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Cannabis-Freigabe und internationales Recht: Ist die Lega­li­sie­rung ein Gebot der Men­schen­rechte?

von Hasso Suliak

01.03.2023

Eine Frau mit Joint

Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken: Ein Gutachten aus den Niederlanden hält die europa- und völkerrechtlichen Hürden für überwindbar.  Bild: adobe-stock.com | romaset

Rückendeckung für die Ampel: Strafrechtler der Uni Nimwegen zeigen auf, dass die Cannabis-Legalisierung in Deutschland europa- und völkerrechtlich gelingen könnte. Zu einem anderen Ergebnis kommt ein Gutachter im Auftrag Bayerns.

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Verstößt die von der Ampel geplante Cannabis-Legalisierung gegen Europarecht und einschlägige UN-Abkommen? Während in München der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Mittwoch ein Gutachten des Jura-Professors Bernhard Wegener von der Uni Erlangen-Nürnberg präsentierte, der diese Frage mit einem klaren "Ja" beantwortet, liegt LTO eine zum gegenteiligen Ergebnis kommende, noch unveröffentlichte juristische Untersuchung zweier Wissenschaftler:innen der Universität Nimwegen vor. Diese könnte der Bundesregierung Rückendeckung für ihr Legalisierungsvorhaben geben.  

Die Strafrechtlerin und Kriminologin Prof. Masha Fedorova sowie ihr Kollege Prof. Piet Hein van Kempen von der Radboud Universität in Nimwegen befassen sich seit Jahren u.a. mit Rechtsfragen rund um das Thema Drogen. In ihrem jüngsten Fachbeitrag kommen sie zum Ergebnis, dass die Einführung eines staatlich kontrollierten, nationalen Lizenzsystems für Genusscannabis durch einen EU-Mitgliedstaat unter bestimmten Voraussetzungen europa- und völkerrechtlich möglich ist. Eine Legalisierung sei zu rechtfertigen, wenn der betreffende Staat "aufrichtig davon überzeugt ist und überzeugend argumentiert, dass er über dieses System die individuelle und öffentliche Gesundheit, die Sicherheit der Öffentlichkeit und/oder die Verhinderung von Gewaltverbrechen wirksamer umsetzen kann, als er dies über den prohibitiven Ansatz für Cannabis für Genusszwecke zu erreichen vermag". Die Untersuchung Fedorovas und van Kempens soll in der März-Ausgabe des renommierten European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice veröffentlicht werden. 

Konkret geprüft haben die beiden Wissenschaftler:innen, ob EU-Recht oder die diversen UN-Suchtstoffübereinkommen einem nationalen System zur Regulierung eines kontrollierten Handels mit Cannabis für Genusszwecke entgegenstehen. Anlass für ihre Arbeit: "Die interessante Entwicklung in Deutschland".  

Deutschland müsste grenzüberschreitende Auswirkungen verhindern 

Unter die Lupe genommen haben sie dabei v.a. den einschlägigen EU-Rahmenbeschluss 2004/757/JI und dort speziell Art. 2, der die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, jegliche Form des illegalen Handels mit Drogen und damit auch mit Cannabis unter Strafe zu stellen. Jedenfalls dann, wenn dieser laut Art. 2 Abs. 1 Satz 1 "ohne entsprechende Berechtigung" vorgenommen wurde. 

Wenn Deutschland Cannabis nunmehr wie geplant legalisiert, wäre nach Ansicht der beiden Jurist:innen eine solche "Berechtigung" im Sinne des EU-Rechts gegeben. Denn ein staatlich lizensiertes und streng kontrolliertes Abgabesystem für Anbau, Vertrieb und Verkauf von Cannabis für Genusszwecke liefe nicht dem Zweck des Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses zuwider. Vorausgesetzt, es würden mehrere Bedingungen erfüllt:  

So dürfe die geplante Legalisierung z. B. keine grenzüberschreitenden Auswirkungen haben oder die transnationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des grenzüberschreitenden Drogenhandels behindern. Unter anderem müsste Deutschland dann wohl scharfe Vorkehrungen gegen einen Cannabis-Tourismus treffen.  

Um außerdem dem sog. Schengener Besitzstand (Schengen-Übereinkommen von 1985 und Durchführungsübereinkommen von 1990) nicht zu widersprechen, müsse das Lizenzsystem zudem auch einen Beitrag zur Suchtprävention leisten und die erforderlichen verwaltungs- und strafrechtlichen Maßnahmen vorsehen, um den grenzüberschreitenden illegalen Drogenhandel zu verhindern und zu bestrafen.    

UN-Übereinkommen als größere Hürde 

Als größeres Hindernis bewerten die beiden Jurist:innen allerdings die "deutlichen und strengen Auflagen", die sich aus den Suchtstoffübereinkommen der Vereinten Nationen (UN) für die EU und die einzelnen Mitgliedstaaten ergeben.  

Die Suchtstoffübereinkommen – insbesondere das Einheitsübereinkommen und das Übereinkommen gegen den unerlaubten Suchtstoffverkehr – lassen im Prinzip weder eine Legalisierung oder Entkriminalisierung noch eine politisch begründete Duldung des Anbaus, Vertriebs und Verkaufs von Cannabis für den nichtmedizinischen Markt zu. Der Gebrauch von Betäubungsmitteln soll ausschließlich auf medizinische und wissenschaftliche Zwecke beschränkt bleiben. Die EU ist selbst auch Vertragspartei des UN-Übereinkommens zur Bekämpfung des illegalen Handels.  

