Abgehörter Anwalt im Candylove-Prozess: Wie aus einem Ver­tei­diger ein Ange­klagter wurde

von Linda Pfleger

24.02.2023

Im Prozess um den Drogenshop "Candylove" steht auch ein Anwalt vor Gericht. Die Ermittler belauschten Gespräche mit seinem Mandanten. Die Frage der Verwertbarkeit der Erkenntnisse ist nicht nur für den angeklagten Anwalt schicksalhaft.

Ein Anwalt soll mitgemischt haben in den erneuten Drogengeschäften des durch die Netflix-Dokumentation "Shiny Flakes" bekannt gewordenen Maximilian Schmidt. Er habe der Gruppe in rechtlichen Fragen zur Seite gestanden und die Organisation jedenfalls einer "Bunkerwohnung" übernommen. So lautet der Anklagevorwurf im Candylove-Verfahren vor dem Landgericht (LG) Leipzig. Fünf Männer sind angeklagt, denen vorgeworfen wird, etwa 20 Kilogramm Drogen über einen Onlineshop verschickt zu haben. Ihnen droht eine Verurteilung wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln.

Nicht für den angeklagten Anwalt R., wenn es nach dessen Verteidiger Andrej Klein geht. Er fordert einen Freispruch für seinen Mandanten. Die Ermittlungsbehörden sollen ihn rechtswidrig in seiner Funktion als Anwalt abgehört haben, was die Unverwertbarkeit aller daraus gewonnenen Erkenntnisse nach sich ziehe, so Klein. Für den angeklagten Rechtsanwalt geht es dabei um nichts weniger als die berufliche Existenz. Ihm droht im Falle einer Verurteilung von über einem Jahr der Verlust seiner Anwaltszulassung.

Worauf die Vorwürfe fußen

Die Hauptakteure der umstrittenen Abhörmaßnahmen sind die beiden Angeklagten R. und Friedemann G. Seit vielen Jahren war R. Anwalt des G. und vertrat diesen auch als Verteidiger in strafrechtlichen Angelegenheiten. Im Laufe des Candylove-Ermittlungsverfahrens gegen Friedemann G. wurde dieser regelmäßig von der Polizei abgehört. Dabei wurden schließlich auch Telefonate des G. mit seinem Anwalt R. abgehört und aufgezeichnet, obwohl die Ermittlungsbehörden um das Mandatsverhältnis gewusst haben sollen.

Ein Vorgehen, das im Grundsatz nicht erlaubt wäre. Gespräche zwischen einem Anwalt und seinem Mandanten sind besonders geschützt und dürfen nicht abgehört werden. Dies regelt § 160a Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO), der ein absolutes Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot normiert. Demnach sind Ermittlungsmaßnahmen – wie eine Telekommunikationsüberwachung (Abhörmaßnahmen) – gegen Rechtsanwälte und andere Berufsgeheimnisträger gemäß § 160a Abs. 1 S. 1 StPO unzulässig (Erhebungsverbot). Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen gemäß § 160a Abs. 1 S. 2 StPO jedenfalls nicht verwendet werden (Verwertungsverbot). Ein Erhebungsverbot zieht – entgegen der amerikanischen "fruit of the poisonous tree"-Rechtslage – gerade nicht grundsätzlich ein Verwertungsverbot nach sich, sodass diese Besonderheit in § 160a Abs. 1 StPO ausdrücklich geregelt wurde.

Hintergrund ist der Gedanke, dass Rechtsratsuchende auf einen sicheren Raum vertrauen können sollen, innerhalb dessen sie ohne Angst vor rechtlichen Konsequenzen sprechen können. In Anlehnung an die Zeugnisverweigerungsrechte der Berufsgeheimnisträger in § 53 Abs. 1 StPO soll das Vertrauensverhältnis zu diesen geschützt werden. Daher ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch bereits die Anbahnung eines Mandatsverhältnisses geschützt (Beschl. v. 18.02.2014, Az. StB 8/13).

Bei Tatverdacht gegen den Anwalt ist Schluss – auch später noch?

Doch kein Grundsatz ohne Ausnahme. Ermittlungsmaßnahmen gegen die Berufsgeheimnisträger sind ausnahmsweise doch zulässig, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass diese selbst an der Tat beteiligt sind (sogenannte Verstrickungsregelung des § 160a Abs. 4 StPO).

