Mainz 05 trennt sich von El Ghazi: Frist­lose Kün­di­gung recht­lich ein "abso­luter Grenz­fall"

von Dr. Max Kolter und Louis Strelow

02.11.2023

Alles schien geklärt, dann überrumpelte Anwar El Ghazi seinen Verein mit einem weiteren pro-palästinensischen Tweet. Einer zu viel – Mainz 05 beendete den Vertrag nun mit sofortiger Wirkung. Rechtfertigen die Posts eine fristlose Kündigung?   

Beim 1. FSV Mainz 05 läuft es nicht: siegloser Tabellenletzter in der Bundesliga, aus dem DFB-Pokal ausgeschieden, dann der Rücktritt des Trainers kurz vorm nächsten Bundesligaspiel. Als wäre das nicht genug, eskalierte unter der Woche auch noch der Streit mit Anwar El Ghazi um dessen Social Media Posts zum Hamas-Angriff und Gaza-Krieg. Der Verein zog nun die Reißleine und beendete das Vertragsverhältnis mit dem 28-jährigen Angreifer mit sofortiger Wirkung. Das teilte Mainz 05 am Freitagabend mit.

Zu den Gründen gab der Verein nur bekannt, er "reagiert mit dieser Maßnahme auf die Äußerungen und Posts des Spielers in den sozialen Medien". El Ghazi hatte seinen Verein am Mittwoch mit einem Post auf Twitter/X und Instagram überrumpelt. In diesem stellte der Niederländer mit marokkanischen Eltern klar, sich nicht von seinen nach dem Hamas-Angriff auf Israel getätigten Posts zu distanzieren – also auch nicht von dem am 15. Oktober auf Instagram geposteten Spruch "From the river to the sea, Palestine will be free". 

Die Parole wird regelmäßig auf Demonstrationen und in sozialen Netzwerken verwendet. Gemeint ist damit, dass Palästina auf dem Gebiet vom Jordan bis zum Mittelmeer "frei" sein, der Staat Israel in seiner derzeitigen Form und Verfassung also nicht mehr existieren soll. Ob und in welchem Kontext diese Äußerung strafbar ist, ist umstritten. Obwohl El Ghazi den Post vom 15. Oktober nach wenigen Minuten wieder gelöscht hatte, reagierte der Verein prompt, mahnte ihn ab und stellte ihn vom Trainings- und Spielbetrieb frei.

"Ich distanziere mich nicht von dem, was ich gesagt habe"

Es folgten vermeintlich klärende Gespräche zwischen Spieler und Verein, El Ghazi stellte in einem Tweet klar, "die Tötung sämtlicher unschuldiger Zivilisten in Palästina und Israel zu verurteilen"; er bekundete seine "Sympathien mit unschuldigen Opfern des Konflikts, unabhängig von ihrer Nationalität"; und er sprach sich "für Frieden und Humanität für alle" aus. Kurz darauf ließ der FSV Mainz verlauten, El Ghazi eine zweite Chance einzuräumen und ihn ins Training zurückkehren zu lassen. Das Problem schien gelöst, das Missverständnis – wie es der Spieler auf X bezeichnete – ausgeräumt.

Doch nun stellt sich alles anders dar: El Ghazi postete am Tag des DFB-Pokalspiels gegen Hertha BSC auf Twitter und Instagram ein langes Statement. Er bereue seine ursprünglich geäußerte Position nicht und distanziere sich auch nicht von ihr ("I do not regret or have any remorse from my position. I do not distance myself from what I said and I stand, today and always until my last breath, for humanity and the oppressed").

Auf das neuerliche Statement reagierte Mainz 05 am Mittwoch zunächst mit "Überraschung und Unverständnis", man kündigte an, "den Sachverhalt juristisch zu prüfen". Diese Prüfung endete für den Niederländer nun mit dem sofortigen Rausschmiss. War dieser rechtmäßig? Hätte er vor Gericht Bestand?

Das hängt gemäß § 626 Abs. 1 BGB davon ab, ob ein "wichtiger Grund" vorliegt. Da Mainz mit der Kündigung nach eigener Aussage auf El Ghazis Äußerungen in den Sozialen Medien reagierte, kommen mehrere Anknüpfungspunkte für einen Kündigungsgrund in Betracht. Erstens: seine ursprünglichen Posts nach dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel. Zweitens: die in dem Post vom Mittwoch enthaltene Aussage, sich davon nicht zu distanzieren, was als Wiederholung des damals Gesagten verstanden werden könnte. Drittens: dass er öffentlich der Darstellung seines Arbeitsgebers widersprochen hat.

