Bitburger Gespräche: Klimawandel und Recht: Wer muss Ver­ant­wor­tung über­nehmen?

von Dr. Franziska Kring

07.10.2021

Ist es die Aufgabe der Gerichte, Klimaschutz zu betreiben? Wie effektiv ist das deutsche Klimaschutzgesetz? Diese und weitere Fragen diskutierten Experten bei den diesjährigen Bitburger Gesprächen.

"Es gibt deutlich mehr 'Klima-Awareness' als früher", bemerkt Dr. Juliane Hilf, Leiterin der Praxisgruppe Dispute Resolution - Regulatory bei Freshfields, zu Beginn ihres Vortrags zum Thema "Klimaschutz vor Gerichten: die Perspektive der Rechtspraxis".  

Über sogenannte "Klimaklagen" wird in der Presse berichtet, sie haben einen Aufmerksamkeitswert – und verstärkten das gesellschaftspolitische Bewusstsein für das Thema, so Hilf.     

Für viel Aufsehen sorgte auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 24. März 2021, mit dem es das deutsche Klimaschutzgesetz (KSG) in Teilen für verfassungswidrig erklärt hatte (Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 u.a.). Diese wegweisende Entscheidung stand immer wieder im Mittelpunkt der lebhaften Diskussionen bei den 64. Bitburger Gesprächen am 30. September und 1. Oktober. 

Unter dem Motto "Der Klimawandel als Herausforderung des Rechts" betrachteten und diskutierten Expertinnen und Experten die Folgen des Klimawandels aus verschiedenen Perspektiven. Organisiert wurde die Tagung von der Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik sowie dem Trier Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier. 

Mehr Klimaklagen gegen mehr Beklagte 

Nach der Eröffnungsansprache durch Prof. Dr. Alexander Proelß, Inhaber des Lehrstuhls für internationales Seerecht und Umweltrecht, Völkerrecht und Öffentliches Recht an der Universität Hamburg und wissenschaftlicher Leiter der Tagung, berichtete Hilf über Klimaklagen aus Anwaltssicht.  

Anhand einer Grafik mit Daten vom Sabin Centre for Climate Change Law sowie dem Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment erläuterte sie die Verteilung der weltweit rund 1.800 erhobenen Klagen. Spitzenreiter sind die USA mit über 1.400 Klagen, gefolgt von Australien mit 115 bzw. Großbritannien mit 74 Klagen. In Deutschland sind die Zahlen deutlich niedriger, insgesamt wurden bis jetzt lediglich ca. 10 Klagen erhoben.

Unterschieden wird dabei zwischen vertikalen Klimaklagen, also solchen gegen den Staat, und horizontalen Klimaklagen zwischen Privaten. Der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya beispielsweise hat das Unternehmen RWE gemeinsam mit seiner Anwältin, der bekannten Umweltrechtlerin Roda Verheyen, wegen der Folgen des Klimawandels auf Schadensersatz verklagt. Das Verfahren ist derzeit vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamm anhängig (Az. 5 U 15/17); geplant ist sogar ein Ortstermin in Peru. Rechtsbeistand von RWE ist Freshfields.

Aktuell sei ein Anstieg der Klimaklagen sowie eine Erweiterung des Beklagtenkreises festzustellen, so Hilf. Auch die Anzahl der Klagen mit menschenrechtlicher Argumentation nehme zu – gerade das Lieferkettengesetz werde ein "Einfallstor für auf Menschenrechtsverletzungen bezogene Klimaklagen" sein.

"Instrumentenmix" des Klimaschutzrechts

Mit der Umsetzung des internationalen Klimaschutzrechts in Deutschland und Europa beschäftigten sich die Vorträge von Prof. Dr. Dr. Wolfgang Durner LL.M. von der Universität Bonn und Prof. Dr. Charlotte Kreuter-Kirchhof von der Universität Düsseldorf. Die UN-Klimarahmenkonvention, das Kyoto-Protokoll, das Paris-Übereinkommen sowie relevantes Gewohnheitsrecht bilden den Rahmen des internationalen Klimaschutzrechts – es fehle jedoch an greifbaren und durchsetzbaren materiellen Verpflichtungen der Staaten. 

Der aktuelle Klimafahrplan der Europäischen Union (EU), der sogenannte Green Deal, der im Dezember 2019 von der Kommission vorgestellt wurde, hat zum Ziel, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden. Das "Fit for 55"-Paket der EU enthält ein Maßnahmenpaket mit konkreten Schritten zur Erreichung der Klimaneutralität. Bis 2030 sollten die Treibhausgase um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 gesenkt werden. 

Da kein Staat allein die Erdatmosphäre retten kann, muss nationales Klimaschutzrecht sich in die völker- und europarechtlichen Vorgaben einfügen, sie umsetzen und weiterentwickeln. Diese Kohärenz ist für ein stimmiges Gesamtsystem unerlässlich, betont Kreuter-Kirchhof. Allerdings werde das deutsche Klimaschutzrecht diesem Anspruch nicht immer gerecht: Gerade die im KSG vorgesehenen verbindlichen Reduktionsziele für 2040 und 2045 folgten nicht der Herangehensweise im Pariser Abkommen. Dieses legt keine nationalen Emissionsziele für die fernere Zukunft fest, da eine präzise Prognose künftiger Entwicklungen heute noch nicht möglich ist.  