Was die Ausnahmeregelung nicht verrät, ist, ob die den Verdacht begründenden Tatsachen auch erst im Laufe des Belauschens zutage treten können oder von Anfang an vorliegen müssen. Und an dieser Stelle befindet sich der wunde Punkt im Candylove-Prozess.

Nach Äußerungen der Staatsanwaltschaft am ersten Prozesstag sei der Anwalt R. selbst Beschuldigter gewesen, als Gespräche mit ihm abgehört wurden. Der Staatsanwaltschaft sei durchaus bewusst, dass man grundsätzlich Gespräche zwischen einem Anwalt und seinem Mandanten nicht abhören dürfe. Anders eben, wenn der Anwalt selbst Beschuldigter sei. Darüber hinaus wollte sich die Behörde auf Anfrage von LTO nicht äußern.

Der Verteidiger Klein wirft der Staatsanwaltschaft vor, einen entscheidenden Punkt zu verkennen. "Man darf die Erkenntnis für einen möglichen Beteiligungsverdacht jedoch nicht erst durch das abgehörte Telefonat erhalten", so Klein. Indizien oder gar Tatsachen für eine Beteiligung des R. hätten vor Beginn der Abhörmaßnahmen nicht vorgelegen. Den Ermittlungsbehörden sei zudem bekannt gewesen, dass R. der Anwalt des G. gewesen sei. Das Abhören und Aufzeichnen der Gespräche zwischen G. und R. sei damit unzulässig gewesen.

"Die Sache ist völlig offen"  

Es stellt sich also womöglich die Frage: Dürfen Erkenntnisse verwertet werden, wenn sich der Verdacht der Beteiligung des Anwalts erst durch bzw. infolge einer zunächst unzulässigen Ermittlungsmaßnahme ergeben hat?

Nein, meint das LG Düsseldorf und stärkt Klein damit den Rücken (Beschl. v. 15.02.2021, Az. 10 Qs 46/20). Es hat klar entschieden, dass Anhaltspunkte für den konkreten Verdacht i.S.v. § 160a Abs. 4 Satz 1 StPO nicht allein aus der in Frage stehenden Ermittlungsmaßnahme erlangt werden dürfen. Es entspräche gerade nicht der Norm, unter Verstoß gegen das Beweiserhebungsverbot gewonnene Kenntnisse zur Begründung einer Verdachtslage zu verwenden. Im zugrunde liegenden Fall wurden im Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs Gespräche zwischen dem Beschuldigten und seinem Anwalt abgehört und aufgezeichnet.

Damit bildet das LG Düsseldorf die Gegenstimme zur Literaturansicht (etwa im Karlsruher Kommentar zur StPO/Weingarten, 9. Aufl. 2023, § 160a Rn. 7), wonach gewonnene Erkenntnisse verwertbar sein sollen, wenn sich aus einer zunächst unzulässigen Beweiserhebung ein Verdacht gegen den Berufsgeheimnisträger ergibt (so auch die BT-Drs. 16/5846, 37 zu § 160a StPO).

Der Strafprozessrechtler Prof. Dr. Matthias Jahn, Lehrstuhlinhaber und Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main, weist gegenüber LTO auf die unklare Rechtslage hin: "Die gegenständliche Frage der Erhebung und Verwertung kann derzeit niemand in Deutschland verlässlich beantworten. Die Sache ist völlig offen." Und weiter: "Es spricht Vieles dafür, dass ein Beweisverwertungsverbot besteht, wenn sich aus einer zunächst unzulässigen Beweiserhebung ein Verdacht gegen den Berufsgeheimnisträger ergeben hat. Aber die höchsten deutschen Gerichte sind bei solchen Folgerungen sehr restriktiv."

Doppelrolle Anwalt und Chef

Damit nicht genug, wirft die Konstellation um das Duo R. und G. eine weitere Frage auf. R. war nicht nur der Anwalt, sondern als Geschäftsführer des Autohandels R-GmbH zeitweilig auch der Arbeitgeber des G. "Er hatte G. diesen Job verschafft, um eine der Voraussetzungen für den offenen Vollzug zu schaffen", so der Verteidiger Klein.

