Dieselskandal, Betriebsratsbezüge bei VW, Verwahrkosten nach dem Abschleppen oder Berichte zum Gesundheitszustand von Michael Schumacher: Der BGH hat 2023 wichtige Entscheidungen gefällt, von denen Sie gehört haben sollten.
Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen
Wer ein Fahrzeug mit Dieselmotor gekauft hat, in dem eine illegale Abschalteinrichtung verbaut ist, kann vom Hersteller Schadensersatz verlangen. Es ist eines der höchstrichterlichen Urteile, die im Jahr 2023 das größte mediale Echo erfahren haben. Der Bundesgerichtshof (BGH) konkretisierte auch die Höhe, in der sich ein solcher Anspruch bewegt: fünf bis 15 Prozent des Anschaffungspreises sind demnach angemessen (Urt. v. 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 u. VIa ZR 1031/22).
In den drei Musterverfahren, die der BGH zu entscheiden hatte, ging es um Autos mit sogenannten Thermofenstern. Hierbei wird – in Abhängigkeit von den Außentemperaturen – die Abgasreinigung zurückgefahren oder sogar gänzlich deaktiviert. Während der BGH den Fahrzeugkäufern zunächst nur einen deliktischen Schadensersatz zugesprochen hatte, verlangte der EuGH keinen Vorsatz, um eine Schadensersatzhaftung zu begründen. Es musste daher neu vor dem BGH verhandelt werden. Dr. Felix W. Zimmermann hat den Sachverhalt eingeordnet.
Wann gilt ein Anwalt als Freiberufler?
Wann gehen Kanzleianwälte einer selbständigen Tätigkeit nach und wann sind sie angestellt? Die Frage, mit der sich ursprünglich das Landgericht (LG) Traunstein zu beschäftigen hatte, wurde im Mai dieses Jahres durch den BGH beantwortet. Ein Rechtsanwalt beschäftigte zwölf weitere Anwälte zum Schein als selbstständige freie Mitarbeiter. Das LG erkannte angesichts der Gesamtumstände allerdings eine abhängige Beschäftigung und verurteilte den angeklagten Anwalt wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) zu einer Geldstrafe und ordnete die Einziehung von Taterträgen an.
Der BGH folgte der Einschätzung des LG und knüpfte bei seiner Entscheidung an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an. Ausschlaggebend für die Abgrenzung sei das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Insbesondere komme es darauf an, ob die Tätigkeit mit einem Verlustrisiko belastet oder ob sie lediglich als Gegenleistung für geschuldete Arbeitsleistung anzusehen sei, so das Gericht (Urt. v. 08.03.2023, Az. 1 StR 188/22). Dr. Markus Sehl und Alexander Cremer haben die Hintergründe zur Entscheidung aufgeschrieben.
Wem gehört das Stuttgarter Fernwärmenetz?
Die Stadt Stuttgart und der Energiekonzern EnBW waren sich uneinig darüber, wem das Stuttgarter Fernwärmenetz gehört und wer die rund 25.000 angeschlossenen Gebäude in Zukunft versorgen darf. Wer mit Ablauf des bis Ende 2013 befristeten Konzessionsvertrags Eigentümer wird, hatten die Vertragsparteien nicht geklärt.
Der BGH entschied Anfang Dezember 2023, dass die Stadt Stuttgart nicht automatisch mit Vertragsablauf Eigentümerin geworden ist. Anders als das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart erkannte der BGH auch keinen Beseitigungungsanspruch gegen EnBW. Die Details zur Entscheidung (Urt. v. 05.12.2023, Az. KZR 101/20) gibt es hier.
Leitsatzentscheidung zur Parkplatzsuche
Ein misslungenes Parkmanöver zieht einen Auffahrunfall mit drei beteiligten Fahrzeugen nach sich. Was zunächst alltäglich und wenig spektakulär klingt, führte zu einer Leitsatzentscheidung des BGH.
Die Besonderheit an dem Fall war der Ort des Geschehens: eine Einbahnstraße. Dort darf nicht entgegen der erlaubten Fahrtrichtung gefahren werden – auch nicht rückwärts, stellte der BGH fest (Urt. v. 10.10.2023, Az. VI ZR 287/22). In der Vorinstanz hatte das LG Düsseldorf noch anders entschieden.
Wer hier warum in welche Richtung unterwegs war, die Entscheidungsgründe des BGH und warum Sie auf der Suche nach einem Parkplatz lieber einmal um den Block fahren sollten, erläutert Dr. Max Kolter in seinem Stück "Es gibt kein Zurück in der Einbahnstraße".
Amazon und die Frage nach den Affiliate-Links
Der Matratzenhersteller Bett1 verklagte Amazon, weil er auf einer Liste mit sogenannten Affiliate-Links, die zur Plattform des Onlinehändlers führten, zu finden war. Das Unternehmen ist unzufrieden damit, dass die Verlinkungen auch in gefälschten Testberichten und mitunter unseriösen Produktempfehlungen auftauchen.
Nach Ansicht des BGH kann Bett1 nur den jeweiligen Seitenbetreiber zur Verantwortung ziehen. Amazon hafte für derartige Verlinkungen nicht, die Voraussetzungen von § 8 Abs. 2 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) seien nicht gegeben. Die Hintergründe zum Urteil (Urt. v. 26.01.2023, Az. I ZR 27/22) können Sie hier nachlesen.
