Druckversion
Sonntag, 28.05.2023, 19:20 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/elektronische-beweismittel-e-evidence-verordnung-eu-bmjv-datenschutz-grundrechte/
Fenster schließen
Artikel drucken
32575

E-evidence-VO: Deut­sch­land wird EU-Pläne ablehnen

von Hasso Suliak

06.12.2018

Eine Mehrheit von EU-Staaten möchte Ermittler künftig schneller auf E-Mails, Whatsapp-Nachrichten oder Cloud-Daten zugreifen lassen können. Datenschützer sind besorgt, Deutschland wird in Brüssel gegen das Vorhaben stimmen.

Anzeige

Bundesjustizministerin Barley wird beim Treffen des EU-Justizministerrates am Freitag in Brüssel gegen den Vorschlag einer Mehrheit von EU-Staaten stimmen, Strafverfolgungsbehörden künftig einen erleichterten, grenzüberschreitenden Zugriff auf elektronische Beweismittel ("E-evidence") zu ermöglichen. Das bestätigte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums (BMJV) gegenüber LTO.

Die Bundesregierung hofft nun, dass sich im anstehenden Trilog mit dem EU-Parlament Nachbesserungen erzielen lassen, "sodass wir dann die endgültige Fassung des neuen Rechtsinstruments mittragen können", hieß es weiter. Die Bundesbeauftragte für Datenschutz, Andrea Voßhoff, die das EU-Vorhaben wie sämtliche ihrer Länder-Kollegen ebenfalls massiv kritisiert, begrüßte gegenüber LTO das angekündigte Abstimmungsverhalten Barleys in Brüssel.

Grund für die deutsche Ablehnung ist, dass nach den aktuellen EU-Plänen eine Reihe von grundrechtlichen Standards, wie sie in Deutschland gelten, unterschritten würden. Bereits seit April sind Datenschützer, Bürgerrechtler und auch Anwaltsverbände deshalb bei dem Thema in heller Aufregung.

Verpflichtender Ansprechpartner für die E-evidence

Am 17.April präsentierte die EU-Kommission unter dem Titel "E-evidence" eine Verordnung (VO), mit der die grenzüberschreitende Sicherung und Erhebung elektronischer Beweismittel in Strafverfahren erleichtert werden soll.

Um den Zugriff auch auf Daten erstrecken zu können, über die nicht in der EU ansässige Diensteanbieter verfügen, sieht ein zeitgleich vorgelegter Richtlinienvorschlag eine Verpflichtung derjenigen Provider vor, die ihre Dienste innerhalb der Union anbieten, einen Vertreter in der EU zu benennen, an den Herausgabe- und Sicherungsanordnungen der Strafverfolgungsbehörden zugestellt werden können.

Ziel des Vorhabens ist eine deutliche Verkürzung und Straffung des gesamten Verfahrens der grenzüberschreitenden Beweisgewinnung - vor allem durch die Vorgabe sehr kurzer Reaktionsfristen für die zuständigen Behörden und die adressierten Provider, die nach dem aktuellen Entwurf in Notfällen sogar sechs Stunden betragen soll*. Eine Zielsetzung, die auch die deutsche Bundesregierung im Grundsatz teilt.

Rechtmäßigkeitsprüfung wird Providern überlassen

Strafverfolgungsbehörden sollen künftig grenzüberschreitend und unmittelbar bei Service-Providern anderer Mitgliedsstaaten die Herausgabe digitaler Daten als mögliche Beweismittel für ein Strafverfahren erzwingen dürfen. Kommen Anbieter der Anordnung nicht nach, droht ihnen eine Strafzahlung bis zu zwei Prozent ihres weltweiten Jahresumsatzes. Insbesondere für kleinere Unternehmen könnte dies zum Problem werden.