Hätten mögliche Gespräche, die er als Arbeitgeber – also nicht als sein Anwalt – mit G. geführt hat, belauscht und aufgezeichnet werden können? Klein stellt sich auch hier klar dagegen. "Auch vermeintliche Gespräche, die R. nicht als Anwalt, sondern als Arbeitgeber mit G. geführt habe, hätten nicht abgehört und aufgezeichnet werden dürfen", so Klein. "Der Schutz des Mandatsverhältnisses gebietet es, dass ab dem Zeitpunkt, zu dem das Verhältnis Anrufer-Anwalt den Ermittlern bekannt ist und bis dahin kein Anfangsverdacht gegen den Anwalt selbst besteht, kein Gespräch mehr abgehört werden darf. Angebliche Missbrauchsrisiken muss ein Rechtsstaat hinnehmen."

Professor Jahn vertritt dagegen die Ansicht, dass Gespräche grundsätzlich abgehört und die Erkenntnisse verwertet werden können, wenn der Anwalt nicht in seiner beruflichen Rolle mit dem Beschuldigten spricht. "Nach dem Rechtsgedanken des § 53 StPO kommt es darauf an, ob der Anwalt gerade in dieser Eigenschaft handelt. Die Zugehörigkeit zu einer besonders geschützten Berufsgruppe allein begründet keine Immunität", so Jahn.

Gericht umschifft Frage der Verwertbarkeit

Die das Verfahren leitende 8. Strafkammer des LG Leipzig betonte, dass eben nur das Mandatsverhältnis geschützt sei und nicht auch der Anwalt selbst. Ein Wink mit dem Zaunpfahl? Bisher hat die Kammer explizit keine Stellung zur Verwertbarkeit bezogen. Sie sicherte jedoch mehrfach eine intensive Beschäftigung und dezidierte Prüfung der Problematik zu.

Die Fragen der Zulässigkeit und Verwertbarkeit der gewonnen Erkenntnisse beeinflussten das Candylove-Verfahren vor Gericht bereits mehrfach. Neben einem vom Verteidiger Klein erhobenen Verwertungswiderspruch wurde eine der zwei bereits erfolgten Zeugenaussagen– um "Konfliktpotenzial zu entschärfen", wie es die Kammer ausdrückte – auf Umstände beschränkt, die nicht mit der Telekommunikationsüberwachung in Verbindung stehen. Am ansonsten ereignislosen vergangenen Termin ordnete das Gericht ein Selbstleseverfahren verschiedener Dokumente an, um es wenige Minuten später auf Beanstandung Kleins vorerst wieder zu stoppen. Mit der Begründung schließt sich erneut der Kreis: Die Aussage und die Dokumente könnten Erkenntnisse enthalten, die die umstrittene Verwertbarkeit betreffen.

Schicksal der Angeklagten am seidenen Banden-Faden

Das Gericht wird eine Entscheidung nicht mehr ewig aufschieben können. Nicht nur für R., dessen berufliche Existenz auf dem Spiel steht, sondern auch für die anderen Angeklagten ist die Verwertbarkeit der Gespräche zwischen R. und G. von großer Bedeutung. Verbietet die Kammer die Verwertung der Erkenntnisse, müssten weitere Beweise her. Lässt sie die Verwertung zu, wird in einem zweiten Schritt zu klären sein, ob die Inhalte auch tatsächlich eine Strafbarkeit des R. und möglicherweise auch der anderen Angeklagten begründen.

Insbesondere das Bandenmerkmal scheint nach wie vor an einem seidenen, an die Person des R. gebundenen Faden zu hängen. Eine Bande besteht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erst mit einem Zusammenschluss von mindestens drei Personen. Würde Rechtsanwalt R. freigesprochen, würde damit mangels Bandenmerkmals auch die Straferwartung für die beiden anderen Hauptangeklagten Maximilian Schmidt und Friedemann G. erheblich sinken.

Möglicherweise hält der nächste Verhandlungstag am Montag neben angekündigten Geständnissen von Schmidt und G. eine Stellungnahme der Kammer zur Verwertbarkeit der durch die Abhörmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse bereit. Für die Frage, ob aus dem Verteidiger ein Verurteilter wird, wäre es wohl entscheidend.

 

Zitiervorschlag

Abgehörter Anwalt im Candylove-Prozess: Wie aus einem Verteidiger ein Angeklagter wurde . In: Legal Tribune Online, 24.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51154/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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