Für juristisch überwindbar halten die Autor:innen die UN-Hürden dennoch. Und zwar unter Bezugnahme auf die Menschenrechte bzw. die Pflichten, die sich aus den internationalen Menschenrechtsabkommen auch für Deutschland ergeben.  

So schaffe eine regulierte Erlaubnis für den Cannabisanbau und -handel nach Ansicht der Autor:innen "eine bessere Möglichkeit, die grundlegenden Menschenrechte zu garantieren und somit seine positiven menschenrechtlichen Pflichten zu erfüllen, wonach dieser Staat verpflichtet ist, Vorkehrungen zum Schutz dieser Rechte zu treffen". Ein Staat könne sogar dazu verpflichtet sein, den Cannabisanbau und -handel für Genusszwecke im Rahmen einer Regulierung zuzulassen, wenn eine solche Regulierung z.B. das Recht auf Gesundheit, das Recht auf Leben, das Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit (das Recht, keine unmenschliche Behandlung zu erfahren) und das Recht auf Privatsphäre besser schützt als eine prohibitive Drogenpolitik, wie sie in den internationalen Drogenkonventionen vorgesehen ist. Fazit der Autor:innen: "Der Konflikt zwischen den Verpflichtungen aus den internationalen Menschenrechtsabkommen und den internationalen Suchtstoffübereinkommen sollte wohl zugunsten einer Priorisierung der positiven Menschenrechtspflichten auflösbar sein." 

Mit Gleichgesinnten auf Änderung der Rechtslage hinwirken 

Eine weitere Option, um die völkerrechtlichen Hindernisse beim Thema Cannabis zu überwinden, wäre nach Auffassung von Fedorova und van Kempe der Zusammenschluss mit anderen Ländern. Gleichgesinnte Staaten könnten sich auf Grundlage von Artikel 41 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge zusammentun und auf eine Änderung der Rechtslage hinwirken. Sie könnten beschließen, die UN-Suchtstoffübereinkommen so zu modifizieren, "dass sie für die Staaten kein Hindernis mehr darstellen, z. B. den Anbau, Vertrieb und Verkauf von Cannabis für Genusszwecke zu erlauben, wenn dies im Rahmen eines von diesem Staat eingerichteten nationalen Lizenzsystems erfolgt."  

Dass die EU selbst Vertragspartei des UN-Übereinkommens gegen den unerlaubten Verkehr ist, sei kein Problem. Denn schließlich, so die Autor:innen, habe die EU derzeit keine Zuständigkeit in Bezug auf das Abkommen beansprucht, welche sich auf die Einführung eines nationalen Lizenzsystems für Genusscannabis erstrecken würde.  

Das Vorhaben der Ampel, Cannabis zu Genusszwecken an Erwachsene auf staatlich streng kontrolliertem Wege freizugeben, war von Europarechtlern zuletzt immer wieder als europa- oder auch völkerrechtswidrig beurteilt worden. Deutschland müsse international nachverhandeln, damit der umfassende Legalisierungsansatz nicht eines Tages vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) scheitere.  

Bayerisches Gutachten: "Vertragswidriger Verstoß gegen UN-Abkommen"  

Dass es dort scheitern würde, davon geht jedenfalls die bayerische Landesregierung aus. Gesundheitsminister Klaus Holetscheck (CSU) stellte am Mittwoch ein Gutachten des Rechtswissenschaftlers Prof. Bernhard Wegener von der Uni Erlangen-Nürnberg vor. Dieses kommt – wie von vielen erwartet – zu dem Ergebnis, dass die von der Bundesregierung geplante Cannabis-Legalisierung völker- und europarechtlichen Vorgaben widerspricht. Vor allem verstoße das Projekt gegen die Übereinkommen der UN zur Drogenbekämpfung: "Die UN-Drogenkontrollorgane bewerten eine umfassende Cannabis-Legalisierung der von der Bundesregierung geplanten Art in ständiger Entscheidungspraxis als vertragswidrigen Verstoß gegen die UN-Übereinkommen zur Drogenbekämpfung." 

Wegener sagte in München: "Das Legalisierungsvorhaben der Bundesregierung ignoriert die völker- und europarechtlichen Grenzen nationaler Drogenpolitik. Dieser international und europäisch nicht abgestimmte Sonderweg ist deshalb rechtlich überaus riskant und droht selbst die von der Bundesregierung verfolgten Ziele von vornherein zu verfehlen." 

Minister Holetschek ergänzte, er könne nicht nachvollziehen, wie eine Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken für junge Menschen ab 18 Jahren den Gesundheits- und Jugendschutz verbessern soll. "Ich sage ganz klar: Ich lehne eine Cannabis-Legalisierung wegen der gravierenden gesundheitlichen Risiken dieser Droge entschieden ab." 

Unterdessen hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereits bei der Vorlage des Eckepunktepapiers im Oktober 2022 angekündigt, das Vorhaben von der EU-Kommission prüfen zu lassen. Nun will er bis Ende März auch unabhängig von einem Votum der Kommission einen Gesetzentwurf und ein weiteres Gutachten vorlegen. Bis zum Frühsommer wird außerdem das Bundesverfassungsgericht über diverse Richtervorlagen zum Thema Cannabis entscheiden. 

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Cannabis-Freigabe und internationales Recht: . In: Legal Tribune Online, 01.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51193 (abgerufen am: 18.11.2025 )

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