Das BMJV bestätigte gegenüber LTO, dass Deutschland beim Thema Sanktionen auf einen ausdrücklichen Prüfungsvorbehalt bestehe. Allerdings verweist das Ministerium auf einen Erwägungsgrund in der aktuellen Ausgestaltung der Regelung, nach dem immerhin vorgesehen sei, "dass auf Sanktionen verzichtet werden kann, wenn betroffene Kleinstunternehmen – vor allem außerhalb gewöhnlicher Geschäftszeiten – nicht in der Lage waren, die erbetenen Daten fristgerecht zur Verfügung zu stellen."

Was Datenschützer und auch die deutsche Justizministerin noch mehr ärgert, ist ein unzureichendes Prüf- und Beschwerdeverfahren, wenn ein Netzbetreiber und Anbieter wie etwa Facebook zur Herausgabe von Verbindungsdaten oder sogar Inhalten von privaten Nachrichten (z.B über Whatsapp) verpflichtet wird.

Weder der Staat des Providers (Vollstreckungsstaat) noch der Bürger, um dessen Daten es geht, soll nach den EU-Plänen ein Recht zum Widerspruch haben oder gar prüfen dürfen, ob die Anordnung zur Herausgabe von Daten rechtmäßig ist. Allein der Provider selbst soll innerhalb kürzester Zeit entscheiden, ob er die Daten herausgeben oder rechtlich gegen die Anordnung vorgehen will. Nach welchen Kriterien er das tun soll, gibt ihm die Verordnung nicht in die Hand.

Unter anderem der Deutsche Richterbund kritisierte deswegen, dass damit die Verantwortung zum Schutz von Grundrechten von Staaten auf private Firmen übertragen werde. Außerdem wird befürchtet, dass damit ein Abkehr vom bewährten Prinzip europäischer Zusammenarbeit in justiziellen Fragen einhergehe: So prüfen zum Beispiel bei Europäischen Haftbefehlen immer noch Gerichte, ob ein Auslieferungsverlangen rechtmäßig ist.

"Ob die Rechtmäßigkeit eines Ersuchens überprüft wird, hängt im vorgeschlagenen Verfahren ausschließlich vom Verhalten der Provider ab. Aus Sicht des Datenschützers sind die vorgeschlagenen Regelungen gerade auch mit Blick auf ihre Vorbildwirkung für künftige Regelungen in Drittstaaten kritisch zu sehen," beklagt die Bundesdatenschutzbeauftragte.

BMJV für verbindliches Beschwerdeverfahren

Unterdessen hat sich die Bundesregierung bisher vergeblich auf EU-Ministerebene darum bemüht, bestimmte rechtstaatliche Standards, wie sie in Deutschland üblich sind, zu gewährleisten. Unter anderem wollte das BMJV, dass der betroffene Mitgliedstaat, in dem vollstreckt wird, zumindest so viel Zeit bekommen soll wie der Provider, um zu prüfen, ob rechtliche Gründe entgegenstehen. Der Vollstreckungsstaat dürfe - wie es jetzt vorgesehen wird- nicht nur informiert werden, sondern müsse einen Verstoß gegen die europäischen Grundrechte auch tatsächlich rügen können, etwa einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Diese Rüge müsse dann auch vom Anordnungsstaat verpflichtend berücksichtigt werden, so ein BMJV-Sprecher.

Außerdem dürften nach dem Wunsch der Bundesregierung die Rechtsschutzmöglichkeiten nicht nur auf europäische Herausgabeanordnungen beschränkt sein, sondern müssten auch Sicherungsanordnungen umfassen. Denn bereits die Sicherung der Daten stelle einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis bzw. das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar, erklärte das BMJV auf Anfrage.

Weiter stört die Bundesregierung, dass der Schutz der europäischen Grundrechte im VO-Entwurf lediglich in einer "Standardklausel" abstrakt Erwähnung findet. Im deutschen Recht genieße dagegen der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung absoluten Schutz. Was im VO-Entwurf fehle, sei eine Möglichkeit zur allgemeinen grundrechtsbezogenen Einwendung auch des Vollstreckungsstaates, wenn seine Prüfung ergibt, dass die Vollstreckung der Herausgabeanordnung in einem besonderen Einzelfall gegen die (europäischen) Grundrechte verstoßen würde.