Meinungsfreiheit vs. Werte des Vereins, Image und Betriebsklima

Doch diese Verhaltensweisen sind nicht isoliert zu betrachten. Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung liegt vor, wenn es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, das Ende der Vertragslaufzeit abzuwarten. "Es geht darum zu prüfen, wie lange es noch zumutbar ist, weiter zusammenzuarbeiten. Die Kündigung ist keine Sanktion für die Vergangenheit", sagt Matthias Jacobs, Professor für Zivil- und Arbeitsrecht an der Bucerius Law School in Hamburg. Die Verantwortlichen des FSV Mainz mussten also Ende der Woche den Blick in die Zukunft richten und entscheiden, ob sie El Ghazi weiter im Team lassen können.

Die gleiche Entscheidung hatten sie bereits nach El Ghazis Instagram-Post vom 15. Oktober zu treffen. Das Ergebnis: Abmahnung statt Kündigung. "Mainz 05 hätte überlegen können, dem Spieler schon deshalb fristlos zu kündigen. Aber dadurch, dass der FSV sich nach seinem ersten Post für die Abmahnung als milderes Mittel entschieden hat, ist eine Kündigung allein wegen dieses Posts nicht mehr möglich", so Jacobs. Aber: "Seine neuen Äußerungen, in denen er sich in ähnlicher Weise zum Nahost-Konflikt äußert, können das Fass zum Überlaufen gebracht haben", so Lisa Gerlach, die an Jacobs' Lehrstuhl zum Sportarbeitsrecht forscht. Schließlich zeigten seine Posts, dass er sich auch in Zukunft weiter in diese Richtung äußern würde.

Laut § 626 Abs. 1 BGB sind bei der Kündigung aus wichtigem Grund "alle Umstände des Einzelfalles" zu "berücksichtigen" und die "Interessen beider Vertragsteile abzuwägen". Alle Umstände – das heißt im Mainzer Fall: alle Posts von El Ghazi zum Thema – sind gemeinsam zu betrachten. "Allgemein streiten hier die Meinungsfreiheit des Spielers gegen die vielfältigen Vereinsinteressen", sagt Jacobs. "Ein Sportverein hat Werte, ein Image und muss darauf achten, dass die Stimmung intern nicht kippt."

Dabei sei auch die Reichweite zu berücksichtigen, über die Mainz als Bundesligist verfügt. Eine Assoziation mit Antisemitismus könne einen Imageschaden bedeuten, den der Verein nicht hinnehmen müsse, so Jacobs. Zum Betriebsklima weist er darauf hin, dass beim FSV Spieler verschiedenster Nationalitäten unter Vertrag stehen, was auch Club-intern zu Problemen führen könnte.

Hat sich El Ghazi sogar strafbar gemacht?

Doch darf auch El Ghazis Meinungsfreiheit nicht unbeachtet bleiben. Dabei müssten die Arbeitsgerichte – sollte der Fall dort landen – die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit berücksichtigen. Sie müssen den Sinn einer Aussage kontextbezogen und sorgfältig ermitteln. Bei sprachlich mehrdeutigen Aussagen dürfen Gerichte eine Sanktionsnorm nur anwenden, wenn sie zuvor solche Deutungsvarianten ausgeschlossen haben, die die Sanktion nicht rechtfertigen.

Das Hauptaugenmerk bei El Ghazi liegt auf der Parole "From the river to the sea". Viele halten diese für eindeutig antisemitisch. Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) will sogar das Strafgesetzbuch ändern, damit diese und ähnliche Parolen, die "das Existenzrecht Israels leugnen", unter Strafe gestellt werden. Eben weil der Satz nicht eindeutig strafbar ist. Wie der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer auf LTO analysiert, erfüllt die Parole nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 StGB: Die Äußerung richtet sich nicht eindeutig gegen Juden oder Israelis in Deutschland. Der Tatbestand erfordert aber einen solchen Inlandsbezug. Auch hierzu gibt es rechtspolitische Überlegungen, dies zu ändern. 

Laut Fischer liegt eine Strafbarkeit wegen Billigung von Straftaten gemäß § 140 StGB nahe, wenn die Äußerung in unmittelbarer zeitlicher Nähe und unter Jubel auf einer Demonstration fällt. In Betracht kommt zudem eine Volksverhetzung in der Variante des Verbreitens verhetzender Inhalte gemäß § 130 Abs. 2 StGB, der nach überwiegender Ansicht keinen Inlandsbezug erfordert. Wegen genau dieser Delikte ermittelt nun auch die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen El Ghazi, wie die FAZ unter Berufung auf die Koblenzer Generalstaatsanwaltschaft berichtet. Allerdings scheitert eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung laut Fischer generell schon daran, dass die Parole sich nicht gegen konkrete Personen richtet, sondern nur gegen den Staat Israel. Und hinsichtlich § 140 StGB ist immerhin fraglich, ob El Ghazis Post am 15. Oktober eindeutig als Billigung des Hamas-Terrors interpretiert werden kann. Acht Tage nach der Hamas-Terrorattacke, als aus dem brutalen Überraschungsangriff längst ein Krieg geworden war, ist das womöglich nicht mehr die einzige Deutungsmöglichkeit.

