Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz: Wenn digi­tale Arbeit die Schrift­form erfor­dert

Gastbeitrag von Dr. Thomas Winzer und Miriam Launer

10.06.2021

Noch in diesem Sommer wird das Betriebsrätemodernisierungsgesetz in Kraft treten. Viele Ideen und Regelungen sind gut, nur leider nicht auf die moderne Arbeitswelt angepasst, meinen Thomas Winzer und Miriam Launer.

Nachdem der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) unter dem Arbeitstitel „Betriebsrätestärkungsgesetz“ monatelang auf heftigen Widerstand gestoßen war, ist dieser nach Umbenennung und einigen Änderungen nunmehr schnell durch das Gesetzgebungsverfahren gebracht worden. Es bestand offensichtlich das dringende Bedürfnis, das Gesetz noch während der laufenden Legislaturperiode zu verabschieden. Dabei drängt sich die Frage auf, ob der politische Regelungswille oder das politische Marketing überwiegt.  

Der Bundestag hat das „Betriebsrätemodernisierungsgesetz“ am 21. Mai 2021 verabschiedet, der Bundesrat hat dieses am 28. Mai 2021 gebilligt. Erklärtes Ziel des Gesetzes ist es, die Gründung und die Wahl von Betriebsräten zu erleichtern. Weiteres Ziel ist es, die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) im Hinblick auf die Nutzung digitaler Arbeitsweisen zu aktualisieren. Das Gesetz soll noch in diesem Sommer mit der Verkündung in Kraft treten. 

Dabei wird schnell deutlich, dass der Gesetzgeber sowohl bei der Überarbeitung des Wahlverfahrens als auch bei der Digitalisierung der Betriebsverfassung vor einer wirklichen Modernisierung noch zurückschreckt. Weiterhin zeichnen sich bereits jetzt diverse Folgefragen ab. Im Eifer des Gefechts und des beginnenden Wahlkampfes entgeht dem Gesetzgeber, dass der Verzicht auf eine Regelung besser sein kann als eine halbherzige, und dass Gründlichkeit Vorrang vor Schnelligkeit haben sollte.  

Vereinfachtes Verfahren bei Betriebsratswahlen  

Bislang ist in Betrieben mit in der Regel fünf bis 50 wahlberechtigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen ein vereinfachtes Wahlverfahren anzuwenden, während dies in Betrieben mit in der Regel 51 bis 100 Wahlberechtigten der Dispositionsbefugnis von Wahlvorstand und Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberin unterliegt. Zukünftig wird das vereinfachte Wahlverfahren auf Betriebe mit bis zu 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sowie die Möglichkeit zur Vereinbarung der Durchführung eines vereinfachten Wahlverfahrens auf Betriebe mit 101 bis 200 Beschäftigten ausgeweitet (§ 14a BetrVG n.F.).  

Der Gesetzgeber will das Betriebsratswahlverfahren zwar vereinfachen, beschränkt sich jedoch auf geringfügige Änderungen, wie v.a. auf die Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens. Aber auch das vereinfachte Verfahren ist ein komplexes Verfahren. Hier hätte es nahegelegen, den Schritt zur Einführung von digitalen Betriebsratswahlen zu gehen. Dass Onlinewahlen grundsätzlich erfolgreich durchführbar sind, hat sich jüngst anlässlich der COVID-19-Pandemie deutlich gezeigt. Die Einführung von Onlinewahlen wäre eine wirkliche Modernisierung gewesen. 

Virtuelle Betriebsratssitzung und elektronische Form 

Betriebsräte können zukünftig Sitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz durchführen, wobei die Präsenzsitzung grundsätzlich Vorrang haben soll (vgl. insb. § 30 Abs. 1, 2 BetrVG n.F.). Derzeit besteht diese Möglichkeit nur anlässlich der COVID-19-Pandemie befristet bis einschließlich zum 30. Juni 2021 (§ 129 Abs. 1 BetrVG).  

Betriebsvereinbarungen, Interessenausgleich und Sozialplan können in Zukunft unter Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur abgeschlossen werden (§§ 77 Abs. 2 S. 3, 112 Abs. 1 S. 1 HS. 2 BetrVG n.F.). Entsprechendes gilt für den Einigungsstellenspruch (§ 76 Abs. 3 S. 4 BetrVG n.F.). 

Diese Neuregelungen sind erfreulich und ein notwendiger Schritt bei der Anpassung des BetrVG an digitale Arbeitsweisen. Das BetrVG beinhaltet aber an vielen Stellen Formerfordernisse, wie bspw. „schriftlich“ (vgl. z.B. § 99 Abs. 3 BetrVG). In den vergangenen Jahren musste sich die Rechtsprechung, insbesondere das Bundesarbeitsgericht (BAG), durch Auslegung behelfen, um die erfassten Kommunikationswege festzulegen. Die im BetrVG beinhalteten Formerfordernisse hat der Gesetzgeber nach wie vor nicht umfassend an die modernen Kommunikationsformen angepasst. Hier bleibt die Rechtsprechung gefragt.    

