Der Fall "Drachenlord": Hat der Rechts­staat ver­sagt?

Gastbeitrag von Lena Leffer und Stefan Hessel

03.04.2022

Die Staatsanwaltschaft hat im Fall “Drachenlord” Revision eingelegt. Abseits der gerichtlichen Aufarbeitung beschäftigen sich Lena Leffer und Stefan Hessel mit der Frage, ob der Staat es überhaupt so weit hätte kommen lassen dürfen.

Das Schicksal von Rainer Winkler – nach zahlreichen Medienberichten besser bekannt als "Drachenlord" – beschäftigt seit Jahren auch die Gerichte. Vergangene Woche fällte das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth in zweiter Instanz sein Urteil. Die Erstinstanz hatte den Youtuber noch zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Stattdessen wurde der "Drachenlord" nun unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Hintergrund des milderen Urteils ist eine vom LG angenommene verminderte Schuldfähigkeit Winklers und die Tatsache, dass seine sogenannten Hater den Youtuber bewusst provozierten, um ihn aufgrund einer bereits bestehenden Bewährungsstrafe "ins Gefängnis zu bringen." Dies geht aus diversen Videos hervor, die während der Verhandlung angesehen wurden. Die Staatsanwaltschaft hat im Anschluss an das Urteil bereits Revision eingelegt.

Der wohl größte Cybermobbing-Fall Deutschlands

Winkler ist zum Hauptprotagonisten in dem wohl größten Cybermobbing-Fall Deutschlands geworden. Den bisher letzten Tiefpunkt dieser Kaskade des Hasses markieren Falschmeldungen, die Hater verbreiteten und die einen "Rainer Winklarson" als Täter eines Attentats im norwegischen Kongsberg identifizierten und sogar von internationalen Medien aufgegriffen worden waren. Winkler stammt aus dem mittelfränkischen Dorf Altschauerberg mit 40 Einwohnern, welches nach Bekanntwerden der Wohnadresse des "Drachenlords" zu einer regelrechten Pilgerstätte mutierte und täglich von Youtube-Touristen aus ganz Deutschland aufgesucht wurde.

Winklers ganzes Dorf wurde jahrelang regelrecht terrorisiert. Für einige Dorfbewohner scheint der Youtuber selbst schuld an seiner Misere – getreu dem Motto "die Geister, die ich rief." Denn der "Drachenlord" verdient auch sein Geld mit seinen teils fragwürdigen und provokanten Auftritten auf der Video-Plattform.  Angesichts der Dynamiken und Ausmaße des Falls ist eine klare Aussage zur Verantwortung von Winkler jedoch schwierig.

Der Straftatbestand des Cybermobbings

Sah sich der "Drachenlord" zunächst eher virtuellen Angriffen ausgesetzt, wurde sein Grundstück im Dorf Altschauerberg schnell Pilgerstätte täglicher Besucher, durch die er sich Beleidigungen, Sachbeschädigungen und sogar körperlichen Angriffen ausgesetzt sah. Auch wurde Winkler das erste Opfer eines sog. Swatting-Vorfalles in Deutschland. Bei dieser Form des Cybermobbing versuchen die Täter, durch einen falschen Notruf einen Polizei- oder Rettungskräfteeinsatz bei ihrem Opfer auszulösen. Besonders reizvoll für die Täter sind dabei Streamer oder Youtuber, die von den jeweiligen Einsatzkräften live überrascht werden. So können die Täter die Folgen ihrer Tat zeitgleich beobachten.

Nachdem es jahrelang nicht gelang, die Vorgänge in Altschauerberg zu unterbinden und den Mobbern Einhalt zu gebieten, wehrte sich Winkler schließlich verbal und immer wieder auch körperlich gegen seine Peiniger. Diese Vorfälle beschäftigen nun die Strafgerichte.

Es ist keine Neuigkeit, dass digitale Massenphänomene Polizei und Justiz vor enorme Herausforderungen stellen. Beispiele hierfür sind die öffentlichen Aufrufe zu sog. Facebook-Partys, die zu unangemeldeten Zusammenkünften mit mehreren Hundert – häufig unfriedlichen – Teilnehmenden führten. Angesichts permanenten Terrors gegenüber dem "Drachenlord" – von den Tätern verharmlosend als "Drachengame" bezeichnet – stellt sich jedoch die rechtspolitische Frage, ob Winkler hier nicht mehr Opfer als Täter ist.