"Feigenblattfunktion" des Klimaschutzgesetzes 

Ähnlich kritisch sieht das Prof. Dr. Sabine Schlacke von der Universität Greifswald: Das KSG ignoriere die Planungsinstrumente des EU-Rechts und lasse sie "zu reinen Berichtspflichten verkümmern". Es sehe noch kein kohärentes Schutzkonzept vor, sondern die Pläne hätten bislang lediglich eine "Feigenblattfunktion".

Prof. Dr. Johannes Saurer LL.M. von der Universität Tübingen betonte, das BVerfG habe in seinem Beschluss vom März den Klimaschutz als Verfassungsauftrag "besonders eindrücklich wahrgenommen. Allerdings könne es zu Konflikten des Klimaschutzes mit anderen Verfassungsgütern kommen, beispielsweise mit der Versorgungssicherheit oder Grundrechten. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung werde der Klimaschutz mit zunehmend sichtbarer und spürbarer werdenden Folgen des Klimawandels eine immer höhere Bedeutung erlangen.

Immer wieder wurde in der Diskussion die Frage aufgeworfen, ob es die Aufgabe der Gerichte sei, Klimapolitik zu betreiben – oder ob das BVerfG in seinem Beschluss nicht in erheblichem Maße in den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers eingegriffen habe. Wenn bestimmte Klagen an Gerichte herangetragen würden, könnten diese sich dem nicht entziehen, sondern müssten darauf eingehen. Auch, wenn das bedeute, Klimapolitik zu betreiben, hieß es.

Climate Litigation auf der falschen Ebene?

Prof. Dr. Bernhard Wegener von der Universität Erlangen-Nürnberg warf zu Beginn seines Vortrags die Frage auf, ob es nicht eine Unüberbrückbarkeit zwischen den Grund- und Menschenrechten einerseits und dem Klimaschutz andererseits gebe. Während es sich beim Klimawandel um ein globales Problem handele, gehe es bei den Grund- und Menschenrechten um die Verteidigung der Rechte des Einzelnen gegen den Staat.

Selbst bei erfolgreichen Klimaklagen werde häufig keine konkrete Rechtsverletzung genannt. Zudem gehe es auf der Anspruchsseite nicht um Abhilfe in Form von Entschädigungszahlungen oder Naturalrestitution, sondern es werde nur ein "globaler Beitrag zum Klimaschutz" zugesprochen.

Die Klimaklagen seien ein Ventil für die Beschwerdeführenden, die die wissenschaftlichen Voraussagen beobachten und handeln wollen. Erfolg hatten die Bemühungen allerdings meistens vor nationalen Gerichten – der Europäische Gerichtshof hat entsprechende Klagen abgewiesen, etwa im People's Climate Case. Die eigentlichen Entscheidungen würden jedoch auf EU-Ebene getroffen, deshalb finde Climate Litigation gewissermaßen auf der falschen Ebene statt. Ohnehin sieht Wegener den Erfolg der Klimaklagen kritisch: Die Klägerinnen und Kläger bekämen zwar Recht, konkrete Folgen hätten die Gerichtsentscheidungen jedoch nicht.

"Wir brauchen eine Debatte über die Instrumente zur Erreichung der Klimaziele"

Der Schlussvortrag war dem Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Ottmar Edenhofer vorbehalten, einem der weltweit führenden Experten für die Ökonomie des Klimawandels. Edenhofer ist Direktor und Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und hat die Sachstandsberichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) in leitender Funktion verantwortet. Er wies darauf hin, dass zwar – insbesondere mit dem Green Deal – wichtige Fortschritte erzielt worden seien, dies allein aber nicht ausreiche.

"Wir brauchen eine Debatte nicht mehr über die Ziele, sondern über die Instrumente zur Erreichung der Ziele", so Edenhofer. Es müsste untersucht werden, welche Instrumente tatsächlich zur Emissionsreduzierung führen – derzeit würden zwar zahlreiche Staaten Maßnahmen ergreifen, dennoch stiegen die weltweiten Treibhausgasemissionen weiterhin. Auch müssten die sieben größten Emittenten an Bord geholt werden.

Diese andere Perspektive rundete die 64. Bitburger Gespräche gelungen ab. Am Ende stellte Alexander Proelß heraus, der Klimawandel sei ein "Mount Everest", der von der internationalen Gemeinschaft zu bewältigen sei. Alle Akteure müssten Verantwortung übernehmen. "Verantwortung bedeutet für mich als Jurist, dass wir uns mit diesem epochalen Thema weiter auseinandersetzen", so Proelß.

Zitiervorschlag

Bitburger Gespräche: Klimawandel und Recht: Wer muss Verantwortung übernehmen? . In: Legal Tribune Online, 07.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46237/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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