Betriebsrat kein datenschutzrechtlich Verantwortlicher 

Die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsrates bei der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten war nach Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) umstritten. In § 79a S. 2 BetrVG n.F. wird gesetzlich verankert, dass bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Betriebsrat der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin Verantwortlicher bzw. Verantwortliche im Sinne der datenschutzrechtlichen Vorschriften ist, soweit die Verarbeitung durch den Betriebsrat zur Erfüllung der in seiner Zuständigkeit liegenden Aufgaben erfolgt.  

Auch wenn die gesetzliche Regelung Klarheit zur datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit schafft, schweigt der Gesetzgeber zu den sich daraus ergebenden Folgefragen (Bsp. Umfang der beim Betriebsrat verbleibenden Verantwortlichkeit? Einwirkungsmöglichkeiten bzw. Möglichkeiten zur Schadloshaltung des Arbeitgebers? etc.). 

Beteiligungsrechte beim Einsatz Künstlicher Intelligenz  

Im Hinblick auf die Einbindung des Betriebsrats beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Betrieb werden die Beteiligungsrechte des Betriebsrats ausgeweitet. Unter anderem kann dieser nach § 80 Abs. 3 BetrVG n.F. beim Einsatz von KI einen Sachverständigen oder eine Sachverständige beauftragen, ohne dass es auf die Erforderlichkeit der Beauftragung ankommt. 

Eine Definition von KI beinhaltet das Betriebsrätemodernisierungsgesetz nicht. Hier sind Folgediskussionen vorprogrammiert. Insgesamt können die verstärkten Beteiligungsrechte beim Einsatz von KI zu einer nicht unerheblichen Kostenlast für Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberinnen führen. 

Mitbestimmung bei mobiler Arbeit 

Mit § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG n.F. wird ein Mitbestimmungsrecht für die Ausgestaltung mobiler Arbeit eingeführt. Die Einführung der mobilen Arbeit (das „Ob“) verbleibt in der Entscheidungsbefugnis der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers.  

Es gibt schon zahlreiche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei mobiler Arbeit (u.a. zu Beginn und Ende der Arbeitszeit; Fragen des Gesundheitsschutzes, technische Einrichtungen). Es ist unklar, welche „Lücke“ gefüllt werden soll. Es dürfte sich hierbei insbesondere um politisches Marketing handeln. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil war im vergangenen Jahr mit der gesetzlichen Verankerung eines allgemeinen Rechts auf Homeoffice gescheitert. Auch deshalb birgt dieser neue Mitbestimmungstatbestand das Risiko einer entsprechenden Erwartungshaltung bei den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sowie Betriebsräten und kann zu faktischem Druck auf die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen führen. Zudem kann eine Überregulierung zu einer Störung des vertrauensvollen Umgangs zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberin und damit faktisch sogar zu einer Schwächung der Betriebsratstätigkeit führen.  

Unfallversicherungsschutz im Homeoffice 

§ 8 Sozialgesetzbuch (SGB) VII wird ergänzt, wodurch Versicherungslücken im Homeoffice bzw. bei mobilem Arbeiten geschlossen werden sollen. Der Versicherungsschutz im Homeoffice gilt zukünftig auch auf Wegen im eigenen Haushalt, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen (z.B. Weg zur Nahrungsaufnahme, Toilettengang etc.).  

Darüber hinaus wird für Beschäftigte, die ihre Tätigkeit im Homeoffice ausüben, das Unfallrisiko für die Wege übernommen, die die Beschäftigten wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit zur außerhäuslichen Betreuung ihrer Kinder zurücklegen.  

Modern sähe anders aus 

Insgesamt ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, dass nunmehr politischer Regelungswille besteht. Aber eine Modernisierung des BetrVG durch den Gesetzgeber sollte anders aussehen. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass es im Gesetzgebungsverfahren zuletzt insbesondere darum ging, das Betriebsrätemodernisierungsgesetz noch während der laufenden Legislaturperiode zu verabschieden.  

Dieses beinhaltet – wohl auch deshalb – viele Regelungsmaterien, die dringend einer Nach- oder sogar Neujustierung bedürfen. Sachgerechte und zeitgemäße Regelungen dürften letztendlich wieder einmal durch Rechtsprechung und Praxis gefunden werden müssen. 

 

Der Autor Dr. Thomas Winzer ist Partner und Leiter der Fachgebietsgruppe Arbeitsrecht bei Gleiss Lutz. Die Autorin Miriam Launer ist Rechtsanwältin bei Gleiss Lutz. 

Zitiervorschlag

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz: Wenn digitale Arbeit die Schriftform erfordert . In: Legal Tribune Online, 10.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45165/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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