Abkehr vom Prinzip doppelter Strafbarkeit

Datenschützer kritisieren zudem eine geplante Abkehr vom Prinzip der doppelten Strafbarkeit. Denn die angeordnete Herausgabe soll nicht davon abhängig sein, ob die verfolgte Tat dort, wo die Daten ersucht werden, überhaupt strafbar ist. Der Vorschlag erlaubt den Zugriff für alle Straftatbestände, solange sie eine Freiheitsstrafe von drei Jahren vorsehen. In Deutschland fällt darunter bereits eine Vorschrift wie der einfache Diebstahl nach § 242 Strafgesetzbuch, in Polen aber auch beispielsweise die Abtreibung.

Im EU-Ministerrat wird die deutsche Position allerdings nicht mehrheitsfähig sein. Die Justizminister dürften also am Freitag das umstrittene Vorhaben durchwinken. Die Hoffnungen ruhen daher nun auf dem EU-Parlament, in dem die Pläne weiter verhandelt werden.

Dort steht man dem Vorhaben noch ablehnender gegenüber als die Bunderegierung. Die für das Thema zuständige Parlamentsberichterstatterin, die SPD-Politikerin Birgit Sippel, äußerte "grundlegende Zweifel an der Notwendigkeit des neuen Instruments, insbesondere mit Blick auf die direkte Kooperation von Justizbehörden mit Internet-Service-Providern." Die Kommission hätte Sippels Ansicht nach besser daran getan, zunächst eine umfassende Bewertung der erst im vergangenen Jahr in Kraft getretenen Europäischen Ermittlungsanordnung abzuwarten, bevor sie einen Vorschlag für ein neues Instrument vorlegt. Die für Freitag erwartete Verabschiedung nannte die Abgeordnete "besorgniserregend".

Sippel plädierte dafür, sich "auf einen abschließenden Straftatkatalog" zu verständigen. Die SPD-Politikerin kritisierte ebenfalls, dass Im Kommissionsentwurf das "bis heute essentielle Prinzip der 'beidseitigen Strafbarkeit' komplett ausgehebelt" werde. Das sei schon allein mit Blick auf rechtsstaatliche Entwicklungen in Polen und Ungarn höchst fragwürdig – "aber auch hinsichtlich der Tatsache, dass so vielfach auch Bagatelldelikte unter den Anwendungsbereich fallen".
Auch die Hoffnungen des Deutschen Anwaltvereins (DAV) ruhen auf den Verhandlungen im EU-Parlament. "Allein, dass private Unternehmen künftig über die Rechtmäßigkeit staatlicher Anordnungen entscheiden sollen, ist nicht nur ein völliger Systemwechsel, sondern schlichtweg ein Unding", kritisierte der DAV gegenüber LTO.

*Anm. d. Redaktion: Dienstanbieter müssen künftig innerhalb von zehn Tagen auf entsprechende Anträge antworten. In Notfällen beträgt die Frist sechs Stunden. (geändert am 7.12.18, 9.55 Uhr)

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

E-evidence-VO: Deutschland wird EU-Pläne ablehnen . In: Legal Tribune Online, 06.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32575/ (abgerufen am: 28.05.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Datenschutz
    • Beweise
    • Datenschutz
    • elektronischer Rechtsverkehr
    • Grundrechte
24.05.2023
elektronischer Rechtsverkehr

Ausfälle im elektronischen Rechtsverkehr:

DAV for­dert Stör­ungs­his­torie für Jus­tiz­post­fächer

Störungen der elektronischen Postfächer bei Gerichten und Verwaltung kommen nicht selten vor. Damit solche Ausfälle nachvollziehbar bleiben, fordert der DAV nun eine Störungshistorie, schließlich gebe es für das Anwaltspostfach auch eine.