Es kommt nicht nur auf die Strafbarkeit an

"Wenn es eindeutig strafbar wäre, wäre der Fall einfacher zu beurteilen. Dann geht die Abwägung eher zulasten des Äußernden aus", sagt Jacobs. Doch auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle könne es eine Kündigung rechtfertigen, sich kurz nach dem Angriff der Hamas klar auf die Seite der Palästinenser zu stellen, ohne den Hamas-Angriff zu verurteilen, wie El Ghazi es in anderen Posts in den Tagen unmittelbar nach dem 7. Oktober getan hatte. "Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass El Ghazi zunächst nur den Tod von Menschen in Gaza bedauert hat, nicht aber den Tod der durch die Hamas getöteten Israelis und Juden. Zu seinen Gunsten fällt allerdings ins Gewicht, dass er den Post mit der Parole schon nach wenigen Minuten gelöscht und in seinem neuen Statement vom Freitag auch den Tod von Zivilisten in Israel verurteilt hat", sagt Gerlach.

Ein Fehlverhalten des Spielers könnte man auch darin sehen, dass er seinem Arbeitgeber öffentlich widersprochen hat. Schließlich teilte der Verein am Montag mit: "El Ghazi hat sich seitdem in mehreren Gesprächen mit dem Vereinsvorstand von seinem Post auf seinem Instagram-Kanal distanziert, den er selbst bereits nach wenigen Minuten wieder gelöscht hatte. Er bedauerte die Veröffentlichung des Beitrages und auch dessen negative Wirkung, gerade auch für den gesamten Verein."

El Ghazis Post vom Mittwoch liest sich anders: Er distanziert sich ausdrücklich nicht von seinen bisherigen Posts und entschuldigt sich ausdrücklich nicht für seine Position. Auch schreibt der Niederländer, dass er sich außer in seinem X-Post nicht zu seinem ersten Instagram-Post geäußert habe, weder gegenüber dem FSV Mainz 05 noch gegenüber der Öffentlichkeit. "Any other statements, comments or apologies to the contrary attributed to me are not factually correct and have not been made or authorised by me."

Durchaus ein Widerspruch gegenüber der Darstellung seines Arbeitgebers. Doch ist damit nicht zwingend gemeint, dass er andere Tatsachen behauptet als der Verein. Es könnte auch sein, dass es interne Gespräche gab, in denen El Ghazi aber keine von seinem Statement vom Freitag abweichende Position geäußert hat. Was der Verein in seiner Mitteilung als Distanzierung wertete, war von El Ghazi womöglich nur als Erklärung gemeint.

"Absoluter Grenzfall" bald vor dem Arbeitsgericht?

In jedem Fall wirft der öffentliche Widerspruch gegen die Aussagen seines Clubs kein gutes Licht auf den FSV. Das allein rechtfertigt keine Kündigung, kann aber in die Gesamtabwägung einfließen. "Das Verhalten des Spielers insgesamt lässt schon die Prognose zu, dass er sich auch in Zukunft mittelbar zulasten des Clubs äußern wird. Das kann man in der Abwägung gegen ihn berücksichtigen", so Jacobs.

Am Ende sind sich Jacobs und seine Doktorandin einig: "Es handelt sich um einen absoluten Grenzfall. Eine sichere Prognose, wie ein Gericht über den Fall entscheiden würde, ist unmöglich".

Nachdem der FSV seinem Spieler nun fristlos gekündigt hat, könnte der Fall vor dem Arbeitsgericht landen. Anwar El Ghazi wird anwaltlich vertreten, wie die betreffende Kanzlei am Mittwochabend gegenüber LTO bestätigte. Weitere Informationen zu dem Fall könne man aber nicht geben.

Dieser Artikel wurde nachträglich aktualisiert, nachdem der Verein die fristlose Kündigung bekanntgegeben hatte. Update am 4.11.2023, 4:25 Uhr (Red.).

Zunächst stand im Teaser, El Ghazi habe die Parole "From the river to the sea" bereits Stunden nach dem Hamas-Angriff gepostet. Das stimmt nicht: Der Post stammt vom 15. Oktober. Korrigiert am 2.11.2023, 19:11 Uhr (Red.).

Zitiervorschlag

Mainz 05 trennt sich von El Ghazi: Fristlose Kündigung rechtlich ein "absoluter Grenzfall" . In: Legal Tribune Online, 02.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53064/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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