BVerfG verhandelt über Deals im Strafprozess: Juristen zwischen Recht und Realität

von Pia Lorenz

07.11.2012

Das Who is Who der Juristerei wird da sein, wenn Karlsruhe am Mittwoch über Absprachen im Strafprozess verhandelt. Sachverständige sind der BGH-Präsident und der Generalbundesanwalt, Repräsentanten aller Berufszweige werden sich äußern. Es geht um den Handel mit Gerechtigkeit, um Konsens statt Wahrheit und eine jahrzehntelange Praxis, ohne welche die Strafgerichte handlungsunfähig würden.

Es wird nicht nur um drei konkrete Einzelfälle gehen am Mittwoch vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Vielmehr steht die erst drei Jahre alte gesetzliche Regelung von Absprachen im Strafprozess insgesamt auf dem Prüfstand, wenn der Zweite Senat über die Verfassungsbeschwerden dreier Verurteilter entscheidet, die alle nach solchen so genannten Deals Geständnisse ablegten und daraufhin verurteilt wurden. Sie alle wollen ihre Verurteilung nicht akzeptieren - obgleich sie selbst das Strafmaß mit ausgehandelt haben, von dem die Gerichte auch nicht abgewichen sind.

Die Fälle sind denkbar unterschiedlich. Sie zeigen, wie weit die Verständigung im Strafverfahren verbreitet ist. Traditionell wurden solche Deals eher dem Bereich des Wirtschaftsstrafrechts zugeordnet, aus dem auch zwei der in Karlsruhe verhandelten Verfahren ursprünglich kommen.

Wegen mehrfachen Anlagebetrugs wurden die Beschuldigten wie mit dem erkennenden Instanzgericht besprochen jeweils zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, nachdem sie Geständnisse abgelegt hatten. Nun kritisieren sie vor allem, dass sie nicht darüber belehrt wurden, dass das Gericht nach einer solchen Absprache noch immer von den getroffenen Vereinbarungen abweichen kann.

Vier Jahre oder zwei auf Bewährung - entscheiden Sie sich schnell

Der dritte Beschwerdeführer moniert, auf ihn sei unzulässiger Druck ausgeübt worden. Es klingt fast wie eine Art Erpressung, die sich auf dem Flur des Landgerichts Berlin zugetragen haben soll. In einer Verhandlungspause sei der Vorsitzende Richter auf den Flur gegangen und habe dem jungen Polizeibeamten und seinem mitangeklagten Kollegen ein Angebot gemacht: Wenn sie die vorgeworfene Tat sofort gestehen, könnten sie mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren rechnen. Andernfalls drohten ihnen vier Jahre Haft. Sie müssten sich schnell entscheiden. So schildert es eine beteiligte Anwältin in einer eidesstattlichen Versicherung.

Den damaligen Polizisten wird vorgeworfen, einem vietnamesischen Händler Schwarzmarkt-Zigaretten abgenommen zu haben, um sie für sich selbst zu behalten. Eine ernste Beschuldigung, die als schwerer Raub bestraft werden könnte - denn die beiden hatten ihre Dienstwaffen dabei.

Laut Protokoll wurde die Verhandlung um 10:50 Uhr fortgesetzt, zehn Minuten später haben die Beamten ein Formalgeständnis abgelegt. Sie bestätigten nur, dass das, was in der Anklage stehe, so richtig sei. Die anwesenden Zeugen wurden nicht mehr angehört. Ein kurzer Prozess, zwei Jahre auf Bewährung und damit auch der Verlust der Beamtenstellung für die beiden Familienväter. 

Ein faires Verfahren sehe anders aus, meint der ehemalige Polizist. Die so genannte Sanktionsschere, also die große Diskrepanz zwischen der angedrohten Strafe ohne Geständnis und dem Strafmaß mit einem ebensolchen, habe ihn derart unter Druck gesetzt, dass er eine Tat gestanden habe, die er nicht begangen habe.

Auch Anwälte und Richter uneins

Nicht nur bei Rainer Hamm und Stefan König rennt der Beschwerdeführer damit wohl offene Türen ein. Die beiden Repräsentanten des Deutschen Anwaltvereins werden wie auch andere Interessenvertreter bei der Verhandlung in Karlsruhe Gelegenheit zur Äußerung bekommen.

Ihre Sicht der Dinge ist eindeutig: "Das 'Angebot' einer Strafobergrenze für den Fall eines Geständnis auf der Grundlage eines bloßen Aktenstudiums führt zu Verdachtsstrafen und wenn das Geständnis nur aus Angst vor der noch höheren Strafe abgelegt wird, sogar zu Fehlurteilen". Sie halten die Vorschrift des § 257c Strafprozessordnung (StPO), vor allem die dort ausdrücklich zugelassene Verknüpfung zwischen der Geständnisbereitschaft mit einer Strafmaßzusage, für verfassungswidrig.

Anders sieht das die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), die grundsätzlich von einer Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift ausgeht. Aus Sicht der BRAK gibt es nicht genügend Zahlen über den Umgang mit den neuen Regelungen und erst recht nicht genug Informationen über informelle Deals. Dass die Regelung des § 257c StPO vielleicht umgangen werde, ändere nichts an ihrer Verfassungsmäßigkeit, so das Fazit einer Stellungnahme der Interessenvertreter aus Juni.

Während der ebenfalls zur Äußerung eingeladene Deutsche Richterbund vorab keine Stellungnahme abgeben wollte, verlautete aus der Fachgruppe Strafrecht der Neuen Richtervereinigung, dass nicht über die Schuldfrage verhandelt werden dürfe. Das regelt zwar § 257c StPO bereits - auch die Richter haben aber, obgleich auch sie nicht von repräsentativen Zahlen ausgehen, "große Zweifel" daran, dass das in der Praxis auch entsprechend gehandhabt wird und dass es überhaupt möglich ist, diese Vorgabe in der Praxis sicherzustellen.

Kritische Sachverständige zu erwarten

Es bleibt abzuwarten, wie die Sachverständigen in dem Verfahren die Sachlage beurteilen werden. Klaus Tolksdorf, der Präsident des Bundesgerichtshofs (BGH), ist bekannt für seine kritische Einstellung zu Deals.

Auch der amtierende Generalbundesanwalt Harald Range, ebenfalls Sachverständiger im Verfahren im Karlsruhe, äußerte sich bereits im Vorfeld kritisch zu deren "nicht unbeträchtlicher Sogwirkung", die verfassungsrechtliche Prinzipien zu beinträchtigen drohe. Er forderte laut dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel in einer schriftlichen Stellungnahme, Deals "über die bisherige Rechtsanwendung hinaus" einzuschränken.

Das "Aufzeigen von Alternativstrafen" durch den erkennenden Richter könne als Drohkulisse verstanden werden, es sei zu erwägen, "ein derartiges Vorgehen gänzlich zu untersagen".

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, BVerfG verhandelt über Deals im Strafprozess: Juristen zwischen Recht und Realität . In: Legal Tribune Online, 07.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7465/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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