Artikel lesen
23.05.2023
Recht auf Vergessenwerden

BGH zur Auslistung von Google-Suchergebnis:

Wer ver­gessen werden will, muss Fehler nach­weisen

Das Netz vergisst gemeinhin nichts. Für Betroffene kann das mitunter unangenehm werden. Doch sie haben die Möglichkeit, gegen unliebsame Veröffentlichungen vorzugehen. Wie das geht, hat nun der BGH entschieden.

Artikel lesen
28.05.2023
Referendariat

Gestrichene Prüfungsorte in Bayern:

Laptop und Land­straße

Bayern streicht Prüfungsstandorte, um das E-Examen einzuführen. Das schafft Ungleichheit und macht nicht nur die Juristenausbildung unattraktiver, sondern wird auch zum übergeordneten Glaubwürdigkeitsproblem für die Politik, meint Holm Putzke.

Artikel lesen
27.05.2023
BVerfG

Abschied von Baer und Britz am BVerfG:

"Diver­sität ist berei­chernd"

In einer bewegenden Abschiedsrede reflektierte Susanne Baer ihre Rolle als erste offen lesbische Verfassungsrichterin. Sie und Gabriele Britz warnten vor populistischen Angriffen auf das BVerfG. Christian Rath hat zugehört.

Artikel lesen
26.05.2023
Richter

Bund Deutscher Verwaltungsrichter kritisiert Politik:

Deut­sch­land soll seine Richter end­lich besser bezahlen

Mit einer Besoldung, die sich nur an den verfassungsrechtlichen Minimalanforderungen orientiert, wird die Justiz nicht zukunftsfähig sein, bemängelt der BDVR und fordert deshalb schnelle Maßnahmen des Gesetzgebers.

Artikel lesen
26.05.2023
Anwaltsberuf

BGH zur Anwaltszulassung von Geflüchteten:

Keine RAK-Mit­g­lied­schaft ohne Papiere

In der Türkei zugelassene Rechtsanwälte, die nach dem Putschversuch 2016 nach Deutschland geflüchtet sind, haben ohne Nachweise laut BGH keinen Anspruch auf Aufnahme in eine deutsche RAK. Martin W. Huff sieht den Gesetzgeber in der Pflicht.

Artikel lesen
TopJOBS
Voll­ju­ris­ten / Wirt­schafts­ju­ris­ten (w/m/d) Di­gi­tal Bu­si­ness

reuschlaw , Saar­brü­cken

Rechts­re­fe­ren­dar (m/w/d)

OBI Group Holding SE & Co. KGaA , Wer­mels­kir­chen

Wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter (m/w/d)

OBI Group Holding SE & Co. KGaA , Wer­mels­kir­chen

Rechts­an­walt (w/m/d) IT-Recht und Da­ten­schutz­recht

Taylor Wessing , Ham­burg

Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter (m/w/x)

Freshfields Bruckhaus Deringer , Mün­chen

As­so­cia­tes (m/w/x) für den Be­reich Geis­ti­ges Ei­gen­tum und...

Freshfields Bruckhaus Deringer , Frank­furt am Main

Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter (m/w/x)

Freshfields Bruckhaus Deringer , Ham­burg

Voll­ju­rist*in (m/w/d) vor­ran­gig für das Re­fe­rat 112 „In­fra­struk­tu­rat­las –...

Bundesnetzagentur , Bonn

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Workshop-Reihe "Experience the Deal – 2023 Edition! Teil 1: Winning & Structuring the Deal"

17.06.2023, Frankfurt am Main

Fortbildung Medizinrecht im Selbststudium/online

05.06.2023

Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung

05.06.2023

Wertermittlung durch Schiedsgutachten – Wirksames Mittel zur Streitvermeidung und -beilegung oder wi

06.06.2023

Behördlicher Datenschutzverstoß - die heimliche Nebenstrafe nach Einstellung und Freispruch

06.06.2023, Köln

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH