckt blieben. Ohne wirksamen Schutz sei "die freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit bedroht". Zudem könne dieser Mangel die Durchsetzung des EU-Rechts beeinträchtigen.

Solches Problembewusstsein muss sich durchsetzen, damit öffentliche Verwaltungen, Strafverfolgungsbehörden und Gerichte bei der Beurteilung formaler Rechtsverletzungen durch Hinweisgeber nicht weiter der antiquierten Mentalität von Verrat und Verrätern folgen. Es wäre schön, wenn sich dies auch bis zur Bundesregierung herumsprechen würde. Denn obwohl sich Berlin auf die Fahnen schreibt, in Europa eine federführende Rolle für den Einsatz für Rechtsstaatlichkeit und Transparenz und die Durchsetzung von Bürger- und Menschenrechten weltweit zu spielen, sieht die Realität oft anders aus.

Dies zeigte zuletzt der Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums (BMJV) zur Umsetzung der EU-Richtlinie zu Geschäftsgeheimnissen. Anders als im aktuellen Kommissionsentwurf für Whistleblower spielt für das BMJ die Motivation der Hinweisgeber eine maßgebliche Rolle. Geschützt werden soll nur der, der "in der Absicht handelt, das öffentliche Interesse zu schützen", wohingegen die EU-Kommission auf das objektive Kriterium des öffentlichen Interesses abstellt. Entscheidend soll laut BMJ die Aufdeckung von rechtswidrigen Zuständen sein. Damit wird eine wesentlich höhere Hürde gesetzt und auch insoweit ein größeres Risiko für Whistleblower geschaffen als in der vorgeschlagenen EU-Direktive, die bereits regelwidriges Verhalten genügen lässt.

Da bleibt nur zu hoffen, dass sich in Europa eine Dynamik entwickelt, die den Deutschen ihre Ignoranz für transparentes Regierungs- und Verwaltungshandelns endlich austreibt. Den Snowdens von morgen wäre jedoch auch nach dem aktuellen Vorschlag wenig geholfen. Denn das Feld, das Innenpolitiker, Geheimdienstler und Polizisten gemeinhin als "nationale Sicherheit" bezeichnen und das oft ein Synonym für rechtsfreie Räume ist, bleibt auch in allen neuen Regelungen zum Schutz für Whistleblowern ausgenommen.

Der Autor Wolfgang Kaleck ist Fachanwalt für Strafrecht und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin. Anwaltlich vertritt er in Europa den Whistleblower Edward Snowden.

Zitiervorschlag

Wolfgang Kaleck, EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern: "Kaum Hilfe für die Snowdens von morgen" . In: Legal Tribune Online, 11.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29059/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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