Urteil gegen Claudia Pechstein: BGH ent­schied auf fal­scher Tat­sa­chen­grund­lage

von Pia Lorenz

30.06.2016

Das Urteil des BGH im Fall Pechstein enthält eine falsche Annahme. Die betrifft ausgerechnet Strukturen des CAS, über dessen Neutralität der BGH zu entscheiden hatten. Das hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Mehr aber wohl auch nicht.

Das Urteil, mit dem der Bundesgerichtshof (BGH) die Klage von Claudia Pechstein  gegen den Eislauf-Weltverband ISU wegen ihrer Zwei-Jahres-Sperre als unzulässig abwies, beruht auf einer falschen Tatsachenannahme. Darauf machte die Süddeutsche Zeitung am Mittwoch aufmerksam.

Der BGH geht in seiner Entscheidung, mit der er wegen des Vorrangs der Schiedsgerichtsabrede vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) die Klage der Eisschnellläuferin letztinstanzlich als unzulässig abwies, von offenbar fehlerhaften tatsächlichen Feststellungen des Oberlandesgerichts als Berufungsinstanz aus. Das OLG habe festgestellt, so der BGH in seinem unlängst veröffentlichten Urteil (Rn. 27), dass der Präsident der Berufungsabteilung des CAS den Vorsitzenden des für die konkrete Streitigkeit zuständigen Spruchkörpers bestimmen könne, wenn sich die Streitparteien nicht einigen könnten.

Tatsächlich bestimmt jedoch gemäß Regel 54 des Internationalen Sportgerichtshofes der Chef der Berufungsabteilung immer, also nicht nur im Streitfall, den Vorsitzenden des Dreier-Panels. Die beiden von den Parteien benannten Schiedsrichter werden dabei nur gehört, haben aber auf die Entscheidung keinen direkten Einfluss. 

Die SZ hält diesen Irrtum des OLG, der auch in das Urteil des BGH eingeflossen ist, deshalb für bedeutsam, weil er Zweifel an der Neutralität des Schiedsgerichts wecke. Der Chef der Berufungsabteilung sei nämlich in eine heikle Interesssenslage eingebunden. Er wird vom Icas gewählt, einem 20-köpfigen Gremium, das seinerseits vor allem aus Vertretern des Internationalen Olympischen Komitees und anderer Fachverbänden besetzt ist. Diese Konstruktion führt nach Ansicht von Kritikern zu einem mittelbaren Einfluss der Verbände auf die Besetzung der Spruchkörper des Sportschiedsgerichts. Auch Zivil- und Sportrechtler Jens Adolphsen, obgleich bekennender Verfechter einer einheitlichen Sportgerichtsbarkeit durch den CAS, hält das für eine "sinnlose Regelung". 

Was bedeutet der Irrtum für das BGH-Urteil?

Eine sinnlose Regelung, die der BGH in seine Entscheidung über das Schicksal von Claudia Pechstein nicht einbezogen hat. Der BGH hatte Pechstein insoweit zugestimmt, als dass auch er die faktische Monopolstellung des CAS und die Alternativlosigkeit für Sportler, sich seiner Gerichtsbarkeit zu unterwerfen, anerkannt hatte. Das sei allerdings in Ordnung, da der CAS nicht, wie von Pechstein behauptet, zugunsten der Sportverbände parteiisch sei, sondern vielmehr ein neutrales Schiedsgericht i.S.v. § 1025 Zivilprozessordnung (ZPO). Wenn der BGH diese Annahme aber u.a. auf die irrige Annahme stützt, dass die Parteien ein paritätisches Mitspracherecht bei der Besetzung der Spruchkörper des CAS haben - was bedeutet das dann für sein Urteil?

Rechtlich gesehen gar nichts, meint Jens Adolphsen. Denn der BGH habe seine Entscheidung nicht darauf gestützt, ob die Parteien Einfluss auf die Person des Vorsitzenden haben. Vielmehr basiere das Urteil gänzlich auf der Frage, ob die Parteien an eine Schiedsrichterliste gebunden werden können und wie diese zustande komme. "Darauf gründet der Senat seine Aussage", so der Rechtsprofessor von der Universität Giessen.

Widersprüchliche Darstellungen zur Rüge des Irrtums

Die SZ stellt zu Recht fest, dass der BGH sich mit falsch festgestellten Tatsachen nur befassen kann, wenn eine der Parteien dies im Revisionsverfahren rügt. Ob das geschehen ist, scheint unklar. Der Eislauf-Weltverband habe den Irrtum nicht erwähnt, Pechsteins Anwalt Thomas Summerer hat hingegen laut SZ angegeben, der Hinweis auf den fehlerhaften Abschnitt sei "Teil einer Gegenrüge" gewesen, "die wir in der mündlichen Verhandlung nochmals bekräftigt haben". Auf Nachfrage der SZ beim BGH habe dieser jedoch erklärt, die genannte Feststellung sei im Revisionsverfahren nicht angegriffen worden. Eine BGH-Sprecherin wollte den Zeitungsbericht auf Anfrage der Deutschen Presseagentur nicht kommentieren. Laut Adolphsen spielen aber auch diese unterschiedlichen Darstellungen keine Rolle.  "Selbst bei falscher Tatsachengrundlage ist das Urteil rechtskräftig und die Sache abgeschlossen."

Pechsteins Anwalt will allerdings noch per Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil vorgehen. Unabhängig von allen formaljuristischen Fragen bleibt das ungute Gefühl, dass ausgerechnet im Fall Pechstein, deren Doping-Sperre im Nachhinein ganz überwiegend als unbegründet angesehen wird, kein weiterer Fehler hätten passieren dürfen. Vorgänge rund um die internationale Sportgerichtsbarkeit könnten mehr Transparenz gebrauchen, nicht noch mehr Irritationen.

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Urteil gegen Claudia Pechstein: BGH entschied auf falscher Tatsachengrundlage . In: Legal Tribune Online, 30.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19839/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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