Der Trend der strafrechtlichen Reformen der vergangenen Jahre geht klar zur Kriminalisierung von Cybermobbing. Mittlerweile ist etwa auch das Cyberstalking nach § 238 StGB strafbar. Beim Stalking bzw. Cyberstalking dringt jedoch eine einzelne Person immer wieder in die höchstpersönliche Privatsphäre des Opfers ein – während im Fall des "Drachenlords" eine unbenannte Vielzahl von einzelnen Tätern immer wieder aufs Neue das Opfer peinigt. Ein Straftatbestand wie „globale Nachstellung“ existiert allerdings nicht. Zudem lässt sich in der Regel vor allem im digitalen Raum nur schwer beweisen, wer für die zahllosen anonymen Beleidigungen verantwortlich ist.

Um diesem Umstand und den schwer zu kontrollierenden Dynamiken beim Cybermobbing Rechnung zu tragen, wurde in der Vergangenheit bereits darüber diskutiert, die Teilnahme am Cybermobbing ähnlich wie die Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB) unter Strafe zu stellen. Dies wäre immerhin ein erster Ansatz, das Phänomen strafrechtlich besser zu fassen.

Gefahrenabwehrrecht im digitalen Raum als Lösung?

Darüber hinaus drängt sich die Frage nach der Notwendigkeit eines Gefahrenabwehrrechtes bzw. einer polizeilichen Ermächtigungsgrundlage für den digitalen Raum auf. Denn dort entstehen häufig Gefahren, die sich dann in der analogen Welt – wie im Falle des "Drachenlords" – Bahn brechen.

Die Dynamik des virtuellen Geschehens erfordert ein effektives und frühzeitiges Eingreifen zur Gefahrenabwehr. Im Fall Winkler hätte durch präventive polizeiliche Maßnahmen im digitalen Raum beispielsweise verhindert werden können, dass dieser erst in den sozialen Netzwerken und dann offline zur Zielscheibe wurde. Denkbar wären hier neben der frühzeitigen Identifizierung von Störern und damit verbundenen – gegebenenfalls digitalen – Gefährderansprachen insbesondere die Löschung von Aufrufen zu Hass und Gewalt im Netz im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr.

Für ein rechtssicheres Vorgehen wäre hier allerdings die Schaffung neuer Ermächtigungsgrundlagen erforderlich. Doch auch ohne Rechtsänderung ließe sich durch eine entsprechende Schulung der Einsatzkräfte etwa das Risiko von Swatting erheblich reduzieren.

Der Staat sollte es nicht so weit kommen lassen

Besondere Herausforderungen für ein präventives Eingreifen ergeben sich freilich, wenn sich das Opfer wie im Fall "Drachenlord" selbst derart exponiert, dass die Lage sogar für öffentliche Stellen nur schwer kontrollierbar ist. Denn seine Adresse hatte Winkler in einem Video seinen Hatern selbst mitgeteilt, nachdem seine Schwester anonyme Drohanrufe erhalten hatte.

Trotzdem ist der Ansatz, Gefahren aus dem virtuellen Raum präventiv anzugehen, lohnenswert.  Denn das könnte später die notwendige strafrechtlichen Ahndung eindämmen. Oft sind sich die Täter nämlich auch heute leider noch nicht bewusst, welchen Schaden sie mit ihren Hasstiraden im Netz hervorrufen können. Dann die gesamte strafrechtliche Aufarbeitung des Geschehens in den digitalen Raum zurückzuverfolgen, ist meist unmöglich.

Eine solche Gefahrenabwehr würde es jedenfalls ermöglichen, Gefahren aus dem digitalen Raum von vorneherein aufzuhalten. Denn der Staat sollte es nicht so weit kommen lassen wie im Fall Winkler geschehen.

Dieser hat seinen Wohnort in Altschauerberg übrigens mittlerweile aufgegeben und lebt derzeit in einem Pick-up – nach der Gerichtsverhandlung nahmen seine Hater bereits die Verfolgung auf.

Die Autorin Ass. iur. Lena Leffer ist Geschäftsführerin des Deutschen EDV-Gerichtstages e.V.

Der Autor und Rechtsanwalt Stefan Hessel, LL.M. ist Senior Associate und Co-Head der Digital Business Unit bei reuschlaw Legal Consultants in Saarbrücken. 

Zitiervorschlag

Der Fall "Drachenlord": Hat der Rechtsstaat versagt? . In: Legal Tribune Online, 03.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48021/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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