Betriebsrats-Bezüge bei VW
Kurz nach dem Jahreswechsel 2022/2023 hob der BGH Freisprüche für hochrangige Manager von Volkswagen auf (Urt. v. 10.01.2023, Az. 6 StR 133/22). Der Vorstand des Konzerns hatte der Zahlung von überhöhten Bezügen an Betriebsräte zugestimmt. Das LG Braunschweig sah dadurch zwar den Tatbestand der Untreue erfüllt, fand aber keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Pflichtverletzung.
Der BGH bemängelte, dass die Urteilsfeststellungen den gesetzlichen Darstellungsanforderungen nicht genügten und verwies zurück an das LG. Dort wird sich nun die 11. Strafkammer mit dem Verfahren befassen. Einen Termin für die erneute Verhandlung hat das Gericht bisher noch nicht bekanntgegeben. Wenn Sie die Details nachlesen wollen, haben Sie hier die Möglichkeit dazu.
Verwahrkosten für abgeschleppte Autos
Wer abgeschleppt wird, muss neben den Kosten für die Umsetzung seines Autos auch für die Verwahrkosten aufkommen. Die Forderung eines Abschleppunternehmens in Höhe von 4.935 Euro war dem BGH dann aber doch zu hoch. Das Gericht definierte im November dieses Jahres, für welchen Zeitraum Verwahrkosten in Rechnung gestellt werden dürfen.
Im konkreten Fall stand ein Auto fast elf Monate lang auf dem Hof eines Abschleppunternehmens, das dafür 15 Euro pro Verwahrungstag aufrief. Der Fahrzeughalter hatte sein Auto allerdings schon fünf Tage nach dem Abschleppvorgang herausverlangt, das Unternehmen reagierte darauf aber nicht. Der BGH entschied, dass er deshalb auch nur für fünf Tage Verwahrung bezahlen muss (Urt. v. 17.11.2023, Az. V ZR 192/22). Aus einer Forderung in Höhe von 4.935 Euro wurden somit 75 Euro.
Due Diligence bei Immobilientransaktionen
Wer eine Immobilie verkauft, hat gegenüber dem Käufer Informations- und Aufklärungspflichten. Anhaltspunkte dafür, wie weit diese reichen können, liefert eine Entscheidung des BGH aus dem September 2023. Im zugrunde liegenden Fall focht ein Immobilienkäufer den Kaufvertrag an, weil er vom Verkäufer nicht auf eventuell notwendige Instandhaltungsmaßnahmen hingewiesen wurde.
Nachdem er in den Vorinstanzen erfolglos geblieben war, legte der Käufer Revision ein. Der BGH erkannte dann sowohl eine Pflichtverletzung des Verkäufers wegen einer unzutreffenden Erklärung als auch Arglist im Hinblick auf eine unterbliebene Aufklärung und bejahte einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags (Urt. v. 15.09.2023, Az. V ZR 77/22).
Welche Änderungen sich mit dem Urteil in der Praxis ergeben und warum die Entscheidung ein weiterer Schritt zur Abkehr vom Prinzip der Kenntnisfiktion ist, hat Jan Hellner in einem Gastbeitrag erläutert.
Verminderte Schuldfähigkeit bei der Amokfahrt in Trier
Das LG Trier muss sich ein weiteres Mal mit einer Amokfahrt in der Fußgängerzone der Stadt befassen. Das LG ging bei der Verurteilung eines 51-jährigen Autofahrers, der fünf Menschen getötet und weitere verletzt hatte, von einer verminderten Schuldfähigkeit aus. Das Urteil – eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus – der BGH im September 2023 aufgehoben (Beschl. v. 13.09.2023, Az. 4 StR 40/23).
Die Begründung für die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit sei rechtsfehlerhaft erfolgt, so das Gericht. Der BGH beanstandete die Ausführungen des LG zu der Frage, wie sich die paranoide Schizophrenie des 51-jährigen konkret auf sein Handeln ausgewirkt habe. Joschka Buchholz hat die Details des Falls zusammengefasst.
Berichterstattung über Michael Schumacher
Die Aussage, wonach Michael Schumacher "warme Hände" habe, lässt Rückschlüsse auf den gesundheitlichen Zustand des mehrfachen Formel 1-Weltmeisters zu. Zu dieser Einschätzung kam der BGH, der eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts Schumachers durch die Berichterstattung auf den zur Bauer Media Group gehörenden Online-Portalen maennersache.de und intouch.wunderweib.de bejahte. Schumacher hatte 2013 einen schweren Skiunfall erlitten.
Hintergrund des Rechtsstreits war ein Besuch von Erzbischof Georg Gänswein bei der Familie Schumacher, über den zunächst Bild und Bunte berichtet hatten. Konkrete Angaben zum Gesundheitszustand von Schumacher, wie sie auf den genannten Portalen zu finden waren, hätten in der Öffentlichkeit "nichts zu suchen", entschied der BGH (Urt. v. 14.03.2023, Az. VI ZR 338/21).
Zuvor hatte das LG Frankfurt der Klage Schumachers stattgegeben. Im anschließenden Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt wurde die Klage dann aber abgewiesen. Die Hintergründe hierzu hat Dr. Felix W. Zimmermann aufgeschrieben. Ein LTO-Interview mit dem Presseanwalt der Familie Schumacher finden Sie hier.
Sollte man kennen: 10 wichtige BGH-Entscheidungen aus 2023 . In: Legal Tribune Online, 27.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53387/ (abgerufen am: 09.05.2024 )
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