Abschiebungshaft: "Es passiert erst etwas, wenn sich jemand aufhängt"

Interview mit Peter Fahlbusch

27.08.2013

Strafgefangene dürfen keine Handy haben, können nicht alles einkaufen und müssen sich an strenge Besuchszeiten halten. Wenn Abschiebehäftlinge in gewöhnlichen Gefängnissen untergebracht werden, gelten diese Beschränkungen auch für sie. Das EU-Recht will das aber gerade verhindern, meint der Anwalt Peter Fahlbusch und kämpft für seine Mandanten bis zum EuGH.

LTO: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Anfang Juli zwei Verfahren vorgelegt, die die Anordnung von Abschiebungshaft zum Gegenstand haben. Worum geht es in den Verfahren?

Fahlbusch: In dem ersten Verfahren wollen die Karlsruher Richter wissen, ob Deutschland nach der Rückführungsrichtlinie verpflichtet ist, Abschiebungshäftlinge auch dann getrennt von normalen Strafgefangenen in eigenen Einrichtungen unterzubringen, wenn es einem Bundesland keine speziellen Abschiebungsanstalten gibt (Anm. d. Red.: Beschl. v. 11.07.2013, Az. V ZB 40/11).

Peter FahlbuschIn Art. 16 der Rückführungsrichtlinie heißt es nämlich, dass die Abschiebungshaft in gesonderten Einrichtungen zu vollziehen ist. Wenn in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden sind und die Unterbringung in gewöhnlichen Gefängnissen erfolgt, muss zumindest dafür gesorgt werden, dass die Abschiebungshäftlinge von den Strafgefangenen getrennt untergebracht werden.

In Deutschland wird nun darüber gestritten, was die Richtlinie mit "Mitgliedstaat" meint. Geht es da um Deutschland, Frankreich und Italien oder um Berlin, Brandenburg und NRW? In Deutschland vollziehen nämlich die Bundesländer die Abschiebungshaft. Bisher haben es aber nur vier Bundesländer geschafft, besondere Einrichtungen für Abschiebungsgefangene zu bauen. Überall sonst wird weiter munter in der JVA vollstreckt.

"Abschiebehäftlinge, die noch in einer JVA sitzen, müssten freigelassen werden"

LTO: Der BGH tendiert dazu, "Mitgliedstaat" europarechtlich auszulegen, es soll also um den Nationalstaat gehen, nicht um die Bundesländer. Was passiert, wenn auch der EuGH das so sieht?

Fahlbusch: Die Klägerin selbst ist ja schon längst freigelassen. Sie hat eine Aufenthaltsgenehmigung aufgrund einer Härtefallregelung bekommen, weil sie aus Syrien kommt. Auswirkungen hat der Beschluss des BGH nicht erst mit Entscheidung des EuGH, sondern bereits jetzt. Der BGH hat sich ja klar positioniert. Alle Abschiebehäftlinge, die noch in einer gewöhnlichen JVA sitzen, müssen sofort freigelassen werden. Insgesamt dürfte das eine dreistellige Personenzahl betreffen. Und klar ist auch, dass weitere Inhaftierungen bis zur Entscheidung des EuGH nicht mehr angeordnet werden dürfen, wenn die Unterbringung in einer gewöhnlichen JVA erfolgen soll.

LTO: Wäre es auch denkbar, dass die Abschiebungshäftlinge in ein anderes Bundesland gebracht werden, das spezielle Einrichtungen hat?

Fahlbusch: Das wäre theoretisch möglich. Aber dafür bräuchte es Verwaltungsvereinbarungen zwischen den Bundesländern. Das dauert und hätte natürlich längst gemacht werden können. Die Richtlinie gibt es seit 2008. In fünf Jahren wäre das ja wohl zu schaffen gewesen, wenn man denn meint, man müsste diese Menschen einsperren.

"Das sind keine Straf-, sondern Zivilgefangene"

LTO: Warum sollten Abschiebungshäftlinge überhaupt anders untergebracht werden?

Fahlbusch: Diese Menschen sind keine Straf-, sondern Zivilgefangene. Ihnen wird nur vorgeworfen, dass sie das Land nicht verlassen haben, obwohl sie es mussten. Und man hat die Sorge, dass sie untertauchen und sich so einer Abschiebung entziehen.

Wenn man Abschiebungshäftlinge aber gemeinsam mit Straftätern unterbringt, dann wird das Vollzugsregime nach den Strafgefangenen ausgerichtet. Das geht los bei den Besuchszeiten – in manchen Haftanstalten ist das nur eine Stunde pro Woche. Außerdem werden den Abschiebehäftlingen ihre Handys abgenommen, weil man Sorge hat, dass die Telefone an Strafgefangene weitergegeben werden.

Freigang, Zellenöffnung, Einkaufsmöglichkeiten – in allen Punkten müssen die Abschiebehäftlinge die gleichen Einschränkungen erdulden wie die Strafgefangenen. Genau das will die Rückführungsrichtlinie aber vermeiden.

"Verfahrensrecht ist auch Verfassungsrecht"

LTO: In dem zweiten Fall, den der BGH vorgelegt hat, hatte die Asylbewerberin in eine gemeinsame Unterbringung mit Strafgefangenen eingewilligt (Beschl. v. 11.07.2013, Az. V ZB 144/12). Ist das mit der Rückführungsrichtlinie vereinbar?

Fahlbusch: Das Verfahren hat ein bayerischer Kollege von mir geführt. Der Beschluss des BGH überrascht mich da etwas. Die Karlsruher Richter neigen ja dazu, eine solche Einwilligung für möglich zu halten.

Wenn man aber weiß, wie mit den Menschen umgegangen wird, wie gruselig die über ihre Rechte belehrt werden, dann ist das ziemlich bedenklich. Wahrscheinlich wurde der Frau gesagt, wenn du das nicht unterschreibst, dann kommst du in Einzelhaft.

In der Praxis würde es aber ohnehin nicht weiterhelfen, wenn eine Einwilligung in so einem Fall zulässig wäre, da sie ja jederzeit widerrufen werden könnte.

LTO: In beiden Fällen geht es nicht darum, ob die Abschiebungshaft hätte angeordnet werden dürfen, sondern darum, wie sie zu vollziehen ist. Wieso sollte ein Verstoß gegen die formalen Anforderungen an die Durchführung der Haft zur Folge haben, dass die Haftanordnung als solche rechtswidrig ist?

Fahlbusch: Wenn  die Haft nicht rechtmäßig vollstreckt werden kann, dann darf man sie gar nicht erst anordnen. Bei Verfahrensrecht sagen vor allem Behördenmitarbeiter und Amtsrichter gerne, das ist ja "nur" Verfahrensrecht, aber Verfahrensrecht ist auch Verfassungsrecht. In Art. 104 Grundgesetz (GG) steht ausdrücklich, dass Haft nur unter Beachtung der Verfahrensvorschriften angeordnet werden darf.

Zitiervorschlag

Peter Fahlbusch, Abschiebungshaft: "Es passiert erst etwas, wenn sich jemand aufhängt" . In: Legal Tribune Online, 27.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9438/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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